Präsidentenwahlen, Weiterentwicklung der Demokratie, oder postdemokratisches Klüngeln?
Die Franzosen bekommen eine echte Wahl! Wir Deutsche hingegen, schätzen es sehr, wenn wir einen „vorgesetzt“ erhalten, der uns als Musterdemokrat, gar als reisender „Demokratielehrer“ vorgestellt wird. Denn mit der Demokratie haben wir es immer noch nicht so recht leicht. Ohne Gauck und Merkel stünden gar 15-17% der Bevölkerung ostwärts unter Generalverdacht, oder?
Wir wollen also einen, der von (fast) allen Medialisten und, über den täglichen Wochen-TED, digital wie analog bestätigt, von sehr vielen Bürgern verehrt wird, und nun, nach Absprache der Parteiführungen, eine übergroße Mehrheit der Wahlmännerstimmen in der Bundesversammlung vorweg sicher hat. Da kann nichts mehr schief gehen! - Allerdings, von Adel und jung-familiär ist er nicht, was des Volkes Glück noch einmal deutlich hätte steigern können.
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Das Sprichwort mag, wie alles alltäglich so dahin Gemeinte und dahin Gesagte, irgendwie auch stimmen. Aber ein anti- und eben nachdemokratisches Geschmäckle hat der Umstand schon, dass nun schon früh fest steht, wen diejenigen Parteien, die sich selbst allein für übermächtig repräsentativ und demokratisch halten, als Einheitskandidaten aufstellen und dann wählen lassen. - Dieses Mal gibt es also gar keine echte Wahl, sondern nur eine (fast) einheitliche Akklamation!In einer gewaltigen Selbstüberhöhung von Grün bis Bayern schwarzweißblau, fühlen sich alle wesentlichen Parteidemokraten dieses Landes nur noch von Gauck vertreten.
Ihr eigener Ruf ist angeknackst, und daher sind sie umso mehr stolz, ihn, die „Lichtgestalt“, schnell und vorab, wiedergefunden oder endlich entdeckt zu haben! - Er kam aus Wien, mit dem Flugzeug, gänzlich „ungewaschen“, direkt zur Bundespressekonferenz. Von seinem fabelhaft untadeligen Ruf wollen sie irgendwie alle profitieren.
„Das beschädigte Verhältnis der Bürger zur Politik“ soll er heilen, nach dem Scheitern jenes „Schnäppchen- und Mitnehmer-Wulffs“, obwohl dies doch nur durch handfeste politische Taten und tatsächliche politische Wahlmöglichkeiten geschehen könnte, und auch zukünftig, durch noch so viele Worte des nun bald weisen Präsidenten, nicht stellvertretend zu erreichen ist.
Sogar jene, die Gauck einst nicht wählen wollten, aus dem Großkreis der Musterdemokraten, zeigen sich nun ganz einsichtig. So zum Beispiel unsere Kanzlerin Angela Merkel und die ganze Rösler-FDP, die aus Profillosigkeit hurtig, per Telefon- und SMS -Absprache, sofort auf den Profilierten verfiel, den sie noch vor Monaten nicht ins Amt hatte wählen mögen.
Sie beißen nun (fast) alle in den sauber genormten und bestimmt staatstragenden Gauckapfel: „Seht liebe Bürger, wir hören endlich auf euch, die ihr euch seit Jahren, über Teleabstimmung und Straßenbefragung, schon für ihn entschieden hattet. Sonst kennt ihr ja auch niemanden! Weil ihr euch nicht einen ganz anderen, ganz unbekannten Kandidaten vorstellen konntet, wolltet und solltet, bekommt ihr nun euren Wunschmann!“ - Bei Krieg und Frieden, bei Wirtschaftsthemen und anderen wichtigen sozialen Fragen, bei Großbauprojekten und Infrastrukturentscheiden, freilich, da bleibt alles beim Alten, so wie es hier, mit der Lösung der ersten Personalie im Staate, letztlich auch beim Alten blieb. - Nur hat das die breite Öffentlichkeit noch gar nicht gerafft!
Nicht einmal ein Gegenkandidat (m/w) lohnt sich nun, weil die Übermacht der Wahlmännerstimmen (m/w) ein so eindeutiges Zeichen setzt. - Bleibt es beim Einheitswunschmann und bei der Einheitspolitik der weniger verehrten, aber stets geduldig immer wieder erwählten Parteien, dann ändert sich politisch nichts! Ob das Volk mit einem Wunschpräsidenten- Kandidaten als „Geschenk“ aus Parteiführungshänden schon zufrieden ist, wird sich erst noch zeigen.
Vielleicht ist es bisher nur wenigen Zeitgenossen ins Bewusstsein gedrungen, dass im innigen Wunsch einer Mehrheit von mehr als vier Fünfteln aller Bundestagspolitiker, und im noch viel größeren Wunsch derer Parteiführungen, im Vorgriff auf die mutmaßliche Haltung der übergroßen Mehrheit der Wahlmänner, ein doch recht post- und undemokratisches Element, nämlich eine durch und durch aufrichtige und wortmächtige Symbolfigur als Einheitspersönlichkeit zum „Herrn von Staat“ zu erklären, ungesunde Einheitsvorstellungen weiter wabern, die rückschrittlich, nicht fortschrittlich genannt werden müssen.
Diese derzeit glücklich machende Staatsaktion, die mit dem Kern der politischen Demokratie wesentlich sehr wenig, mit dem Gedanken es färbe davon etwas auf die Realpolitiker ab, allerdings sehr viel zu tun hat, bekommt auf diese Art einen unschönen „Hintersteller“ im demokratischen Bildausschnitt.
Selbst Gauck, der doch zukünftig unsere Demokratie wieder beflügeln soll, so der unisono geäußerte Wunsch aller Parteiführungen, -mit Ausnahme der linken „Schmuddelkinder“, die gar nicht erst an den Klüngel-Tisch gebeten und befragt wurden- , unterließ es, in den ersten Stellungnahme auf diesen eher peinlichen Seitenaspekt seine Ernennung als einziger aussichtsreicher Kandidat, die nun wie ein demokratisches Pfingstwunder verkauft wird, einzugehen. - Allenfalls seine Äußerung, er wolle sich nicht auf Vorschusslorbeeren ausruhen und hoffe künftig durch Taten, -die dann wohl Reden sind-, erfüllen, was man sich von ihm erwarte, lässt noch Möglichkeiten offen.
Der deutsche Bundespräsident ist kein Grüßaugust und kein Apanagejäger, auch wenn blöde Blogger, dumme Medialisten und Leute die jetzt im Karneval oder länger schon am Tresen einen Witz machen wollen, zu solchen Formeln gerne greifen. - Wird aber Herr Gauck in der Lage sein, die dringliche Reform des Amtes, die allein auch ein Mehr an Demokratie brächte, nämlich es zukünftig vom Volke wählen zu lassen, voran bringen, oder wird er uns die Umstände seiner Auserwähltheit durch Akklamation der wichtigsten Parteiführer (m/w), als eigentlichen Gipfelpunkt und Hochpunkt demokratischen Gebarens verkaufen wollen, uns also belehren, die Demokratie bedeute recht eigentlich Einheitsdenken zu leitenden Personen und zur Sache selbst? Die Formalität besteht dann in der Wahl an sich, die doch verklärt als Grundeigenschaft der Demokratie gilt, ob Kandidaten nun die Wunschprojektion der deutschen Öffentlichkeit sind, oder aber, nur Zustimmkandidaten der Kanzlerinnenmehrheit waren. - Das ist so nicht gut, denn nur reale Wahlmöglichkeiten begründen wirkliche Demokratie!
Auf der Pressekonferenz zu seiner Kandidatenkür klang es fast so, als freue er sich von allen Anwesenden benannt worden zu sein. Das ist in Wahrheit ein schlechtes Zeichen für die Demokratie, die nicht aus dem Konsens leben kann, wenn sie überhaupt noch leben will. - Diese Wahl des Bundespräsidenten bleibt, trotz aller Jubelchöre, in der Art und Weise ihres Zustandekommens eine Wegmarke in die Postdemokratie, die sich zwar oberflächlich fluide, nämlich nach der Dauerbefragung, digital und analog medial ausgerichtet gibt, in Wahrheit aber in prächtig aussehenden, pseudodemokratischen Gemeinschaftsakten der politischen Führung erstarrt.
Nun aber zu Frankreich, dem Land einer tatsächlichen Wahlmöglichkeit 2012, Teil III
In Teil I und II dieser Trilogie,- Heimlich ist es eine Tetralogie, denn der Artikel zum Wahlteam Hollandes gehört zwingend dazu!-, ging es um die Anteile des Wahlprogramms des Herausforderers, bei denen er in den Kernthemen der Sozial- und Wirtschaftspolitik gänzlich andere Vorschläge macht, als jene, die der „L´ Homme pressé“ im Amt vertritt.
Hoffentlich wurde deutlich, dass in Frankreich derzeit eine Richtungswahl ansteht, und es nicht nur um den Austausch von politischen Figuren geht, die nichts anders, aber natürlich alles viel besser machen wollen, als die jeweiligen Konkurrenten. Für solche Mätzchen, kann man sich Merkel, Schröder oder den Josef Fischer wieder erwählen, beziehungsweise in einem Jahr die große, schwarz-rosarote Koalition, mit SPD-Troika und Angela Merkel wieder an die Schalthebel der Macht bringen. - François Hollande und die Parti Socialiste de France repräsentieren aber sicher nicht eine umgefärbte Phänokopie des jeweiligen Regierungslagers!
IV Was eine Erneuerung der Demokratie einleiten könnte
Die Laizität, die strikte Trennung von Kirche und Staat, ist in Frankreich ein wichtiges Thema. Dort wäre undenkbar, dass der Staat in fiskalischer, sozialer und arbeitsrechtlicher Hinsicht der Kirche auserordentliche Privilegien einräumt und sich in bestimmten sozialen Teilbereichen (Krankenhäuser, Heime, Kindergärten und Schulen), auf regionaler Ebene sogar abhängig macht. François Hollande möchte das Gesetz zur Laizität aus dem Jahre 1905 in die französische Verfassung integrieren. - Hier wird er den hartnäckigen Widerstand der Konservativen und der christlichen Religionsgemeinschaften überwinden müssen. Sonderrechte, die dann "verewigt" gälten, blieben allerdings auch unter der Verfassungsänderng in Elsass-Lothringen und in Übersee weiter bestehen.
Das Ende der Allmacht des Élysée
Heilige Kühe muss der Sozialist schlachten, wenn er das Folgende umsetzt: Nach dem Missgeschick mit Jacques Chirac, glaubt Hollande, der absolute Immunitätsstatus der Präsidenten gehöre auf den Müll der Geschichte. - Das ist unerhört, denn die Machtfülle des Präsidenten schloß in der Vergangenheit auch ein, Verbrechen im Namen des Staates zu begehen, in dem man sie anordnete, ohne offiziell davon zu wissen. - Man denke an die Versenkung der Rainbow Warrior I durch französische Geheimdienste 1985.
Mit seiner Wahl an die Staatsspitze geriete zudem der Haushaltstitel für das eigene Amt und die Bezahlung der Minister unter Reformdruck. Hollande möchte da um 30% kürzen. - Ob unter diese Einschnitte auch die notorischen schwarzen Kassen des Präsidenten der Republik fallen? - Mit Pierre Moscovici beschäftigt der Kandidat einen der schärfsten Kritiker dieses präsidialen Schattenreichs als Wahlkampfleiter. Einst hatte der Übersozialist Mitterand meisterlich, aber eben auch skrupellos, diese Kassen zu nutzen verstanden.
Der Nationalversammlung sollen mehr Kontroll- und Initiativrechte eingeräumt werden, insbesondere im Hinblick auf die Vergabe der höchsten ministeriellen Staatsämter, die nicht mehr unwideruflich vom Präsidenten vergeben werden könnten.
Mit der Amtszeit Hollandes wäre das Ende der Ämterhäufung gekommen. Bisher konnten Mandatsträger mehrere öffentliche Wahlämter, Amtstellen und Verwaltungsfunktionen nebeneinander ausfüllen. Manche Abegeordnete sind gleichzeitig im Regionalparlament oder -Rat und üben auch noch bezahlte Verwaltungsfunktionen in einer Kommune oder einem Stadtbezirk aus. Hinzu kommt die ehrenamtliche Verflechtung und Verfilzung, wie man sie auch hierzulande aus der Kommunal- und Landespolitik gut kennt.
Mandatsträger die der Korruption überführt werden, sollen für zehn Jahre ihre Wählbarkeit verlieren.
In allen diesen Vorschlägen äußert sich der Schrecken, der sich mit der Verurteilung Jacques Chiracs wegen Vertrauensbruchs und Untreue im Amt in Frankreich Bahn brach. Man spürt den heiligen Zorn, denn der Ex-Präsident ist nur eine Zacke des Eisbergs. Vieles wird weiterhin durch „Sündenböcke“ abgedeckt und geschützt.
Hollande möchte das Ausländerwahlrecht auf lokaler Ebene für jene einführen, die länger als fünf Jahre im Land leben.
Eine kleine Revolution stünde im Medienbereich an. Bisher konnte der Élysée auf die Besetzung der staatlichen TV- und Radiosender-Intendanzen, sogar auf die Leitungsebene darunter, Einfluß nehmen. Zukünftig sollen unabhängige Gremien die Auswahl und die Einstellungen vornehmen. Hollande möchte die staatliche Nachrichten-Agentur AFP, Agence France Presse, als unabhängiges Medium erhalten und er drängt auf eine allgemeine Verbesserung des Quellenschutzes für die Presse, der bisher schlechter rechtlich verankert ist als in Deutschland.
Wie in manchen deutschen Bundesländern, u.a. in Rheinland-Pfalz, wurden in den letzten Jahrzehnten auch in Frankreich lokale Polizeiwachen geschlossen. Die Sozialisten wollen das nun rückgängig machen. Ihr Konzept nennt sich „Nouvelle sécurité de proximité“, „Neue Sicherheit in der Nachbarschaft“. Die zusätzlichen Stellen bei der Polizei und Justiz, 1000 jedes Jahr, sollen nicht gestreut im Land verteilt werden, sondern vorwiegend an sozialen Brennpunkten zum Tragen kommen.
In Frankreich sitzen mehr Jugendliche und junge Männer im Knast als hierzulande. Hollande möchte die Bildungszentren hinter Gittern, die einen Schulabschluss vermitteln, auf eine Gesamtzahl von 80 bringen. Bisher existieren nur sechs dieser Einrichtungen, die zudem mit der Gewalt unter den Häftlingen und erschreckenden Fällen von Selbstötungen zu kämpfen haben, deren Ursache bisher nicht hinreichend aufgeklärt wurde.
Die Erneuerung der Demokratie aus der Region
Die Sozialisten greifen auf, was unter Mitterand und seinem kongenialen Kulturminister Jacques Lang erstmals umfassend eingeleitet wurde. Frankreich ist immer noch ein Zentralstaat und die Regionalisierung, sehr früh vor allem entlang des Rheins und in der Bretagne schon selbstbewusst, hatte nun auch im Südwesten und Süden, z.B. um Bordeaux, Toulouse und Marseille, sowie für den Großraum Lyon neue Eigenständigkeit und wirtschaftliche Stärkung gebracht.
Eine Besonderheit der weitsichtigen Ideen Langs und Mitterands war, die Kultur und Wissenschaft, trotz weiterer Großprokjekte in der Hauptstadt, ebenfalls zu regionalisieren. So entstanden Kulturhäuser, regionale Theater mit höchstem Anspruch, sehr viele Museen, lokale Radios. Ein Netz an gut organisierten, gut ausgestatteten und anspruchvollen Festivals für jegliche denkbare Kunstform entwickelte sich, und die regionalen Universitäten erhielten großzügige Ausbauhilfen. - Dieses Konzept der Regionalförderung ist völlig im Einklang mit den Grundprinzipien der EU und wurde trotzdem unter den konservativen Regierungen Chiracs und Sarkozys kräftig ausgebremst.
Hollande möchte endlich die Charta des Europarates zur Förderung der Regionalsprachen und der Minoritätenkulturen ratifizieren. Frankreich ist da, wie übrigens auch viele Balkanstaaten, osteuropäische Staaten und Russland, Schlusslicht. - Das kostet wenig, erhöht aber symbolisch die Glaubwürdigkeit der regionalisierten Politik.
Grundannahmen bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung, die falsch sein könnten
Ein großes Fragezeichen für alle materiellen, sozialen Verbesserungen ergibt sich aus dem derzeitigen Stand der französischen Wirtschaft. Hollande verschweigt nicht, dass seine Maßnahmen auf einigen Grundannahmen beruhen, die nicht unbedingt so eintreten müssen. Schaffte er es, schaffte es die französische Wirtschaft, tatsächlich bis 2013 um 1,7% zu wachsen, obwohl für 2012 nur 0,5% prognostiziert werden?
Dabei ist das doch eine Zahl, mit der der wirtschaftlich stärkerer Partner im Osten, Deutschland, in diesem Jahr schon sehr zufrieden wäre. Am Ende des ersten Präsidentschaftsturnus´ soll das jährliche Wachstum der französischen Volkswirtschaft bei 2-2,5% liegen. Das ist sehr optimistisch.
Gleichzeitig möchte Hollande die jährliche Neuverschuldung des Staates von derzeit 4,5% (!), - ja, das wird in Deutschland immer vergessen, dass selbst die stärksten Partner in Europa, beständig Schulden aufhäufen und nicht verringern-, auf Null im Jahre 2017 bringen. - Was bedeutet das, wenn die PS und ihre Kandidat gleichzeitig die Austerität, also die strenge Ausgabenkontrolle und den Verzicht auf Investitionsprogramme ablehnen?
Es ist unter diesen Vorzeichen sicher nicht einfach, die Staatsverschuldung von derzeit 88,7% des BIP auf 80,2 % zu senken. Der europäische Durchschnitt liegt derzeit bei ca. 84%, in Deutschland bei 80%. (Daten nach IMF 2011, sowie für Frankreich, Angaben der PS selbst)
Christoph Leusch
Zu den älteren Beiträgen der François Hollande- und PS-Tetralogie:
1) www.freitag.de/community/blogs/columbus/franois-hollande-und-seine-quipe-auf-den-stufen-zum-lyse
3) www.freitag.de/community/blogs/columbus/was-will-franois-hollande-interessiert-das-neben-merkozy--ii
Kommentare 6
Lieber Columbus,
ich weiß gar nicht, ob ich hier antworten darf. Zwischenzeitlich habe ich den Bundespräsidenten ja auch einen Winkpräsidenten genannt, schon wegen des Bahais‘, der um das Amt gemacht wurde und der mir, ich schäme mich deswegen nicht, mir zu laut war in Hinblick auf den verfassungsmäßigen Auftrag, den er qua Amt nur in eingeschränktem Maße hat – und dies ist auch gut so –
Gauck hin oder her: Ganz ehrlich bin ich froh, dass Wulff das Feld geräumt hat und nun hoffentlich wieder etwas mehr „Normalität“ eintritt. Ja, melden wird er sich der Herr Gauck. Ich hoffe dann etwas qualifizierter als er es zu "Occupy" tat. Ich bin da voller Vorerwartung!
Doch nun zu den Sozialisten, das spannendere Thema:
1. Der Laizismus hat in Frankreich eine lange Tradition; er prägt in der Tat das Verhältnis von Öffentlichkeit und Kirche, um die es allerdings bei dem künftigen Ringen nicht allein gehen wird. Bei den Muslimen, keine homogene Gruppe, wird auch Widerstand laut. Dies alles unter Fundamentalismus zu subsummieren, wäre falsch. Dann ist da noch eine selbstbewusste jüdische Community, auch nicht homogen, aber bereit, sich in die Auseinandersetzungen einzuschalten. Dies alles könnte sehr spannend werden, und meine dies insbesondere in Bezug auf den intellektuellen Discours, der damit einhergeht.
2. Die Aufhebung der Immunität des Präsidenten. Das ist wirklich ein eißes Eisen, bedenkt man das Frankreich, wenn ich mich recht entsinne, in allen Regierungen dieses faule Ei „Korruption“ etc. zu behandeln hatte; dagegen nimmt sich die Wulff-Affäre possenhaft provinziell aus, womit ich ihn nicht entlasten möchte.
3. Zum Ausländerwahlrecht kann ich nicht viel sagen; finde dies aber auf kommunaler Ebene eine tolle Idee. Menschen sollten ihre unmittelbare Umgebung mitgestalten können: Das ist obendrein noch sehr Demokratie fördernd. Dazu fällt mir ein. Ich besuchte unlängst ein Symposium „Testify“. Im wesentlichen ging es um „Good-Practise-Beispiele von Stadtgestaltung in „sozial verbrannten“ Räumen. Es zeigte sich auf wunderbare Weise, wie sehr Partizipation, „grass-root“ tote Areale, aufgegebener, weil von Gewalt und Armut geprägt, öffentlicher Raum durch Mitbeteiligung verschiedener sozialer Gruppen und Generationen mit wenig Geld zum neuen Leben erweckt werden können:
www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-NAi-Ausstellung_und_Symposium_in_Berlin_2445911.html
4. Die Jugendarbeitslosigkeit, das enorme Bildungsgefälle, das nicht schicht- und nicht ethnienspezifisch ist, ist eine wirkliche Herausforderung! Frankreich braucht eine – wie ganz Europa – eine große Bildungsoffensive! Ja, das ist ein riesiger Berg an Versäumnissen, dessen in Inangriffnahme brauchte es zunächst einmal einen braven Sisyphus.
5. Frankreich und Austeritätspolitik: Es wird kein Weg daran vorbeigehen und ich denke, die Franzosen sind bereit für diesen Weg. Die Frage, ob sie sich einfach wichtige Sozialstandards wegnehmen lassen, wie dieser Weg bestritten wird. Hier könnten sie ja von Deutschland lernen vor allem von den Fehlern.
Das ist wieder ein sehr schöner und umfangreicher Artikel aus Ihren Tasten. So hoffe ich, Sie verstehen mich nicht falsch, wenn ich Sie nach Ihrer Einschätzung frage, hinsichtlich der PS zu Deutschland und den Nachbarn. In Deutschland ist ja auch nicht alles Gold, was glänzt: Niedriglähne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse etc.
Dann wäre da noch das Thema internationale Finanzmärkte…
Merci und
Salut
Ihre
HN
Lieber Columbus,
ich weiß gar nicht, ob ich hier antworten darf. Zwischenzeitlich habe ich den Bundespräsidenten ja auch einen Winkpräsidenten genannt, schon wegen des Bahais‘, der um das Amt gemacht wurde und der mir, ich schäme mich deswegen nicht, mir zu laut war in Hinblick auf den verfassungsmäßigen Auftrag, den er qua Amt nur in eingeschränktem Maße hat – und dies ist auch gut so –
Gauck hin oder her: Ganz ehrlich bin ich froh, dass Wulff das Feld geräumt hat und nun hoffentlich wieder etwas mehr „Normalität“ eintritt. Ja, melden wird er sich der Herr Gauck. Ich hoffe dann etwas qualifizierter als er es zu "Occupy" tat. Ich bin da voller Vorerwartung!
Doch nun zu den Sozialisten, das spannendere Thema:
1. Der Laizismus hat in Frankreich eine lange Tradition; er prägt in der Tat das Verhältnis von Öffentlichkeit und Kirche, um die es allerdings bei dem künftigen Ringen nicht allein gehen wird. Bei den Muslimen, keine homogene Gruppe, wird auch Widerstand laut. Dies alles unter Fundamentalismus zu subsummieren, wäre falsch. Dann ist da noch eine selbstbewusste jüdische Community, auch nicht homogen, aber bereit, sich in die Auseinandersetzungen einzuschalten. Dies alles könnte sehr spannend werden, und meine dies insbesondere in Bezug auf den intellektuellen Discours, der damit einhergeht.
2. Die Aufhebung der Immunität des Präsidenten. Das ist wirklich ein eißes Eisen, bedenkt man das Frankreich, wenn ich mich recht entsinne, in allen Regierungen dieses faule Ei „Korruption“ etc. zu behandeln hatte; dagegen nimmt sich die Wulff-Affäre possenhaft provinziell aus, womit ich ihn nicht entlasten möchte.
3. Zum Ausländerwahlrecht kann ich nicht viel sagen; finde dies aber auf kommunaler Ebene eine tolle Idee. Menschen sollten ihre unmittelbare Umgebung mitgestalten können: Das ist obendrein für die Demokratie fördernd. Dazu fällt mir ein: Ich besuchte unlängst ein Symposium „Testify“. Im wesentlichen ging es um „Good-Practise-Beispiele von Stadtgestaltung in „sozial verbrannten“ Räumen. Es zeigte sich auf wunderbare Weise, wie sehr Partizipation, „grass-root“ tote Areale, aufgegebener, weil von Gewalt und Armut geprägt, öffentlicher Raum durch Mitbeteiligung verschiedener sozialer Gruppen und Generationen mit wenig Geld zum neuen Leben erweckt werden können:
www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-NAi-Ausstellung_und_Symposium_in_Berlin_2445911.html
4. Die Jugendarbeitslosigkeit, das enorme Bildungsgefälle, das nicht schicht- und nicht ethnienspezifisch ist, ist eine wirkliche Herausforderung! Frankreich braucht – wie ganz Europa – eine große Bildungsoffensive! Ja, ein riesiger Berg an Versäumnissen, für dessen in Inangriffnahme es zunächst einmal einen braven Sisyphus brauchte.
5. Frankreich und Austeritätspolitik: Es wird kein Weg daran vorbeigehen und ich denke, die Franzosen sind bereit für diesen Weg. Die Frage ist, ob sie sich einfach wichtige Sozialstandards wegnehmen lassen, wie dieser Weg bestritten wird. Hier könnten sie ja von Deutschland lernen, vor allem von den Fehlern.
Das ist wieder ein sehr schöner und umfangreicher Artikel aus Ihren Tasten. So hoffe ich, Sie verstehen mich nicht falsch, wenn ich Sie nach Ihrer Einschätzung frage, hinsichtlich der PS zu Deutschland und den Nachbarn. In Deutschland ist ja auch nicht alles Gold, was glänzt: Niedriglähne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse etc.
Dann wäre da noch das Thema internationale Finanzmärkte…
Merci und
Salut
Ihre
HN
etnospezifisch
ethnospezifisch
verehrter christoph leusch, über hollande und den PS schreiben sie (zusammen mit wwalkie) so, dass man sich dafür nur bedanken kann - was ich hiermit auch tue.
ein detail habe ich aber - es gehört nicht unmittelbar zum thema, irgendwie aber auch schon. es geht darum:
"Frankreich ist immer noch ein Zentralstaat und die Regionalisierung, sehr früh vor allem entlang des Rheins und in der Bretagne schon selbstbewusst, hatte ... Eigenständigkeit und wirtschaftliche Stärkung gebracht."
für die bretagne ist es in wirklichkeit nämlich umgekehrt. nicht: die regionalisierung findet da auf kosten des zentralstaats statt und befördert allmählich neues selbstbewusstsein, sondern: der zentralstaat hat sich in der bretagne niemals, zu keinem zeitpunkt, je voll durchsetzen können, und zwar WEGEN des vorhandenen bretonischen selbstbewusstseins, das heisst autonomiestrebens.
wobei das wort "autonomie" hier sogar bei weitem untertrieben ist - die bretagne ist das baskenland frankreichs und steht ständig vor der sezession. das ist kein witz, auch wenn die bretonen dabei wesentlich weniger terroristisch zu werke gehen als die basken in spanien.
das hat natürlich geschichtliche gründe, die ich hier aber nicht auseinandersetze, weil sie jeder selbst nachschlagen kann, wenn er/sie will. nur so viel: bretonen verstehen sich im wahrsten wortsinn, wegen der gemeinsamen sprachlichen und kulturellen (keltisch-gälischen) wurzeln, mit leuten aus wales, cornwall oder den "isles" wesentlich besser als mit "nationalfranzosen".
sie können das ja mal im selbstversuch machen, wenn sie mögen. reisen sie in die bretagne (das ist generell empfehlenswert, weil es einer der schönsten flecken erde ist, die ich kenne - und ich kenn nicht wenige) und sagen sie einem bretonen, er sei franzose. dann würde ich an ihrer stelle aber fersengeld geben. :)
grüsse!
Das stimmt natürlich. - Ich meinte es genau so, habe es aber viel zu umständlich ausgedrückt!
Im Elsaß und in der Bretagne gab es viel früher Autonomiebestrebungen und Selbstständigkeiten, die vom Zentralstaat akzeptiert werden mussten. Elsaß und Lothringen z.B., waren eben lange Zeit Teile des "Heiligen römischen Reiches dt. Nation" und später des dt. Kaiserreiches, und die Bretagne hatte schon durch ihre Lage und Sprache einen Sonderstatus. Das wurde durch das Gesetz von 1905, sowie durch weitere Ausnahmeregeln, wie z.B. ein eigenes Regionalparlament in Rennes, schon im 16.Jh., immer wieder bestätigt. Nun will Hollande diese Art Regionalismus sogar noch stärker betonen, denn das Gesetz würde zum Teil der Verfassung, die nicht einfach geändert werden kann.
Auf jeden Fall, vielen Dank für die Anregung, das noch einmal klar zu stellen und natürlich für die mitgeteilte Reiseerfahrung (;-)). - Allerdings glaube ich, dass gerade Mitterand mit seinem Regionalisierungsgesetz von 1982, er sah das ähnlich wie de Gaulle, viel Dampf aus dem traditionellen Spannungsverhältnis entweichen ließ. Die kontinuierliche Förderung führte z.B. auch dazu, dass die Universität Rennes heute eine der besten Frankreichs ist und die Bretagne nicht mehr das Armenhaus der Nation stellt.
Beste Grüße
Christoph Leusch