Segeln für Deutschland, Anachronismus oder Zukunftsvision?

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Wofür ein Segelschiff der Marine auch in Zukunft noch gut sein könnte?

Die „Gorch Fock“, ist eine gut konzipierte, moderne Dreimastbark mit reichlich Kabinen, Stauraum, Übungs- und Schulungsräumen, und sie bietet genügend Seehandwerk an Bord. Ein segelführendes, friedliches Dickschiff, ein Wahrzeichen auf See.

Ein solches Schiff wäre doch ein geeigneter Ort für Soldaten die dringlich Hilfe brauchten, um doch noch ein besserer Offizier, ein besserer Marinesoldat oder einfach ein viel besserer Bundeswehrkamerad werden zu können. - Warum sollten wir den Segler nicht umfirmiert zu „SS (Sailing ship) Helmut Schmidt“ oder „SS Admiral Schmähling“, mit diesem viel eher sinnstiftenden Auftrag aufs Meer schicken? Mit einem neuen Namen hätte das Schiff auch erstmals einen wahrhaft eigenständigen Bundeswehrcharakter.

Das klingt jetzt sicher komisch, ausgerechnet von „irgenwie links“, das Schiff als Institution zu verteidigen, werden hier einige Leser bald schreiben. Aber vielleicht reichen ein paar gelesene Zeilen mehr, um den Hintersinn klarer zu erkennen.

Die Ausbildung macht den Soldaten, der Offizierslehrgang den Offizier

Die gängigste Meinung zu Seglern in Diensten der modernen Kriegsmarinen ist, sie dienten als ideale und strenge Ausbildungsmaßnahme für Offziersanwärter, die dann später auf den Dickschiffen und U-Booten, den Tendern, den anderen Hilfsfahrzeuge, Versorgern und Tankern der Marine Dienst tun und sie befehligen.

So wurde es bisher gehandhabt, und niemand, auch nicht der Adlige aus Franken, dacht bis vor einer Woche auch nur an eine geringfügige Änderung dieser Aufgabenbeschreibung! Offiziersanwärter absolvieren die Lehrgänge auf der Gorch Fock und lernen dort, noch einmal, bevor sie selbst kommandieren sollen, sich der Stammbesatzung, meist sind es Unteroffiziersränge, mehr oder weniger vertrauensvoll auszuliefern.

Wanten und Webleinen hochklettern, das ist ein tägliches und nicht ungefährliches Manöver auf Rahseglern. Wie die befristeten Heeresmanöver an Land, bleibt es eine gefährliche Angelegenheit, ist also immer mit einem Risiko verbunden.

Es geht für die Offizieranwärter darum, diesem Druck stand zu halten, die Furcht zu bekämpfen, sie zu überspielen und trotzdem zu handeln. - Was man von Berufsseglern verlangen kann, denn sie wissen was sie tun und tun es kalkuliert, so wie Bergsteiger oder Taucher ihr höheres Risiko kennen müssen, kann von Seekadetten nicht unbedingt erwartet werden. Es sei denn, sie wagen es freiwillig und nach ausreichender Information über das Risiko.

Von der Rahe, kann man schnell zu Tode stürzen oder in der Folge eines Sturzes, einen bleibenden Schaden erleiden. Man kann trotz Streckseil vom Schiff fallen oder von einer Sturzsee weg gespült werden, so, wie man auch im Heeresmanöver vom Panzer überfahren oder bei einer Kampfausbildung angeschossen werden kann.

Einfach nur drillmäßig täglich mit Risiko auf- und ab zu entern, das ist völlig sinnlos! Noch weniger zielführend ist, daran die Berufsqualifikation der Seekadetten für die Bundesmarine zu knüpfen. Nicht einmal als leere Drohung darf da bei Auszubildenden nachgeholfen werden!

Aber, ein solches, bewusst auf Militärtechnik und Waffen verzichtendes Schiff ans Laufen zu bringen, hart am Wind, zusammen die Segel gesetzt zu haben, sie zu reffen und zu bergen, überhaupt auf ein Ziel hin zu segeln, das ist eine uralte Gemeinschaftsaufgabe der Segelmannschaft, die sich dabei blind aufeinander verlassen können muss. Es gilt die Eigensicherung nicht zu vergessen und zu schauen, ob die anderen ihre Eigensicherung ausreichend betrieben haben. Wer Schwierigkeiten hat, dem wird geholfen, der wird nicht hoch getrieben. Es gilt, sich gegenseitig bei jedem Wetter zu unterstützen und das Schiff durch die See wieder nach Hause zu bringen. Eine Hand verlässt sich auf die andere.

Eine Sache stört bei dieser Art verschworener Segelgemeinschaft gewaltig. Wenn die Fahrt einer militärischen Qualifikation dient, dann verschiebt sich das Ausbildungsziel, die Hauptaufgabe der Schiffsmannschaft. Es geht nun um die Eignung und Ausbildung der Anwärter für ein Offizierspatent. Das stört die Kameradschaft und die Mannschaft auf See und das militärische Reglement, die soldatischen Prinzipien von Befehl und Gehorsam, verstärken diesen Effekt nur noch, obwohl alle glauben, damit sei Kameradschaft schon hergestellt.

Dieses Ziel kommt nicht aus der Aufgabe einer Schiffsbesatzung. Nun steht die Härteausbildung und der Leistungsgedanke für das Patent im Vordergrund. - Wer eine Leistung im Konkurrenzkampf auf einem solchen Schiff erbringen soll, der akzeptiert ein nochmals erhöhtes Risiko! - Die Führung der Marine, vielleicht sogar die Bundeswehrführung, denkt immer noch, das bilde die Grundlage für gute Führungssoldaten. Das Gegenteil ist aber der Fall. Denn leider widerspricht die Art der Nutzung des Segelschiffes den Erkenntnissen der Pädagogik und der Psychologie.

Die Bundeswehr müsste es eigentlich besser wissen, denn viele ihrer Führungsoffiziere erhalten Unterricht auf universitärem Niveau, genau in diesen Belangen. Einige besitzen sogar akademische Abschlüsse aus diesen Wissenschaften. Leider scheint davon nicht viel umgesetzt zu werden.

Das Schiff als Pädagogikum für den „schwierigen Soldaten“ jeden Ranges:

Wenn also die Ausbildung auf einem Segelschulschiff zukünftig nicht mehr die oberste Priorität in der Marineausbildung haben sollte, -wofür einige gewichtige Fakten sprechen, denn zu viele hoffnungsvolle junge Soldaten und Soldatinnen starben oder verletzten sich-, wofür wären dann Windjammer weiterhin gut?

Der Soldat im Konflikt mit sich selbst und mit den Kameraden

Soldaten die die Grenzen der Kameradschaft verletzt haben, Soldaten bei denen menschliche Defizite im Berufsalltag auftraten, die eben nicht kameradschaftlich handelten, die könnten von einem solchen, in der Mannschaft modifizierten Schiff profitieren und lernen. Sie müssten auch nicht gleich aus dem Truppendienst ausscheiden. Viel zu kostbar sind die ausgebildeten Soldaten und ihr Wert wird künftig noch steigen, weil die neue Bundeswehr, insofern sie überhaupt entsteht, noch genauer auswählt, noch besser technisch ausbildet.

Ein guter Ort für die Teilnahme und Wiederannäherung an die Soldaten- und Kameradengemeinschaft, eine soziale Nachschulung für konfliktbeladene Soldaten, unterstützt von Therapeuten, geschulten Offizieren und erfahrenen Seeleuten, -auch denen schadete eine Zusatzausbildung in Konfliktmanagement bestimmt nicht-, wäre dann das Segelschiff.

Zusammenhalt und Zusammenarbeit auf dem Schiff, die gewollte Enge, das Angewiesen sein auf den Nebenmann, die Nebenfrau, der Umgang miteinander, bildeten dann das neue und sinnvolle Trainingsziel zur Wiedereingliederung in einen bald lebenlang gewählten Vollberuf. Das alles, verbunden mit einer Reise, die auf einem Segler Menschen auch dem Meer auslieferte, es prägte, schulte und bildete. Vor allem aber, heilte es!

Mit einem solchen Konzept wäre der Sinn der segelnden Marine gerettet. Es geht dann nicht mehr um Rangerhöhungen, den ersten Berufserfolg, Nautik oder Waffenkunde, nicht mehr um die Konkurrenz, um die Karrierepatente, sondern um die helfende Wiedereingliederung von Berufssoldaten, die sich bei ihren Befehlen vergaßen, oder aber mit dem Befehlen und Gehorchen große Probleme hatten.

Warum die anstehende Bundeswehrreform neue Ausbildungsmethoden und eine beständige pschosoziale Begleitung braucht, und wie ausgerechnet ein solches traditionelles, langsames und eher unmilitärisches Schiff dabei gut helfen könnte?

Probleme mit dem Befehlen, dem Gehorchen und der Kameradschaft werden bei der anstehenden Reform der Bundeswehr nicht seltener, sondern viel häufiger auftreten, weil ein ausgewählteres Spektrum an Interessenten den Schritt zum Soldatenberuf wagt. Hinzu kommt, dass nach Auslaufen der Wehrpflicht, die Binnenstruktur der Bundeswehr sich nicht etwa nach außen hin offener entwickelt, sondern sich viel eher und fast zwangsläufig, geschlossener darstellt!

In einer kleineren Armee ohne Wehrpflichtigendurchsatz kennen sich mehr Menschen wesentlich länger und viel besser. - Das ist nicht nur ein funktionaler Vorteil für die anstehenden Aufgaben. Denn in einer solchen Struktur kommt es zwangsläufig zu mehr Routinen und Ritualisierungen, und eben auch zu seltsam verschrobenen Auswüchen im Verständnis von Kameradschaft und im Umgang miteinander.

Wer ein wenig Militärgeschichte kennt und ein wenig Organisations- und Sozialpsychologie versteht, der weiß, die Kameradschaft aus Not (Armee der Einberufenen) ist meist tragfähiger, als die professionelle Kameradschaft, die einerseits viel größere Nähe und Übereinstimmung bei der Tätigkeit, andererseits aber auch einen viel größeren Zwang zu Konformität und zur Einhaltung von häufig ungeschriebenen Gruppenregeln mit sich bringt.

Über solche psychosozialen Mechanismen Gedanken zu verlieren, wäre auch für Soldaten nicht ehrenrührig, sondern ein Ausweis großer Stärke! Soldaten teilen diese Anfälligkeit aus dem Berufsbild durchaus mit anderen risikogeneigten Berufen, z.B. Polizisten und Berufsfeuerwehrleuten, die ähnliche Schwierigkeiten im Binnenverhältnis ihrer Mitglieder kennen. Allerdings hilft denen die Entlastung, unmittelbar und ganz offen, für die Gesellschaft nützliche Augaben zu erfüllen. Zudem gibt es täglich, zumindest aber häufig, sichtbare Erfolgserlebnisse: Straftäter und Verdächtige werden dingfest gemacht, der Verkehr geregelt, die Feuer gelöscht, Menschen gerettet und beschützt.

Die Konzepte der Bundeswehr sind gut, nur mangelt es am rechten Gebrauch derselben

Die Soldaten bilden sich aus und üben den Tod des Gegners und den Schutz des eigenen Lebens. Das ist selbst mit der schönsten Ansprache nicht gut zu reden und bleibt ein grausamer und gerade von den Soldaten gehasster, nicht herbeigewünschter Zustand, der nicht gewollte, am besten immer abgeschreckte Ernstfall. - Wenn sie schon in der Ausbildung Methoden wählen, die das eigene Leben ohne großen Gewinn gefährden, dann stimmt etwas nicht!

Um Schaden und tödliche Gefahr von ihren Landsleuten und allen benachbarten Freunden abzuwehren, bedurfte es immer eines hohen politischen und gesellschaftlichen Legitimationsaufwandes. Das Ergebnis bleibt trotzdem immer kritisch, da sollte man sich nicht täuschen.

Die Imagination des alten Verteidigungsfalles, entsprach einer guten und glaubwürdigen Erzählung, die einen legitimen und sehr geachteten Zweck vorstellte. - Leider wurden Bundeswehrsoldaten auch in Einsätze geschickt, die mit dem Schutz ihrer Gesellschaft und Lebensgemeinschaft, mit der Sicherheit der Heimat, nur wenig oder sehr indirekt zu tun haben. Nur bedingt stellt sich z.B. eine solche Imagination für das Tun am Hindukusch ein.

Man muss hoch aufgeladene Theorien über die Verbreitung der Menschrechte und die Demokratie bemühen und dafür auch noch viele fremde Menschen töten, die nie in ihrem Leben je die Chance hätten auch nur nach Deutschland zu kommen.

Sollten die außen- und sicherheitspolitischen Planspiele einiger Beratungsgremien und Think-tanks Wirklichkeit werden, geht es bald um noch verquerere Begründungszusammenhänge, weil dann nicht mehr nur das Hindukusch, sondern die ganze Welt, einschließlich der Pole, als deutsche Interessensphäre zu gelten hätten. Wir sind schließlich eine der vier, fünf wirtschaftsmächtigsten Nationen. - Das ist also schon lange kein Uncle Toby- Sandkastenspiel älterer Herren mehr, die ansonsten keiner Fliege was zu Leid täten.

Die Bundeswehr ist eigentlich privilegiert. Denn im Prinzip, im Ideal der selbstständig entwickelten Führungsprinzipien, verfügt sie mit dem Konzept der Inneren Führung und der politischen Entscheidung, Soldaten konsequent als Staatsbürger in Uniform zu betrachten, über ein Fundament, das sie auch gegenüber manch´andere Armeen dieser Welt hervorhebt und eine große Ressource für Würde, Anerkennung und Stolz lieferte, neben der Tatsache, dass die Bundeswehrsoldaten militärisch durchaus mithalten.

Manchmal hat man als eingefleischter Zivilist den Eindruck, dass dieses Pfund von den Strategen der Bundeswehr und ihrer politischen Führung zu wenig geachtet wird. So kommt es z.B. zum immer noch zähen Festhalten der Soldaten an alten Traditionsvorbildern und alten Methoden der Ausbildung, die so gar nicht zum Typus der Bundeswehr als demokratischer Parlamentsarmee passen. Die Traditionsnamen, seltsame Ähnlichkeiten von Orden und Ehrenzeichen, zeigen symbolisch an, wo hier der Mut immer noch fehlt, sich völlig auf eine eigene, eher friedliche Tradition zu beziehen und zu besinnen.

Die Bundeswehr ist eine Armee, wie es sie auf deutschem Boden noch nie vorher gegeben hat. Der Stolz darüber wird getrübt, ja, ein wenig hässlich, wenn immer noch alte Zöpfe gepflegt werden, anstatt mutig die neue Tradition und Entwicklung anzunehmen, und sich zum „Bundesrepublikanismus“, ohne Rückgriff auf eine lange und falsche, ganz vergangene Tradition zu entscheiden.

Ein letzter Grund, warum es gut wäre, einen Segler im Namen der Marine weiterhin auf große Fahrt zu schicken

Ich gebe es zu, hier verlasse ich eine bewusst rationale Betrachtungsebene. Aber, so wie es bei der Kameradschaft auf einem Schiff, bei der Struktur einer Armee, nie nur um Effizienz und Rationalität geht, gilt auch für die „Gorch Fock“, wie immer sie zukünftig genannt werden mag, dass sie auch ein ästhetisches und symbolisches Wahrzeichen Deutschlands ist. Wer ein weißes Schiff mit Segeln, ohne Kanonen an Bord, los schickt, der signalisiert etwas. Wer sich diese friedliche und schöne Wirkung des voll getakelten Schiffes auf fast jeden Menschen der es einmal sehen durfte, zu Nutze macht, zeigt die dahinter verborgene Idee, ohne allzu viele Worte machen zu müssen. Das wirkt und wirkte auch in Zukunft!

Christoph Leusch

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