Polizeikugeln

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Polizeikugeln

Eine Beziehungstat mit anschließendem Amoklauf fand ihr schreckliches Ende. Die Täterin tötete und wollte getötet werden und daher trafen sie, eher lapidar wird das berichtet, 17 Polizeigeschosse.

Wieviele Kugeln die Polizei insgesamt abfeuerte, das ist bisher noch nicht in der Presse bekannt geworden.

In Deutschland schießt die Polizei erfreulich selten auf Täter oder vermeintliche Täter, auf Durchgeknallte und andere Bedrohende, oder solche die dafür gehalten werden. - Das ist gut so!

Es zeugt von der völlig richtigen Orientierung der Polizei, immer deutlich mehr Ehrgeiz in die Deeskalation und das Heruntereden, sowie in die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu stecken, als in den gewaltsamen Zugriff, selbst bei der Abwehr akuter Gefahr. - Beamte die sich hierbei verdient gemacht haben, die sollten, auch wenn diese Fälle nicht bei Presse, Funk und Fernsehen landen, ausgezeichnet und befördert werden. Sie sind die oftmals stillen, die eigentlichen Helden. Die, auf die es im Gemeinwesen wirklich ankommt.

Am Ort der aktuellen Ereignisse und bei einem Teil der Bevölkerung ganz allgemein, das darf man ruhig einmal annehmen, sind radikale Ausgänge wahrscheinlich nicht ganz unbeliebt. - Weitere mögliche Gefahren wurde abgewendet und die Polizei vollzog sowieso, was sich die Täterin wohl insgeheim wünschte. - Diese Haltung dürfte weiter verbreitet sein, als es bürgerlichem Rechtsempfinden gut tut, denn das Sujet des Amokläufers hat mittlerweile das triviale Niveau des Sujets Ehrenmord erreicht.

Bei aller Anerkennung für das beherzte Eingreifen der Polizisten, müssen aber Fragen erlaubt sein.

Es kann nicht Normalität sein, so viele Kugeln polizeilich in einen Menschen versenken zu müssen, um ihn bei seinem verwerflichen Tun zu stoppen oder auch nur die erwartete Möglichkeit weiterer gefährlicher Handlungen zu unterbinden.

Aus welcher Entfernung, warum, wieso, weshalb und wie, sowie auf wessen Befehl und mit welchem Ziel wurde auf die amoklaufende Frau geschossen? 17 Kugeln durchschlugen die Täterin auf einem Krankenhausflur, blieben in ihr stecken, in einer Nische hinter ihr, unter einem Türrahmen, wie auch immer, während sie, laut Berichten, selbst beständig und in alle Richtungen, mehrfach gezielt auf eine Krankenzimmertür, feuerte.

Bisher ist zum genauen Ablauf dort noch nicht allzu viel bekannt. Das muss nicht weiter schlimm sein, wenn bald gründlich und ohne massive Widersprüche berichtet werden kann, was geschah und warum es so geschah.

Es bleiben Fragen, die für die stramm konservativen, obersten Verantwortlichen in Baden-Württemberg wahrscheinlich gar keine sind. Innenminister und Ministerpräsident, - es ist ein beliebtes populistisches Ritual der Politiker jedweder Regierung bei solchen Vorgängen-, lobten sofort das Konzept und die Professionalität der Polizei, bzw. des SPK.

Was ist an 17 Kugeln professionell? -Darf man das fragen? Nein, man muss danach fragen und hartnäckig um Aufklärung bitten!

Nicht das erste Mal nach Polizeieinsätzen finden sich einige und doch wohl eher zu viele Kugeln in den niedergestreckten Täter-Opfern. Dabei sind wir doch nicht mehr im 19. Jh., als Sheriffs in wilden Feuergefechten zig Kugeln auf ebenso wild schießende Dalton-Bandenmitglieder abfeuerten und wir sind nicht in den Vereinigten Staaten, in Brasilien oder in Mexiko, wo viele Polizisten, wie die Kriminellen, bis an die Zähne bewaffnet mit Pump-Guns und automatischen Waffen in Gefechte ziehen müssen. - Ein Hoch auf jedes Land das restriktive Waffengesetze kennt!

Der Fall Tennessee Eisenberg

Zuletzt erregte die Regensburger Polizei Aufmerksamkeit, als sie einen offensichtlich schwer verwirrten Studenten in seinem Wohnheim erschoss. Auch hier wurden gleich eine Anzahl Schüsse gelöst. Zwölf landeten im Körper Tennessee Eisenbergsoder durchschlugen diesen.

Staatsanwaltschaften und die zuständigen Minister behaupten fest, diese Projektile seien völlig professionell ausgelöst und zu Recht in den Körper des vermeintlichen Amokläufers eingedrungen. Die Rekonstruktion der wirklichen Geschehnisse lässt weiterhin auf sich warten ( www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/zwoelf-pistolenkugeln-und-keine-antwort/ und www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/polizisten-ohne-schuld/ , de.wikipedia.org/wiki/Tennessee_Eisenberg ). Die ermittelnden Staatsanwaltschaften und Oberstaatsanwaltschaften lehnen weitere Untersuchungen mit der Allerweltsformel „In dubio pro reo“ (in diesem Falle sind die Polizeibeamten gemeint) ab, Politik und Medien stumpfen derweil ab.

Dabei muss doch bei staatlichem Waffengewalt- und Gewaltmonopol, doppelt und dreifach genau geklärt werden, warum und wie es zum Einsatz kam, und die Ausgänge müssen aufgearbeitet werden.

Diese Art der Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehr gibt jedoch sehr zu denken, gerade weil die wirklich Verantwortlichen hinterher immer sehr schnell schon wissen, was da nötig war.

Damit propagieren sie aber auch eine Haltung bei den ausführenden Beamten selbst. Denn, wo statt angebrachter Zweifel, vor allem auch der Pflicht zum Selbstzweifel, die bräsige Selbstdarstellung vom immer richtigen Handeln Oberhand gewinnt, -das kommt bei einem Teil der Bürger gut an-, da schleicht sich der fatale Hang ein, sich selbst zu überschätzen. Gefährlich ist das, wenn es um Schusswaffen und Schüsse geht.

Eine Überarbeitung der Einsatzpläne und eine Suche nach anderen Einwirkungsmöglichkeiten, -vielleicht setzt man auf die falschen Waffen und eine anscheinend immer tödlich endende, falsche Strategie, vielleicht müsste gegen Terroristen und schusswaffengeneigte Berufkriminelle doch andere Mittel eingesetzt werden, als gegen Amokläufer, vom Schüler, über den/die Beziehungstäterin, bis zum psychisch Kranken-, sollte zumindest bedacht werden.

Stattdessen erschallt weiter der Ruf: „Wir haben alles richtig gemacht!“

Hauptsächlich, weil ein persönlicher Fehler oder ein schlechter Befehl, also ein Zugeständnis doch nicht so perfekt zu sein, sofort juristische Konsequenzen für die handelnden Beamten nach sich zieht, legt sich über viele Polizei-Einsätze, nicht nur jene mit tötlichem Ausgang, ein Schleier des Schweigens.

Den höheren Vorgesetzten und den verantwortlichen Politikern droht hingegen juristisch wenig und daher lehnen die sich weiter aus jedem öffentlich zur Verfügung gestellten Fenster und brüsten sich mit Einsatzerfolgen, die doch eher Anlass zu Nachdenklichkeit liefern. - Vor allem das hemmt jeden Versuch, aus mysteriösen und unklaren Umständen bei Polizeiaktionen, von der Verbrennung eines Menschen in Gewahrsam, bis zur Durchsiebung von Amoktätern, zu lernen.

Polizeitaktik und Bewaffnung sind zu überprüfen, wenn sich solche Ereignisse häufen, bei denen mit böser Regelmäßigkeit irgendwie zu viele Kugeln aus Polizeiwaffen durch die Luft fliegen und es scheint, als produziere man regelmäßig, neben der häufig schrecklichen Tätertat, eine weitere löchrige Leiche.

Wieviele Kugeln von der offensichtlich zu allem entschlossenen Frau abgefeuert wurden, sie wollte zerstören und töten und gab auf sich selbst auch nichts mehr, ist daher weit weniger wichtig, als die absolute Pflicht, jede einzelne abgefeuerte Polizeikugel auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen, bevor es die fälligen Verdienstorden, Beförderungen und Belobigungen gibt und die an Schockern allenfalls emotional interessierte Öffentlichkeit dem nächsten krassen Fall entgegen dämmert.

Polizeigesetze der Länder und Strafprozessordnung

In diesen Zusammenhang gehörte es, sich die Polizeigesetze, z.B. das des Landes Baden-Würtemberg, dort z.B. §53 und §54, vorzunehmen, und zu überprüfen, ob das weiterhin so als Basis der Polizeigewalt dienen kann.

Vor allem § 54PoG- BW regelt den Schusswaffengebrauch gegen Personen. Da steht, vielleicht von den meisten Menschen in Deutschland gar nicht richtig wahrgenommen, u.a., dass die Schusswaffe als letztes Mittel eingesetzt werden kann, „um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer rechtswidrigen Tat zu verhindern, die sich den Umständen nach a) als ein Verbrechen oder...“. - Hinter dem oder steht zwar noch, eher verständlich und nachvollziehbar, der Einsatz von Waffengewalt sei nach Abwägung angebracht, beim Mitführen und beim Einsatz von Schusswaffen durch die Täter, aber der Satz 1, Absatz 1a) deckt allgemein alle Verbrechen ab!

Die Schusswaffe darf nach Satz 2, Absatz 2a und b) auch als Mittel eingesetzt werden, um die Flucht von vermeintlichen Straftätern oder dringend Tatverdächtigen die verhaftet werden sollen, oder von Personen die sich der Personenkontrolle im Zusammenhang mit einer Verbrechensaufklärung entziehen, zu verhindern. Wiederum ist hier nur Satz 2c) und Teilsatz a) nachvollziehbar, weil dort von Tätern und dringlich Tatverdächtigen die Rede ist, die selbst mit hoher Sicherheit Schusswaffen oder Sprengstoffe mit sich führen und diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gebrauchen wollen.

In Satz 3 wird erlaubt, die Waffe zur Vereitelung von Fluchtversuchen aus der Haft und aus der Sicherungsverwahrung zu benutzen, sowie sogar dann, wenn nur ein dringlicher Verdacht gegen den Untersuchungshäftling oder den in Polizeigewahrsam befindlichen Menschen vorliegt.

Die Schusswaffe darf auch eingesetzt werden gegen Menschen, die versuchen jemanden aus der Haft, der Sicherungsverwahrung und sogar aus der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Trinker-und Drogentherapieeintrichtung) zu befreien, wenn andere Mittel nicht greifen.

Das macht schon nachdenklich. Denn die nach §64 StGB untergebrachten Schuldunfähigen oder vermindert Schuldfähigen (§20,21 StGB), meist sind es Drogen- und Alkoholabhängige, sowie Polytoxikomane, -seltener schwer psychisch Kranke (§63StGB)-, sitzen dort meist wegen wiederholter Delikte im Rahmen der Beschaffungskriminalität.

Bei den nach §126a Strafprozessordnung dort Untergebrachten handelt es sich um Personen, bei denen noch vor einem Prozess, vor einem Urteil, also zur Untersuchungshaft oder zum Gewahrsam, angenommen wird, sie seien eingeschränkt oder völlig schuldunfähig, es drohe aber von ihnen eine Gefahr für die Allgemeinheit.

Wer ein wenig weiter gräbt, der findet in der Strafprozessordnung der Bundesrepublik unter §114 gar die Möglichkeit, jemanden ohne Angabe von Gründen in die forensische Psychiatrie zu stecken, wenn Belange der Staatssicherheit mit der Nennung der Gründe verbunden wären. - Ich denke, hier müsste dringlich einmal aufgeräumt werden um einen Haufen an „Wischiwaschi“-Formulierungen, die von Willigen leicht genutzt werden können, zu beseitigen.

Mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödliche Schüsse“ dürfen, nach Absatz 2 des PoG-BW, nur abgegeben werden, um eine „gegenwärtige Lebensgefahr“ oder eine schwerwiegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Beamten oder von betroffenen Passanten abzuwenden.

Selbstverständlich gibt es im Polizeigesetz die salvatorische Klausel, andere Fälle des erlaubten Schusswaffenseinsatzes seien vom Gesetz nicht berührt. Das trifft die Situationen, in denen Beamte aus unmittelbarer Notwehr schießen. - An diesen zwingenden Tatbeständen- und Umständen muss aber auch kein rechtschaffener Bürger des Landes zweifeln. Beamte, die ihr Leben risikieren, haben ein Recht es gut zu schützen.

An dem mittlerweilen eng gewobenen Netz an Gesetzesklauseln im Polizeirecht, in der Strafprozessordnung, im Unterbringungsrecht, sollten sich aber doch einmal juristisch Berufenere und die Politik abmühen, denn dort sind zu viele Einfallstore für behördliche und polizeiliche Willkürakte vorhanden. - Dieses Netz an Paragraphen verhindert auch eine ausreichende und umfänglichen Aufklärung der Ereignisse vor der Öffentlichkeit und stellt Ermittlungen oder deren Einstellung in das Ermessen der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften.

Christoph Leusch

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