Sprachlich nicht korrekt, inhaltlich Unsinn!

Erklärungswürdigkeit Kunst kommt, es widerspricht der Allerweltsmeinung, kaum ohne Erklärungen aus. Gute Erklärungen schwinden, Werbetexte und -Bilder ersetzen sie. Ist das ein Fortschritt?

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Sprachlich nicht korrekt, inhaltlich Unsinn!

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Defilove, C.Leusch

(Rebekka Bakken und das Julia Hülsmann Trio interpretieren E.E. Cummings, Love is more thicker than forget, http://soundcloud.com/electronik-aki/08-rebekka-bakken-and-julia-hulsmann-love-is-thicker-than-forget), aus dem 2003er Album Scattering Poems)

Love is more thicker than forget, E.E.Cummings

love is more thicker than forget

more thinner than recall

more seldom than a wave is wet

more frequent than to fail


it is most mad and moonly

and less it shall unbe

than all the sea which only

is deeper than the sea


love is less always than to win

less never than alive

less bigger than the least begin

less littler than forgive


it is most sane and sunly

and more it cannot die

than all the sky which only

is higher than the sky

( http://www.poetryfoundation.org/poem-alone/11427?iframe=true . Auf den Seiten der Poetry Foundation, einer unabhängigen Organisation, die sich der Erschließung der Lyrik vollkommen verschrieben hat, lohnt ein Webspaziergang. Eine solche Institution, aus dem Land der Freien und Tapferen, könnten wir getrost nachäffen, für Europa, für unser Land, das sich doch rühmt, eine der größten Bevölkerungsdichten an Dichtern und Denkern aufzuweisen)

Nichts stimmt sprachlich, an diesem Gedicht. Adjektive werden falsch gesteigert oder Steigerungsformen erfunden, wo es sie eigentlich nicht geben kann; falsche Präpositionen tauchen auf und Adverbien werden gefunden, die in der Standardsprache nicht existieren. Jedoch kann ein Dichter kaum trickreicher die Korrektheit des sprachlichen Kanons durchbrechen, um die Unauslotbarkeit eines ersehnten Zustands, immer nahe am Wahn, aber zugleich doch alltäglich und allnatürlich, vorzustellen.

Die Regelverletzung produzierte daher eines der eindrücklichsten Gedichte über und für die Liebe, aus jenem heidnischen 20. Jahrhundert.

Die Liebe als Thema, das ist ja sonst ein plattes, ausgelutschtes und vor allem rund um die Uhr besprochenes Phänomen, seit langer Zeit schon. Gemessen an der Zahl seiner Darstellungen, kommt es, zumindest bei Deutschen und Nordländern, direkt hinter dem Mord und dessen Gründen, wie Abgründen. Was wird der Liebe am heftigsten abgestritten? - Ihre Dauerhaftigkeit! Ein großer Irrtum, der nur entstehen kann, wenn man auf Scheidungsraten und Zustände der Verliebtheit starrt und gar nicht beachtet, wie die Liebe durch alle Ritzen kriecht. Nur erkennen muss man es halt und da hilft, sie in den sprachlich erfundenen Steigerungen und Verkleinerungen zu erkennen.

Hat man das bei E.E. Cummings nachvollzogen, dass Poesie sich sprachlich anstrengen und ausdehnen muss, sollte es nicht schwer sein, solche Gedanken, die haften bleiben, auch wieder in einem Eichendorff- Gedicht oder bei John Donne zu finden, gar der Sappho zu lauschen und das nicht gleich schon wieder für altertümlich zu halten. Sappho wusste, dass die beste Begleitung der Poesie eine Lyra ist und von daher öffnet sich der Weg, heute nicht nur rein geschriebene Lyrik als solche Form zu akzeptieren, sondern anzuerkennen, dass Sänger und Songschreiber auf gleicher Höhe das Metier betreiben und sogar einen zusätzlichen, sinnlichen Kanal öffnen. Vielleicht haben die ersten Individuen der Gattung, ihr Glück und Unglück eher vertont, als es in irgend ein Medium einzukratzen.

E.E. Cummings „Love is thicker than forget“, ursprünglich hatte das Gedicht gar keinen Titel, lässt sich wunderbar singen. Tatsächlich sind viele Cummings- Gedichte, auch zu ganz anderen Themen, geradezu dafür gemacht, mit lauter Stimme und sinnstiftender Prosodie, wenn nicht gesungen, dann wenigstens belebt gesprochen zu werden.

http://3.bp.blogspot.com/-db5VV0tJfWM/VbJsLrSw7pI/AAAAAAAABPQ/IReDw4WY_yI/s640/Silent%2Blov%25C2%25B4%252Ckorr4%252Cabwedel%252Bquad%252C250514.JPG

Silent Lov´, C. Leusch

Kunst, wie Liebe, darf man nicht erklären müssen!

>>Kunst darf man nicht erklären müssen!<<

Das ist der größte Blödsinn der formuliert werden kann, denn darin besteht der eigentliche Anlass, überhaupt Kunst zu produzieren und zu rezipieren, die sonst eine Privatangelegenheit des Kunstschaffenden und seiner stummen Liebhaber bliebe. Ohne Vermittlung, keine Wirkung!- Das widerspricht so mancher Alltagsgewissheit, die fest davon überzeugt ist, sie erkenne Kunst und wisse zudem von selbst um Qualitätsunterschiede. Die Realität sieht aber anders aus. Es gibt ohne Wissen, ohne den Willen zu wissen, keine wirklich überzeugende Wahl, über die Aussage, gefällt mir, gefällt mir nicht, hinauszukommen. Auf Dauer und verallgemeinert, wäre das für eine Kultur mit Künsten einfach zu wenig.

Interpretationslos ist Kunst also gar nicht gerechnet. So kann sie gar nicht sein, außer bei jenen, die nur an ihrer Verkürzung, an der Möblierung eines scheckheftgepflegten Daseins oder am aktienähnlichen Dasein der gesicherten Werke, in ökonomisch gut ausgestatteten, privaten Blasen interessiert sind, oder ausschließlich ihre Existenz als Fan- und Konsumkultur für erstrebenswert erachten.

Die Künste sind prinzipiell offen und einzelne Kunstwerke verstehen es gar, so zu verstören oder so glücklich zu machen, dass jede Generation erneut versucht, sie für sich zu entschlüsseln und aufzusagen. Was ganze Kulturen leisten, darunter sollte man es auch selbst nicht tun wollen, ohne damit große Ansprüche zu verbinden. Vor allem wäre jedoch zu vermeiden, in den Modus des ersten Blicks, der entweder sogleich verwirft oder sofort anerkennt, jenen Hochmut des eigentlichen und eigenen Nicht-wissen-wollens, zu verfallen.

Reicht schon der singuläre Verstand kaum hin, einfachste Sachverhalte aus Wissenschaft und Technik auf den Punkt zu bringen, scheitert unsere Prognose- und Erkenntnisfähigkeit schon an ganz alltäglichen Dingen, so sind doch nicht gerade wenige unter uns, die in Sachen Kunst und Kunstproduktion entschiedene und abschließende Urteile nicht nur für ihr privates Stübchen pflegen, sondern davon andere unbedingt überzeugen wollen.

Kastenteufel sind ´s, sage ich, Jacks out of the boxes, mit langer Spiralfeder unten dran. Die müssen, für den nächsten Auftritt, erst einmal wieder ins Kasterl zurückgedrückt werden, bevor man allenfalls aus Spieltrieb, den Mechanismus wieder einmal auslöste und dann herzlich lacht.

Da setzte an, in allen Medienformen und Formaten, die noch was auf sich halten, nicht die besten Kenner einzusparen, sondern sie eher ständig und anständig beschäftigt zu halten. Alles andere ist garantiert der Untergang des Abendlandes, ganz ohne bomfortionösen Knall, einfach durch die Schwindsucht an Erklärungen und den alltäglichen Gedankenkrebs an Meinungen. Kunst und Kultur brauchen Erklärung und Kritik, nicht aber notwendig die Abstimmung mittels Quoten.

Erst verschwindet die Wissenschaft aus den Zeitungsseiten und vom Web, dann die Kultur. Übrig bleibt die Wimmelstrecke, das Chartunwesen und viel Small Talk, kurzum, dieser ganze Testimonial- Käse.

Boykottiert Charts, boykottiert die ewige Wiederholung dessen, was schon alle wissen, ahnen, denken, hören, sehen. Mit Kunst und Wissen haben die allfälligen Abstimmungsergebnisse und Festlegungen meist gar nichts zu tun, sondern sie entsprechen nur jener Anmaßung, die uns die Werber täglich entgegenschleudern: "Konsum ist gleich Kunst!" und "Was viele gut finden und vorgeblich verstehen, muss schon daher Kunst und von Wert sein.", und: "Kunst dient deiner sozialen Distinktion". Dergleichen ikonische Sprüche konfektionieren Kunst vorab zur Industrieware, auch wenn eben das Preisschild und der irgendwo abgenommene Name, er muss eine Erinnerungsspur liefern, oftmals die einzig ausgelesenen Infobits bleiben.

Christoph Leusch

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