Wulffs erste Sätze

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Wulffs erste Sätze

Christian Wulff wird keinen schlechteren oder besseren Präsidenten abgeben, als die meisten seiner Vorgänger. Das stimmt so. Das sagen nun fast alle. Sie sagen es, weil so die gültige Spielregel lautet.

Die Wahl selbst war eine politische Selbstbehauptungsangelegenheit der Regierungskoalition, die weder mit den Grundüberzeugungen, noch mit den persönlichen Lebensverhältnissen der Kandidaten, noch mit irgend einer, von diesem vorher repräsentierten und mit Interesse betriebenen Ideen etwas zu tun hatte. - Man könnte auch sagen, dieser Kandidat ist der idealtypische berufspolitische Kandidat, weil er vor allem für die immer gesicherte Wählbarkeit durch Parteien und deren Funktionäre, für fast jedes denkbare Amt steht, für sonsts nichts.

Es gibt in der Reihe der bundesrepublikanischen Präsidenten nur drei Persönlichkeiten, die durchaus genuin politische Motive im Amt entwickelten und schon vorher davon eine bewusste Idee hatten.

Da war zunächst der Gründungspräsident Heuss, der tatsächlich nicht Präsident von Kanzlers Gnaden sein wollte. Er hatte aber auch seine politische Vergangenheit in der Weimarer Republik, samt eigener, schwerer Fehler, nämlich den Nazis die Übernahme der gesamten Macht deutlich erleichtert zu haben, sowie ein Wunder, eine Gnade, die Mitwirkung an der Formulierung des Grundgesetzes, als erhebliches politisches Rüstzeug mit im Gepäck.

Gustav Heinemanns Motiv war es, den weithin noch von autoritären Erziehungsmustern geprägten Bürgern einer neuen, offenen Gesellschaft, in eigener Person das neue Staatbürgertum vorzuleben. Daher liebte er weder das Dekorum des Amtes, noch politische Abstrakta, aber sehr wohl symbolische Handlungen und knappe Bemerkungen, die das Amt der Bundespräsidenten gleichermaßen aus der Sphäre der Überhöhung auf die Erde holten, andererseits aber für Klatsch und Glamour absolut nichts her gaben. Das gab seiner Präsidentschaft eine ganz besondere, schlichte, wenn auch von den Konservativen schwer kritisierte, Aura, die letztlich nicht mit dem Amt, sondern mit der so klar erkennbaren Person Heinemanns verbunden war und für wenige Jahre einen realen Machtwechsel in Bonn einleitete. - Eine Person und Persönlichkeit übt damals ein Amt aus, war aber nicht gleich zu setzen mit seinem Amt.

Richard von Weizäcker wusste um die Chance, die Aussöhnung mit den Osteuropäern und mit Russland durch eine klare Ansprache der jüngeren deutschen Geschichte, durch aktives Erinnern herbei zu führen. Er gehörte zu dem Teil des konservativen Lagers, der in der Frage der Ostpolitik die Gemeinsamkeit mit der damals starken Volkspartei SPD früh erkannte und er war selbst von diesem Prozess zutiefst überzeugt. Historisch denkende Persönlichkeiten halten historische und bedeutsame Reden. Bei keinem anderen Präsidenten gab es eine solche Verschmelzung von Amt und Person. „Ritchie“ war der Präsident der Republik.

Wulffs erster Auftritt

Wie alle Präsidenten vor ihm, wird der neue Kandidat sich nun Felder suchen müssen, die ihn öffentlich wahrnehmbar machen. Das ist nicht leicht für jemanden, der eigentlich eher von einer Grundhaltung angetrieben wurde, das Besteigen von Gipfeln in verschworener Parteigemeinschaft als heimliche Grundkonstante allen politischen Tuns zu definieren und diesen Weg sehr beharrlich, möglichst nicht allzu öffentlich, für sich selbst voran zu treiben. Nur weil das Wulff bisher weniger hart und deutlich in einer öffentlichen Sprache ausdrückte, als seine politischen Mitstreiter im bekannten alpinen Pakt, fiel es dem Publikum nicht so deutlich auf.

Die eigentliche Konstante des neuen Präsidenten, darin ähnelt er doch sehr so manchem anderen Berufspolitiker, ist die Überzeugung, zu jedem politischen Job, zu dem man eine Mehrheit zusammen bekommt, die man irgendwie organisieren kann, geeignet zu sein. Am Ende hat Wulff zwar häufiger betont, er könne und wolle nicht Kanzler werden, aber das war Koketterie und natürlich instinktsichere Klugheit, angesichts der noch mächtigen Chefin im Sichtbeton Kubus zu Berlin. - Nun darf er sogar Staatsoberhaupt sein!

Schon die kleine Rede zur Annahme der Wahl offenbarte aber, was den neuen Präsidenten wirklich umtreibt:

„Eines der wesentlichen Wesenselemente von Demokratie ist, dass man auswählen kann, dass man gewinnen kann und dass man verlieren kann. Ich will's jetzt nicht übertreiben. Sie wollen auch alle noch nach Hause, aber aus Niederlagen habe ich eigentlich immer noch mehr gelernt als aus Siegen. Und wenn ich Ihnen sage, dass mein Antritt als Ministerpräsident im dritten Anlauf neun Jahre gedauert hat, dann war die Bundesversammlung heute relativ kurz ( www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2543856_0_9223_-christian-wulff-die-rede-im-wortlaut.html ).“

So sprach er, direkt den Blick zu Gauck gewandt, dem er einen Satz vorher für seine Kandidatur Respekt zusprach, um ihm dann gleich mit diesen Worten, -Wulff merkte ja selbst, dass er in der nur schwer unterdrückten, persönlichen Euphorie überzog- , eine kräftige Watsche auszuteilen.

An Gaucks Reaktion war jedenfalls nicht eindeutig bemerkbar, wie das ankam, denn er lächelte und nachher bot er sich als Gesprächspartner dem neuen Präsidenten an. Der Satz, den Wulff sich verkniff, der aber von vielen Berufspolitikern gerne noch hinzu gedacht wird, lautet: Kein Mensch muss sich zu einer öffentlichen Wahl stellen. Das chancenreich tun zu können, ist nicht nur der Ausweis und Beleg für ausreichende Kompetenz, sondern auch die Spielregel dieses speziellen Professionalismus.

Der gerade geschlagene Gegenkandidat hatte allerdings nur eine Chance. Was kann er aus der Niederlage, was bloß, politisch lernen? - Tatsächlich steckt in Wulffs Ansprache eine Menge Hohn für den eher konservativen „Seiteneinsteiger“ auf dem SPD- und Grünen-Ticket. Die Kandidatin der Linken, Lukrezia Jochimsen, wer hätte es gedacht, wird persönlich nicht einmal angesprochen. Sie bleibt anonym ein „Wesenselement von Demokratie“, zählbar, aber nicht wählbar.

„Das ist für mich besonders bewegend, dass ich im 20. Jahr der Deutschen Einheit zum Bundespräsidenten gewählt wurde, weil ich nunmehr in dieser Position vor allem beitragen möchte zur inneren Zusammenarbeit, zur inneren Einheit unseres Landes und zu einem noch besseren gegenseitigen Verständnis.“ - So, so. - Jedenfalls sind wieder normale politische Verhältnisse eingekehrt und die Wahl ordnet sich ein, in das Alltagsgeschäft.

Herr Wulff bringt sich „nunmehr“ in neuer Position, gestern war er noch Ministerpräsident Niedersachsens, -man tat, was juristisch und verfassungsrechtlich zu tun war-, heute ist er Bundespräsident, ein. Kaum jemand in Berlin nimmt daran Anstoß, denn wer politisch was Großes werden will, der muss genau dieses Verständnis tief verinnerlichen und da auch mitmachen.

Tatsächlich hat sich gestern keine Partei mit Ruhm bekleckert. Die SPD und die Grünen nicht, die gebetsmühlenartig immer vom eigentlichen Willen des Volkes, von der Chance für einen beliebteren Kandidaten sprachen, ohne die Hintergründe ihrer Kandidatenauswahl beim Namen zu nennen. Die dann aber immer wieder süffisant die „Abweichler“ der CDU/CSU, als Zeichen des Verfalls der Kanzlerinnenmacht ausmalten. Eigene Erfahrungen der jüngeren Geschichte erwiesen sich als schon sehr gut verdrängt und mental kompensiert. Dazu passte Wulffs kurze Rede besser, als zu den paar ehrlichen Tränen, die Joachim Gauck kurz zeigte.

Am Ende des Tages, die überraschende Umkehr. Sigmar Gabriels Bemerkung, die Wahl habe nichts mit der Kanzlerin zu tun, sei aber eine Sternstunde der Demokratie, des Parlaments, ist ein so erschreckend langweiliges und gleichförmiges Lied, dazu eines, das im Falle der Nicht-Wahl Ypsilantis in Hessen oder der gescheiterten Ministerpräsidentin Simonis in Holstein, oder des derzeitigen Herumgeieres in Nordrhein-Westfalen, immer jeweils eine Seite anstimmt. Auch bei der SPD gilt der Satz: „Gewählt ist gewählt.“, und das nicht zu oder für etwas, sondern hauptsächlich überhaupt.

Die Linken hatte nicht den Mut, das politische Spiel zu durchbrechen, was ihnen durchaus enormes Ansehen eingebracht hätte und keineswegs gleichzeitig mit bedeutete, die Ansichten des Kandidaten Gauck unterschreiben zu müssen. So bleibt der Auftritt Gysis so sehr gewöhnlich, so an den Ritualen des Poltikbetriebs entlang, wenn er ins mediale Publikum ruft, man hätte doch nur einmal vorher mit der Linken sprechen sollen. Auch der kurzzeitige Vorschlag Frau Lötzschs, einen neuen gemeinsamen Kandidaten des irgendwie linken Lagers zu benennen, zeugte nicht von großem Weitblick.

Was an Einheit in und für die junge Partei demonstriert wurde, das verlor sie gleichzeitig bei jenen, die sich zwar andere politische Verhältnisse wünschen, aber nicht eine Partei, die immer wenn sie mit gestalten könnte, so sehr auf die Reinheit ihrer Überzeugungen achtet.

Die Chance lag ja gestern gerade im Überstieg und Ausstieg aus gewohnten Mustern, dazu noch ohne hohen politischen Preis. Denn der Bundespräsident hat real keine politische Macht und eine Pflicht zu weitestgehender Neutralität. Er kann weder gegen die Hauptthemen der Linken polemisieren, noch ihren politischen Kurs beeinflussen oder gar ändern. Die Linke spricht doch längst Themen an, z.B. die wachsenden Gerechtigkeitslücken in der Gesellschaft, die vielen Bürgern wie Blei auf der Seele liegen. Er muss, als Amtsträger, linke Politiker genau so als Teil der Demokratie achten und annehmen, wie diejenigen, denen er politisch ganz nahe steht. Warum haben Gysi, Lafontaine, Ernst, Lötzsch und Co. den notwendigen Sprung ins Außergewöhnliche nicht mehr geschafft? Das wäre doch kreativ und gestaltend gewesen, dazu noch aus einer Minderheitenposition heraus. Ein Akt so spektakulär und überzeugend, wie der mühselige, aber erfolgreiche Gründungskurs der neuen bundesweiten Partei.

Wer keine Kröten schlucken kann, manövriert sich ins Abseits und wird vom ganz normalen politischen Betrieb, -wir mögen ihn vielleicht alle nicht, er ist aber derzeit, genau so, Realität und immer wieder mehrheitsfähig-, Schritt für Schritt in die Ecke gestellt. Leider verstehen nur wenige Linke, dass zum politischen Betrieb auch der Mantel der Presse und der öffentlich- rechtlichen Medien gehört, die dieses stetige Zurückzucken, dieses hinter den Möglichkeiten zurück bleiben, vernichtend kommentieren. Schließlich ging es hier überhaupt nicht um Vergangenheitsaufarbeitung und die Stasi, es ging nicht um die Inthronisation eines Chefaufklärers. Kein Gogolsches Pelzmäntelchen galt es wieder zu finden und schon gar nicht, einen Freudschen Wettermantel umzugürten.

Zur Niederlage ihres Kandidaten hatten allerdings auch die Grünen Spitzenpolitiker nicht viel mehr zu sagen, als dass es eine Sternstunde der Demokratie sei, so den Präsidenten des Landes zu wählen, und selbstverständlich sei es ein Mißgeschick, eine verpasste Chance, für die nur die Linkspartei Verantwortung trüge. Während man in der Öffentlichkeit, an ganz normalen parlamentarischen Arbeitstagen, möglichst nicht einmal die Hand reicht, die Ohren aufmerksam spitzt, den Blick freundlich zuwendet, reden und schreiben Linke gerade etwas auf, während an normalen Tagen deren Vorlagen im Parlament mit schöner Regelmäßigkeit so abgefertigt werden, wie das einst die CDU/CSU und die SPD mit den Anträgen der Grünen exerzierten.

Nachwehen

Was bleibt denn nach all´ dem Geplänkel? Wir wissen nun, dass Sozialdemokraten und Grüne sehr gerne wieder zusammen Politik gestalten würden. Sehr, sehr gerne allerdings, ohne aktive Beteiligung der Linken, die, wie gesagt zwar wählen dürfen und gezählt werden, aber nicht wählbar sind. Wir wissen, Sigmar Gabriel setzte sich auch mit der CDU/CSU wieder in eine Regierung, wenn er es nur könnte. Die Grünen wollen ebenso regieren und suchen noch nach dem Aufhänger, es auch mit der CDU/CSU, ohne allzu große Mitglieder und Wählerverluste tun zu können. Sie spekulieren auf ihre Rolle als Ersatz der FDP. Die FDP wandert nun wieder an dem Abgrund entlang, vor dem sie zuletzt wieder einmal opportunistische Wähler, denen sie viel versprach, die sich was davon viel versprachen, bewahrten. Bisher fehlt ein Teil der Dividende auf den Einsatz, die entsprechende Auszahlung als Ausweis der Gegenseitigkeit. Das nehmen gerade opportunistische Wähler, sehr, sehr ernst, denn keine innere Überzeugung, keine Tradition, keine Bindung hält sie. Sie bleiben frei flottierend.

Mein Eindruck von dieser Präsidentenwahl ist nicht der der vielen schnellen Medien, nicht der Eindruck, den viele Parlamentarier gerne erzeugen möchten, das Volk habe, einen Tag am medialen Schaufenster in die Bundesversammlung liegend, einem glorreichen Akt der Demokratie beigewohnt. Es war ein bekanntes Verfahren und fast alle Akteure bedienten sich der gleichen Floskeln, die in diesen Fällen bisher immer genutzt wurden. Herrschaft durch Verfahren schlug Persönlichkeit. Keine Partei konnte aus diesem Kreis ausbrechen. Dazu fehlte vielleicht der Mut und eine gewisse Weitsicht, über den Tag hinaus.

Christoph Leusch

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