Überlebensprinzip Missverständnis?-Kurze Replik auf Michael Pickardt

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Überlebensprinzip Missverständnis?

Eine kurze Replik auf Michael Pickhardts Widerspruch zu meinem Artikel, „Das Bauhaus der grünen Idee“, im „der Freitag“, Nr. 26.

Das größte Missverständnis kommt gleich im Teaser daher. „Mensch und Umwelt als Gegner“ in einem „Kampf“.

Nein, davon handelte mein Beitrag nun überhaupt nicht. - Warum nicht? Weil ich nicht ein Wort dazu schrieb und es seit ungefähr ein- oder zwei Jahrhunderten, -wann und wie genau, das ist was für Bücher und ganze Bibliotheken Stoff-, auch keinen ernst zu nehmenden Gegner „Natur“ mehr gibt. Das räumt Michael Pickhardt selbst ein.

Ich schrieb, dass die meisten schwerwiegenden Eingriffe des Menschen in die Natur nicht etwa zielgerichtet und nach einem gemeinschaftlich beschlossenen Gestaltungsplan erfolgten, sondern weitgehend voneinander unabhängig und eher durch von ökonomischen Interessen geprägten Entscheidungen beeinflusst.

Mein Text handelte hauptsächlich von den Naturschützern, von ihren Motiven, ihren Absichten. Nämlich mit großer Kunstfertigkeit und Künstlichkeit, hier bei uns, Naturresevate und Schutzgebiete einzurichten, die andererseits von eine nicht kleinen Zahl von Mitbürgern, als Relikte, als funktionslose und vor allem nicht profitable, dazu unscheinbare und unattraktive Zonen eingeschätzt und somit abgelehnt werden.

Warum also Auenwälder und Feuchtbiotope, mit den ach so laut quarkenden Fröschen, bei uns retten oder sogar neu anlegen, und nicht eine ordentlich begradigte und leistungsfähige Wasserstraße mit deicharmierten Grünlandpoldern und Hochwasserschutzmauern verwirklichen? Noch einmal um 1- 1,5 Meter vertieft, verbreitert ausgebaggert, könnten größere Schiffe fahren, könnte auch mehr verdient werden. - Jedenfalls glauben das die Anhänger solcher Pläne und nutzen es als Hauptargument.

Drumherum könnte man den bewirtschafteten Landschaftsraum mit relativ wasserfesten Weiden-Energiepflanzenheistern vollsetzen, damit in Zukunft Deutschland auf dem Weg zur Autarkie, 25% seines Sprits aus Biomasse bezieht. Es gäbe immer noch einen Haufen Zeitgenossen, die auch das wunderschön fänden. - Genau so gestrickt, sehen nämlich manche ingenieurstechnischen Träume aus. Bei großen Staudammprojekten in Indien, China, oder in der Türkei, oder beim Flussausbau am Rhein-Main-Donau-Kanal und an der Elbe, wurden diese Ziele bisher auch weitgehend umgesetzt.

Warum also nicht nur Seen und Flüsse als Transportwege, Wasserresourcen und Freizeit-Resorts planen und verwirklichen, sondern daneben auch diese eher bescheidenen, kleinen, unscheinbar wirkenden, kontemplativen, allenfalls vorsichtig und möglichst geführt betretbaren Biotope? - Fachleute sprechen bei diesen Flächen von hoher „Trittsensibilität“ und hoher Störanfälligkeit. - Warum also gestufte Waldrandzonen und stärkere Auslichtungen, warum wieder extensive Weidewirtschaft?

Warum andererseits weitgehend eingriffslose Flächen, hier bei uns in Europa, anstatt nur Nutzwälder für die Energie-, Baustoff- und Papierproduktion und den Naherholungswald für den Trimmpfad? - Ich habe versucht, Leuten eine gedankliche Brücke zu bauen, die Arten- und Biotopschutz hierzulande eher belächeln, damit also sprichwörtlich nichts anfangen können.

Denn wenn die, von uns künstlich und kunstfertig erhaltenen, Naturräume zusätzliche Funktionen (Tourismus, Hochwasserschutz) bekommen, wenn sie Teil unserer stolz vorgezeigten und fortgeschriebenen Kultur sind, dann bleiben sie erhalten und sind weniger gefährdet, einer allgemeinen Rücksichtslosigkeit oder dem Ausbau anderer, ökonomisch ertragreicherer Funktionen zum Opfer zu fallen. Das war der eine Kern meines Beitrags. Künstlichkeit und Kunstfertigkeit ist hier wirklich eine Existenzfrage und auch eine Frage intelligenter Technik und systemischer biologischer Wissenschaft.

Gerade entgegen der Unterstellung, ich forderte eine Rückkehr zum Zustand vor der agrarischen und industriellen Revolution, habe ich doch ausdrücklich darauf verwiesen, dass in Mitteleuropa Artenreichtum und landschaftliche Vielfalt mit dem kulturellen und gemeinschaftlichen Natureingriff des Menschen verbunden war. Hier, bei uns, kam der Artenreichtum mit dem aktiven Menschen und mit seinem Willen zu überleben an.

Aber die technischen Mittel, vor allem die aus ökonomischen Nutzungsansprüchen entstehenden Forderungen bedrohen in neuer Zeit den einmal geschaffenen Reichtum. Wegen der Naturferne unserer Lebensweise, - Artenvielfalt wird z.B. oft überhaupt nicht erkannt oder als bedrohlich und unübersichtlich erlebt-, fehlt weitestgehend das Bewusstsein für „nutzlose“ Naturräume, für das „Gestrüpp“.

Ich ziehe also sicher nicht allein in den Wald, gründe kein Walden III, will nicht 500 Jahre zurück, sondern hoffe auf einen Zeitgewinn durch kluge Beschränkung unserer tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten, dort wo es wirklich darauf an kommt. Für uns in Mitteleuropa plädiere ich für einen kunstvollen und naturschützenden Eingriff. Für die Stadt schwebt mir eine „grüne Stadt“ vor. - Was ist daran arrogant, stereotyp, ohne Bezug zu den Lebensverhältnissen der Menschen?

Renaturierte Flussauen und Pferderassen-Rückzucht, das waren ja Jakob Augsteins Beispiele, müssen kunstfertig wieder geschaffen werden. Ich würde noch dazu schreiben, die renaturierte Emscher- und Ruhrlandschaft, die in der Nähe liegenden Schlacken- und Haldenbiotope, sind unbedingt schützenswert und dürfen nicht der Sukzession verfallen. Das kostet Mühe, Hirnschweiß und auch Geld.

Einen wichtigen, nicht an die biologische Funktion gebundenen Grund gab ich an: Diese Flächen sind in mehrfacher Hinsicht bewusstseinsbildend, weil sie extreme Sorgfalt und Beobachtungsgabe erfordern und unsere Fähigkeit zur sensiblen Differenzierung steigern. Mir „menschenverachtende Fantasie“ zu unterstellen, das Fragezeichen kaschiert das ja hier nur halbwegs, bei mir einen „Rousseauismus“ (Welchen Rousseaus zudem, denn ich kenne mindestens drei Denkhaltungen bei ihm. Die des „Gesellschaftsvertrags“, die des „Émile“ oder die der preisgekrönten Schrift zur Ungleichtheit unter den Menschen.) zu vermuten, es ist ja nicht anerkennend, sondern spöttisch gemeint, das ist schon stark, hat aber mit meinem Text nicht viel zu tun. - Gerade das Gegenteil versuchte ich klar zu machen. Es ist mir offenbar nur unvollständig gelungen.

Die Idee vom „grünen Bauhaus“ ist eine Analogiebildung, um zu verstehen, um was es dabei geht. Im Denken vieler Fachleute und vieler Laien steht das Bauhaus für Nüchternheit, Kargheit, völlige Sachlichkeit und Farblosigkeit. In Wahrheit hatte die Bauhauslehre einen ganzheitlichen Ansatz, ging sehr bewusst und differenziert mit Farbe um und bedachte immer das Umfeld und das „Überlebensprinzip der Communitas“. Das wurde nicht nur gemeinschaftlich gelehrt, sondern auch gelebt und danach, bei Projekten, gehandelt. Dieses Wissen und die Vorgehensweise könnten ja durchaus helfen, dass der Mensch nicht nur „in den Städten leben muss“, sondern dort leben will und das viel besser könnte, als heute. Jedenfalls arbeiten ja einige „Besserwisser“ daran, das Bauhausklischee zu überwinden, zu unser aller Nutzen.

Nun, Michael Pickhardt findet nur eine Stelle meines Artikels wirklich spannend. Den Rest, ja, eigentlich all´ das, was hier obendran noch einmal steht, kennt er schon und weiß längst darum. - Darum ist ihm langweilig. Das ist sein gutes Recht. Ich finde allerdings, er wird den Inhalten meines Beitrags damit nicht gerecht.

Ich schlug vor, die kategorischen biologischen Unterschiede in den Naturbedingungen Europas und weiter Teile Nordamerikas, im Vergeich mit den Biotopen auf der Südhalbkugel und um die Pole, aber auch in der borealen Zone im Norden Eurasiens und Amerikas, ernst zu nehmen. Eine Streuobstwiese ist eben kein tropischer Regenwald, keine Taiga, keine Tundra, obwohl sie bei uns als eines der artenreichsten Biotope überhaupt, von Menschenhand geschaffen wurde.

Die eigentliche Gefahr droht den lebenswichtigen Großökosystemen der Erde, vor allem wegen des technischen und industriellen Könnens des Menschen und der alles durchdringenden Ökonomisierung. Ohne Frage sind wir heute in der Lage, den Regenwald komplett ab zu holzen und die Ozeane so zu versauern, dass die oberste, durchlichtete Meereszone, eine der Haupt-Biomasseproduktionsflächen der Erde, als Regenerationsraum ausfällt. Ob wir unbewusst oder systematisch vorgehen, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

An diese Stelle tritt dann eventuell, so eine, zugegeben derzeit noch zugespitzte Fantasie, die Pflanzenproduktion für den Weltmarkt (Nahrung, Futterpfanzen, Energiepflanzen), die Tiermast auf mageren Böden oder in ausschließlicher Stallwirtschaft, die dann selbst wieder Grünland als Futterpflanzenland und Fischproteine braucht, und natürlich die Grabung nach Bodenschätzen. An die Stelle der noch weitgehend unberührten Biome tritt eine technisch kontrollierbare „Nutz- und Zier- Pflanzen- und Tierwelt“, die aber nicht etwa einen positiven energetischen und klimatischen Output hat, sondern zum Energieverbraucher, über das naturinhärente und bilanzneutrale Photosynthesesystem hinaus, wird, die ständig Nachschub von anderen, nährstoff- und mineralreichen Flächen, sowie die intensive „Pflege“ des Menschen braucht.

Die menschlichen Mittel reichen aus zur Vernichtung, während der zerstörerische Komet noch lange nicht in Sicht ist und höchstens wieder einmal im Sommerloch fantastisch vorbei fliegt. Derzeit schreitet die Zerstörung ohne erkennbare Verlangsamung oder Endpunkt in vielen solcher, „Biome“ (Großökozonen) fort. Das Gleiche gilt für unser Potential, durch Überfischung, Ausbeutung der Meeresböden und den Folgehandlungen zur Deckung unseres derzeitigen Energieverbrauchs, die großen ozeanischen Lebensräume, viel genauer noch, deren grundlegende und für uns notwendige Erneuerungszyklen zu zerstören. In Teilen der Weltmeere macht sich das schon für viele Menschen, die nicht auf dem Oberdeck eines Kreuzfahrtschiffs, eines Tankers, eines Trawlers, oder eines Containerschiffs stehen, sondern dort an den Küsten leben müssen, leidvoll und deutlich bemerkbar.

Über die Entwicklung der Gattung „Homo“ zu lesen ist immer spannend und selbstverständlich ist es schön und ein Zeichen von Hoffnung, wie sich der Mensch aus eigener bewusster Tätigkeit zum Weltenherrscher machte. Gemeinschaftlich, oder doch mehr individualistisch, interessesengeleitet oder eher spielerisch. Michael Pickardt berichtet dazu und das ist gut so. Ich könnte es sofort unterschreiben.

Ich weiß derzeit auch nicht, wie die ablaufenden Zerstörungsprozesse in den großen Ökoräumen, die man eigentlich wissenschaftlich und politisch seit der Konferenz von Rio beherrschen und letztlich verhindern wollte, als Beitrag und Zeichen gemeinschaftlicher Entscheidung und Übereinkunft, doch noch zu einem Stillstand gebracht werden könnten. Ein Fünftel, bald ein Viertel des Regenwaldes, darunter fast der gesamte Ostküstenregenwald Brasiliens, ist schon weg und Satelliten dokumentieren die rapiden Regenwaldverluste an der Grenze zur südlich und westlich gelegenen Steppen- und Weidelandschaft, jedes Jahr erneut.

Auch stimmt die kategorische Behauptung nicht: „Eingriffslos hieße ja auf ­jeden Fall auch grenzenlos.“ - Genau vom Gegenteil schrieb ich! Wir müssen uns Grenzen setzen und wenn wir es nicht tun, ziehen die geschaffenen Verhältnisse uns Grenzen. Das Ökosystem Erde ist keine Erfindung von ein paar ökologischen Spinnern, sondern schon eine Weile lang eine anerkannte wissenschaftliche Betrachtungsweise, der eher nur wenige Experten widersprechen. Warum sollten es Linke und „der Freitag“-Leser als Kassandrarufen und apokalyptisches Gefasel abtun? Etwa nur deshalb, damit auch Linke weiter machen wie bisher?

Die möglichen Einsichten richten sich überhaupt nicht gegen die Menschen, die sich z.B. aus Not und dem Willen für sich ein besseres Leben zu schaffen, ein paar Hektar Urwald holen und es urbar machen. Die waren und sind nämlich im Prozess der Zerstörung der kleinere Teil. Die Urwaldflächen und die Weltmeere werden nicht in deren Namen erschlossen, umgepflügt und umgegraben, nicht für deren besseres Leben, sondern hauptsächlich in unserem Namen, auf unsere Rechnung und zu unserem Nutzen. - Zugegeben, für den Katzentisch fällt manchmal auch was ab.

Ja, tatsächlich, Wissenschaft, Landwirtschaft und Technik schaffen uns eine hohe Lebenserwartung und die Wahlmöglichkeiten zwischen einem Sonntagsbrunch im Café- Kranzler, einem Ski-Weekend in den Alpen und einer Shopping-Tour nach New York. Aber deutlich anders sind die Verhältnisse dort, wo die reale materielle Basis für unsere Chancen tagtäglich erzeugt wird.

Christoph Leusch

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