Sloterdijk und der glückliche Prinz

Geben& Nehmen Peter Sloterdijk fühlt sich übermäßig besteuert. Prompt fällt ihm die Lehre des Nehmens und Gebens ein, die ihn wohltätig werden ließe und seinen Steuersatz senkte.

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Das Märchen vom glücklichen Prinzen und von den Leistungsträgern

Wer bringt Peter Sloterdijk und das Herz aus Blei zusammen?

Terminlich klappt es bei „Leistungsträgern“, seien sie auch Philosophen oder Politiker , einfach nicht. So traf sich Peter Sloterdijk stellvertretend mit Marc Beise aus der Süddeutschen Wirtschaftsredaktion. - „Des passt scho´“. - Unter dem griffigen Titel „Wider die Verteufelung der Leistungsträger“ kreiste das Interview um die jüngsten wirtschafts- und steuerpolitischen Thesen des Karlsruher Philosophen ( www.sueddeutsche.de/wirtschaft/957/499238/text/ ).

Steuern seien zu sehr nach Maßgabe eines veralteten Menschenbildes und unter einem jahrhundertealten, dazu verkappten und geradezu absolutistischen Staatsverständnis von den Steueraktiven erhoben worden. Im demokratischen Zeitalter müsse der Mensch als gebendes und nehmendes Wesen verstanden werden und der Staat solle, mit einer Übergangsphase, von der Zwangsbesteuerung zu einer Gesellschaft der freiwilligen zivilen Großzügigkeit übergehen.

So fasst der Aufmacher zusammen, was im Interview entfaltet wird. - Wir wollen uns fortbilden, Erkenntnisse gewinnen und dazu noch ein wenig nachdenkliche Freude haben, denn der Philosoph um den es hier geht, ist in Wahrheit ein Serenus-Zeitblohm erster Güte.

„Als mäßiger Mann und Sohn der Bildung hege ich zwar ein natürliches Entsetzen vor der radikalen Revolution und der Diktatur der Unterklasse, die ich mir von Hause aus schwerlich anders als im Bilde der Anarchie und Pöbelherrschaft, kurz, der Kulturzerstörung vorzustellen vermag (Thomas Mann, Doktor Faustus).“, aber vor die Wahl gestellt, fest an den Mast gebunden, zwischen Scylla und Charybdis, ist ihm eine Zeit lang vielleicht doch die Pöbelherrschaft und ihre moderate Steuerrechnung eher genehm, als das Diktat und die Herrschaft des Thymos.

Sonst gibt es ja auch kein Medium mehr, in dem er auftreten könnte, denn der vulgärmarxistische Pöbel vernichtet wenigstens keine Kunstwerke und verbrennt keine Bücher. Super- und Überthymotiker tun das jedoch, ganz ohne Reue.

„Ernste Gedankenexperimente“, gelingen, neben den Philosophen, vor allem großen Literaten, zum Beispiel wenn sie Kunstmärchen schreiben oder Science-fiction-Welten austüfteln. Daher bot es sich an Oscar Wildes Märchen vom „Glücklichen Prinzen“ mit dem Interview zu verschmelzen, in der ernsthaften Hoffnung, es möge „psychopolitische und moralische Fragen der Zukunft“ beantworten.

Für Sloterdijk steht fest, die Art der heutigen Steuererhebung stammt entweder aus kryptosozialitischen, oder aus noch weiter zurückliegenden, absolutistischen Vorstellungen von der Rolle des Staates. Daher kenne der Staat Abgaben und Steuern nur in Form von Steuerzwang, Steuerpflicht und Steuerschuld. Er dagegen, denke an einen „Menschen des Gebens und Nehmens“ . - Wie wahr, möchte man rufen, unser Philosoph als Quelle aufsteigender und fallender Wasser, gleich einem römischen Brunnen gebend und nehmend zugleich. - Es sei denn, man sieht es wie Sascha Guitry in seinem „Roman eines Schwindlers“. Der unterscheidet nämlich auch eine Art des Gebens und Nehmens, die dem aktuellen Phänomen näher kommt:

„Es gibt Leute, die man einfach reich nennt, wobei im allgemeinen nur der äußere Schein Pate steht. Das Wort reich bezieht sich in diesem Fall nur auf das von ihnen ausgegebene Geld, das natürlich anderen zugut kommt. Von anderen sagt man wieder, daß sie reich sind. Was dann soviel heißen will, daß diese allein die Reichen sind und daß das ganze Geld, das sie besitzen, nur für sie allein da ist, und zwar nur für sie und auch für alle Zeit, während das Geld der anderen Reichen diesen doch nur vorübergehend durch die Finger fließt. (…) Ich wiederhole, reich sein heißt nicht, Geld zu haben, sondern Geld auszugeben. Geld hat nur dann Wert, wenn es Ihre Tasche verläßt. Es hat keinen, wenn es wieder dorthin zurückkehrt ( Sascha Guitry, Roman eines Schwindlers, mit Zeichnungen des Verfassers, ins Deutsche übertragen von Jean Heuser, Bertelsmann-Lesering Bd.8, Lizenzausgabe des Schuler-Verlags Stuttgart, o.J., o.O., S.27/28) .“

Er , Sloterdijk, schimpft vor allem auf andere: „Der Glaube an die Legitimität des Gegendiebstahls hat den Bankrott des Sozialismus in den dumpferen Bewusstseinsschichten überlebt - nicht zuletzt bei den intellektuell stehengebliebenen Soziologieprofessoren,...“

So macht man das in den gebildeten Kreisen heutzutage! Bitte liebe „Der Freitag“-Community, liebe linke „Gemeinde“, folgt doch nicht solchen dummdreisten Vorbildern, die nur ein wenig parfümiertere Schimpfworte brüllen, als jene die sie zutiefst verachten.

Der Herr Professor aus Karlsruhe meint damit seine Kollegen, z.B. Axel Honneth ( www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=2197674&;;;;em_cnt_page=1 ) oder auch Michael Hartmann aus Darmstadt ( www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/themen/2171312_FR-Serie-Soziale-Frage-Die-Schwachen-tragen-die-Starken.html ) , die ihre Talente, die Dinge genau zu untersuchen, nicht vergolden konnten, weil, welch ein Zufall, die nicht zu TV-Philosophen wurden, die ihre Gäste zulabern dürfen, anstatt von ihnen etwas zu erfahren.

Tatsächlich klingen Sloterdijks Antworten, wie denn der Übergang nun zu schaffen sei, wie die vulgär ausgedeutete und gewendete marxistische These vom Absterben des Staates.

Selbstverständlich würden die „evidenten Schwachstellen“ des neuen Systems nach und nach beseitigt, weil „Lernschritte“ folgten und zuletzt stürbe dann der Rest an Steuerzwang ab. Marc Beise müht sich redlich, und versucht auf die bisher schon gemachten Erfahrungen mit der Selbsteinschätzung zur Abgabe hinzuweisen. Habe ich das Gefühl der Nachbar gibt nichts, dann gebe ich selbst noch weniger.

Sloterdijk führt die Schweiz an, bei der die Kantonsbürger die Steuerhöhe festlegen, als ein erstes angenähertes Modell der Freiwilligkeit. - Was wäre aber die Schweiz, ohne die Profite aus der Wertschöpfung ganz anderer Länder auf den privaten Konten des Landes? Was wäre die Schweiz ohne den Einkauf (Wohnen, Feinmechanik, Luxusgüter, Freizeitgestaltung) der vielen Fremden? Sie wäre bettelarm und daher zieht sie die Menschen, die von ihrem Einkommen und Vermögen nur freiwillig abgeben wollen, ganz magisch und weltweit an.

Ich vermute ja, der Philosoph hatte Ärger mit der Steuerfahndung, steht vielleicht auch auf einer der berüchtigten Steuerflüchtigen-CDs und Roland Koch, bzw. Herr Oettinger, ließen, über die jeweiligen Finanzminister, diesen und andere pensionsreife Höchstleister vor dem Zugriff der Fiskalbehörde schützen, in dem man der Verjährung ein wenig durch Aufschub, d.h., durch Liegenlassen des Materials, nachhalf.

Der Philosoph ist bauernschlau und argumentiert in etwa so, wie so mancher Steuerhinterzieher, Betrüger und Schwarzarbeiter hierzulande. Gegen die steuerliche Abzockerrei, den Diebstahl an meinem Eigentum, an meiner Leistung, setze ich den „Gegendiebstahl“. So bin ich nicht besser als der Staat, denn ein „gefühlter Dieb“ greift dem anderen in die Tasche.

Real ist das zwar nicht legal, aber in den Augen des Blasen- und Sphärenphilosophen legitim. - Wo bleibt die Verhaftung, das peinliche Verhör, durch Bundesstaatsanwältin Harms? Wer in Amerika zur Steuerhinterziehung neigt und gar dazu aufruft, bekommt nicht einmal die Chance auf eine „Three strikes“ - Regel, sondern landet langjährig im Knast, und das mit vollem Recht. Bei uns kann man sich, gehört man zur Effizienz- und Leistungselite, zumindest von den allzu argen Folgen freikaufen.

Aber, wahrscheinlich ist unser Philosoph ja nur dieser andere Komtur auf der Säule, jener „glückliche Prinz“ aus Gold, mit saphirnen Augen und einem gigantischen phallischen Schwert, auf dessen Knauf ein riesiger Rubin blutrot funkelt, von dem Oscar Wilde so einfühlsam schreibt.

„Alle Welt bewunderte ihn sehr. >>Er ist so schön wie ein Wetterhahn<<, meinte ein Ratsherr, der den Ruf eines Kunstkenners zu erlangen trachtete. >>Nur nicht ganz so nützlich<<, setzte er hinzu, denn er fürchtete, die Leute könnten ihn für unpraktisch halten, und das war er keineswegs (Oscar Wilde, „Der glückliche Prinz“, aus: Oscar Wilde, Die Märchen, Das Gespenst von Canterville, Kiepenheuer, Leipzig und Weimar 1989, der Rest der Rezeptiongeschichte tut hier nichts zur Sache ).“

„Sloterdijk: Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass ich jedes Jahr beim Gemeinwesen hohe Schulden anhäufe, die ich tilgen muss, um nicht straffällig zu werden. Mir kommt es hartnäckig so vor, dass ich seit einer Weile dem Gemeinwesen etwas aus meinen Überschüssen abgebe. Im aktuellen System kann ich leider nicht mehr tun, als mir privatissime einzubilden, dies seien Spenden und nicht Bußgelder für ein Leistungsvergehen.“

Auf dem „glücklichen Prinzen“ landete eines Tages die verspätete Schwalbe, und so nutzte der Festgewurzelte die Gelegenheit endlich Gutes tun zu können und das auch noch mit gutem Gewissen. Die Schwalbe, obzwar sie zur risikolosen Überwinterung längst nach Ägypten hätte aufbrechen müssen, blieb bei ihm und diente nun als sein Bote, denn sie war eine ganz besondere Vertreterin ihrer Art, ungleich und gänzlich unterschieden von den anderen. Sie verliebte sich nämlich zunächst närrisch in ein Schilfrohr. Das war schon nicht artgerecht. Dann suchte sie Schutz vor Regen und Kälte beim Goldprinzen auf dessen Sockel, der sich so schwere Gedanken machte und sie mit seinen Tränen der Untätigkeit endlich rührte.

´Kleine Schwalbe, bringe der armen Posamentennäherin mit ihrem kranken Jungen, den Rubin aus meinem Schwert` . Die Schwalbe flog, obwohl sie doch längst nach Afrika gehörte, durch die spätherbstlich, kalte Nacht. Dabei kam sie auch am Schloss vorbei, auf dessen Balkon die hübsche Hofdame der Königin, mit ihrem Galan im Geleit, Abkühlung von der heißen Ballnacht suchte. Es war just jene Ehrendame, für die die verhärmte Alleinerziehende unermüdlich Passionsblumen auf ein Atlaskleid stickte. Die Schwalbe, ein Jüngling, wie könnte es bei Oscar Wilde anders sein, musste sich Folgendes anhören: „>> Hoffentlich wird mein Kleid rechtzeitig für den Hofball fertig.<< (...) >>Ich habe Auftrag gegeben, daß Passionsblumen darauf gestickt werden; aber die Näherinnen sind so faul.<<“

Die Schwalbe flog weiter und half, wo sie es nur konnte. Das tat ihr gut und zur ihrem goldigen Märchenprinzen zurückgekehrt, half dieser ihr mit den Worten, „>>Das kommt, weil du eine gute Tat getan hast.<<“

Für die Schwalbe wäre es jetzt allerhöchste Zeit gewesen, endlich nach Süden aufzubrechen. Aber das Standbild hatte nun Gefallen daran gefunden weiter Gutes zu tun, und es schickte die Schwalbe zur nächsten Aufgabe. -´Flieg´ zu dem jungen Poeten in seiner Dachkammer, der taugt was, hat aber nichts und muss sein Stück fürs Theater endlich fertig bekommen. Gib´ ihm eines meiner saphirnen Augen. - Wer nicht isst, kann auch nicht schreiben.´ - Wieder flog die Schwalbe los, auch wenn das ornithologisch ein Winterrätsel blieb, und tat was ihr befohlen ward. Sie sah, es war gut. Nun wollte sie Abschied nehmen, denn sie ahnte, es müsste böse mit ihr enden, wenn sie noch länger bliebe.

Aber der standfeste Goldene hatte schon eine neue Arbeit für sie. ´Kleine Schalbe flieg´ noch einmal. Da unten steht ein armes, kleines Ding und wird seine Schwefelhölzchen nicht los. Ihr Vater wird sie schlagen. Reiß´ mein anderes Auge aus und bringe es dem Mädchen.´ - Da flog die Schwalbe. Zum glücklichen Prinzen aber sagte sie, „>>Du bist nun blind, (...),so will will ich immerdar bei dir bleiben.<<“ - Der Prinz erteilte einen weiteren Auftrag, denn für ihn war „>>Kein Wunder... so tief, wie die Wunden des Elends.<<“ - Die Schwalbe sollte über die Stadt fliegen und dann berichten was sie dort gesehen hatte. Das tat die Schwalbe und gab Nachricht vom Elend unter den Menschen.

„>>Ich bin mit feinem Golde bedeckt<<, sagte der Prinz, >>das sollst du abheben, Blatt um Blatt, und meinen Armen geben; die Lebenden meinen, daß Gold sie glücklich machen könne.<<“

Die Schwalbe tat, was er ihr auftrug. Als alles Gold abgetragen war, das Denkmal grau und stumpf herum stand, da kam der richtige Winter, mit Schnee und Frost. Nun wollte der standhafte Bettelprinz, dass sein treuer Helfer endlich abflog. Aber die Schwalbe hatte sich in das Bildnis verliebt und blieb. „>>Der Tod ist der Bruder des Schlafes, ist´s nicht so?<<“, waren ihre letzten Worte und das bleierne Herz der Statue brach.

Der Bürgermeister, die Ratsherren und die Geisteswissenschaft waren sich einig. Ein so hässliches Denkmal war unmöglich nützlich und sie beschlossen, es müsse ein neues Denkmal an die Stelle des schäbigen Prinzen. Sie ließen ihn einschmelzen und stritten, wer denn nun auf den Sockel solle, der Bürgermeister, oder einer der Räte. Einig waren sie sich auch darin, den Vögeln endgültig das Sterben in der Stadt zu verbieten. Das zerbrochene Herz des Prinzen schmolz nicht und man warf es zum toten Vogel auf die Halde.

Ob Gott wirklich Engel schickte, die das bleierne Herz retteten und der toten Schwalbe ein Plätzchen im Paradiesgarten sicherten? - Ich glaube es nicht. - Aber, wie sagte der Prinz, als er noch für Gold galt: „Man darf nicht länger mit der Fiktion daherkommen, die Leistungsträger täten zu wenig und müssten noch mehr Druck kriegen. Aber die Starken bei ihrer Stärke aufrufen, das ist sinnvoll.“ -Die „Leistungsträger“ streiten immer noch, wer den auf den Sockel soll und Gold, viel Gold ist im Spiel.

Liebe Grüße

Christoph Leusch

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