Wie den Verdächtigen verhaften?

Zika-Virus Aedes-Stechmücken übertragen das Zika-Virus. Es verursacht sehr wahrscheinlich über eine intrauterine Infektion Mikrozephalien und Hirnschäden bei Neugeborenen

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Verdächtig: Aedes Aegypti
Verdächtig: Aedes Aegypti

Bild: LUIS ROBAYO/AFP/Getty Images

Zika- Virus: Wie den Verdächtigen verhaften?

Die Medien- und Weböffentlichkeiten dieser Welt entwickeln mittlerweile eine seltsame Doppelmoral dazu, wem sie Gehör schenken möchten, was sie glauben und verbreiten wollen. Einmal abgesehen von der ebenfalls spannenden Frage, warum das so ist, - es erforderte Dutzende Doktor- und Laienthesen durch viel scharfsinnigere Analysten, als den duldsamen Schreiber dieser Zeilen -, erwies sich die Doppelstandardstrategie bezüglich des Wissens um das Zika- Virus und die brasilianischen und mittlerweile auch polynesischen Mikrozephalie- Fälle aus den Jahren 2015/2016, beziehungsweise von 2013, eher als ein gewaltiges Hemmnis der Aufklärung.

Gestandene Epidemiologinnen, Virologen, Kinderärzte, Neurologen und Geburtshelferinnen, sollten den Medien und Bloggern, den Twitterern und Facebookern, Beweise mit absoluter Sicherheit liefern, bei erstmals beobachteten Krankheitsphänomen, so, wie man es niemals den vielen Produzenten und Verbreitern reinster Spekulationen abverlangen würde.

In der Infektionslehre gilt, seit Robert Koch es postulierte, dass der mikrobische Verursacher einer Krankheit erst nachgewiesen ist, wenn man ihn, noch aktiv, aus Gewebe oder Körperflüssigkeiten gewonnen hat, ihn vermehren konnte und damit dann in der Lage war, die beobachteten Krankheitssymptome in einem gesunden Organismus zu erzeugen. - Jeder, der sich fünf Minuten Zeit lässt, bevor er urteilt, erkennt: Das ist wahrlich keine leichte Übung und heute, mehr noch als zu Kochs Zeiten, dauert es viel zu lange und gilt zu Recht als moralisch fragwürdig. Also müssen, um das Experimentum crucis zu umgehen, viele Alternativen her. Starke Indizienbeweise treten an die Stelle der absoluten Gewissheit.

Wenn der Kampf gegen die Agrarchemie und die nur namentlich Grüne Gentechnik zum Krampf wird

Im Falle des Zika- Virus tauchte, wenige Wochen nach der höchst beunruhigenden Entdeckung, dass in vielen Regionen Brasiliens eine, von Aedes- Stechmücken übertragene, Virus- Infektion auch mit schwersten Schädelmissbildungen und Hirnschädigungen bei Neugeborenen einher geht, prompt eine Gegenthese auf, die sich über das Internet schnell weiterverbreitete und für plausibel erachtet wurde:

Sehr wahrscheinlich sei der flächendeckende Einsatz eines Mückenlarven und -Eier schädigenden Insektizids für die Mikrozephalien verantwortlich, nicht das Zika- Virus, das man schon lange kannte, bisher aber nicht mit den schwer behindernden Schädel- und Hirnmissbildungen, sowie anderen Erkrankungen des Nervensystems in Verbindung bringen konnte. - Warum das so war, dazu später mehr.

Der sachliche und fatale Hintergrund für die weitverbreitete Gegenthese

Brasilien führt seit geraumer Zeit einen nicht wirklich erfolgreichen Kampf gegen die Aedes- Mücken, weil das Land endemisch, also dauerhaft, unter Dengue- und Chikungunya- Infektionen leidet, die ebenfalls hauptsächlich von diesen Mückenarten übertragen werden. Die Arboviren (arthropod- borne viruses, von Insekten und Zecken (milbenartige, Spinnentiere), den Gliederfüßlern, übertragene Viren) sind weltweit, zusammen mit ihren mobilen Zwischen- und Endwirten, auf dem Vormarsch.

Zudem leidet das Land unter der sich brutal und rücksichtslos ausbreitenden Industrie-Landwirtschaft, in der systematisch alles eingesetzt wird, was die Agrarchemie bietet. Berechtigte Gesundheitsbedenken werden regelmäßig ignoriert. Zahlreiche akute und chronische Intoxikationsfälle unter der Landbevölkerung und Verseuchungen ganzer Regionen, gelten als Preis des Fortschritts, damit die Erträge um ca. 10- 15% höher liegen, als ohne diese Art der Intensivierung.

Die Landwirtschaft Brasiliens arbeitet zunehmend für den Export, z.B. von Futtermitteln oder Grundnahrungsprodukten in die USA, Europa und China. Sie produziert Biokraftstoffe, auf Flächen, die der Nahrungsproduktion entzogen wurden, die sich zudem gar nicht so nachhaltig herstellen lassen, wie das noch jüngst, bei uns, jeder anständige Parteigrüne glauben mochte.

An der Armut großer Teile der Landbevölkerung und an deren schlechter Gesundheit, wie auch an den unhygienischer Wohn - und Lebensverhältnissen, am offen herumliegenden Müll, an der fehlenden oder mangelnd abgesicherten Kanalisation (Trennung des Abwassers von Grundwasser und Trinkwasser) und an der schlechten oder fehlenden Trinkwasseraufbereitung, hat sich vielerorts, im Hinterland des Riesenstaates und in den städtischen Armenvierteln, wenig geändert.

Wenn auch die Ziele und Absichten der Ärzte und Experten jener NGOs (Abrasco (Argentinien) und Reduas (Brasilien)), die nun in die Welt setzten, die Missbildungen der Neugeborenen seien wahrscheinlicher durch ein Mittel der Firma Monsanto (Pyriproxyfen, ein Mücken-Larvizid) verursacht, allesamt ehrenwert ausfallen, - Sie wehren sich oft schon Jahre und Jahrzehnte lang vergeblich und beschreiben akribisch die Kollateralschäden an Menschen und dem Rest der Umwelt, die eine unbarmherzige und globalisierte Agrarindustrie mit dem tatsächlich skandalös angewachsenen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Insektiziden, Antifungiziden und Düngemitteln in Brasilien und Argentinien anrichtet. -, so gilt für die voreilige Verdachtsthese im Falle der Mikrozephalie das glatte Gegenteil.

Könnte man das den brasilianischen und argentinischen NGOs noch nachsehen, obwohl sie damit ihrem eigentlichen Anliegen eher schadeten, so gilt das es für die irrationale Haltung der Medien und mancher Blogger, die diese Meldung über die letzten Wochen hochzogen und verbreiteten, weniger.

Warum ist es so schwer, dem Zika Virus auch die zahlreichen Mikrozephalie- Fälle zuzuordnen?

Während die meisten Infektionen mit Zika doch recht harmlos verlaufen, ganz anders als bei Dengue oder Chikungunya, viele Infizierte gar keine wirkliche Reaktion ihres Körpers bemerken, kam es bei dieser ersten, größeren Epidemie zu deutlich mehr Ansteckungsfällen.

Liegt das durchschnittliche Risiko für Mikrozephalie, für alle anderen Entstehungsursachen (infektiös, genetisch, toxisch, sucht- und ernährungsbedingt) zusammen bei 3- vielleicht max. 5-6 pro 10 000 Geburten, so müssen in einem Epidemiegebiet erst einmal deutlich mehr solcher Fälle unter Neugeborenen auftreten, bevor man nach neuen Ursachen und einem akuten Schuldigen sucht. Totgeburten, unter der Geburt versterbende Kinder, missgebildete Kinderleichen, also tote Kinder im Wochenbett, mit sichtbaren Stigmata, gelten auch heute noch als persönlich anrüchige Angelegenheit und sie werden daher diskret beseitigt, bevor kompetente Gutachter einen Blick darauf werfen können.

Brasilien, Schwellenland und Armutsland, aber nicht ohne gute Ärzte

Genau das war in Brasilien nun erstmals geschehen. Denn auch wenn das Schwellen- und Industrieland mit Korruption, hemmungslosem Lobbyismus für Reiche und uferloser staatlicher Ineffizienz zu kämpfen hat, gibt es bei der Erfassung und Aufarbeitung von Massenerkrankungen durchaus Kompetenz und Expertise und viel moderne Medizin, bei vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand.

In mehreren Großregionen des Landes, besonders aber in der Region Pernambuco, mit der Hauptstadt Recife, häuften sich die Fälle. Die Mütter kamen vom unterversorgten Umland und aus den Armenvierteln in die städtischen Kliniken und stellten ihre Kinder vor. Ärzte, medizinische Helfer, Behörden und betroffene Eltern berichteten von Totgeburten mit Schädeldeformitäten. Einige totgeborene oder aber nach der Geburt verstorbene Kinder konnten untersucht werden. Viele Mütter berichteten von einer stattgehabten, grippeähnlichen Erkrankung in der Frühschwangerschaft und am Übergang zum zweiten Trimester.

So, wie der Lehrer des Medicus (The Physician), Ibn Sina (Avicenna) mit einer Strichliste die Glockenkurve der Pestepidemie abbildete, gelang es zuerst brasilianischen ÄrztInnenteams, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie alarmierten die staatlichen Stellen, die CDC der USA und die WHO. Aus der regionalen Epidemie war nun, völlig zu Recht, ein Weltgesundheitsproblem geworden, denn die Überträger des Zika- Virus, Mücken und Menschen, erweisen sich als extrem mobil.

Die Indizien für Zika, als Ursache der Mikrozephalie, häufen sich

Mittlerweile konnte man retrospektiv die zahlenmäßig viel kleinere 2013er Epidemie in Französisch Polynesien untersuchen. Da waren, während eines Zika- Virus Ausbruchs, ebenfalls zusätzliche Mikrozephalie- Fälle aufgetreten, aber die geringe Anzahl Schwangerer an allen Infizierten und damit die geringe Zahl der geschädigten Kinder, blieb zunächst im Hintergrund der allgemeinen Belastung unentdeckt.

Im Hirngewebe verstorbener Mikrozephalie- Kinder konnte das Zika- Virus von unterschiedlichen Forscherteams nachgewiesen werden und es gilt als relativ gut belegt, dass es eine Affinität für Hirngewebe hat. Eine Arbeitsgruppe der John Hopkins- Universität, der Emory Universität und der Florida- State Hochschule beobachteten in vitro, also an Zellkulturen, dass vor allem Zellen, die den grauen Hirnzellen entsprechen, durch den Erreger infiziert werden. Das Virus zerstört die Zellen oder beeinträchtigt deren normalen Entwicklung. Die Hirnzellen können offenbar keine Immunabwehr dagegen auslösen.

Das alles liefert keine absoluten Beweise, aber doch sehr starke Indizien. Zika ist verantwortlich für die Hirn- und Schädelmissbildungen, die man in dieser Art und Weise, mit viel geringeren Häufigkeiten, sonst nur bei Infektionen in der Schwangerschaft, durch Zytomegalie- Viren (CMV), Rubella- Viren (Röteln), Varizellen (Herpes zoster) und Toxoplasmen kannte.

Die übrigen Ursachen für kleine Schädel und besonders für kleine, schwer geschädigte Neugeborenenhirne, sie sind sehr viel zahlreicher und sehen vom Krankheitsbild her anders aus. Die Hauptursachen dafür, weltweit, heißen schon lange Hunger, Fehl- und Mangelernährung und Alkoholismus!

Christoph Leusch

Kleine Ergänzung für Informationsfreaks, 11.03.2016,~20 Uhr):

Die Webseite des CIDRAP- Center for Infectious Disease Research and Policy der Universität von Minnesota, bietet, meines Erachtens, die umfangreichste qualifizierte Sammlung an Quellen, zu Zika:

http://www.cidrap.umn.edu/infectious-disease-topics/zika#literature

Diese Quelle sollte man sich überhaupt merken, geht es um gute Informationen zu Epidemien, Pandemien, Endemien. Alle wichtigen Organisationen werden genannt und Links angeboten. Ein sehr brauchbarer Service, aus der Hand kenntnisreicher Wissenschaftler.

C. Leusch

Verwendete Quellen:

I

Pesquisa do Paraná identifica vírus Zika em cérebro de bebês com microcefalia, Isabela Vieira, Agência Brasil, 15.02.2016, http://agenciabrasil.ebc.com.br/geral/noticia/2016-02/pesquisa-do-parana-identifica-virus-zika-em-cerebro-de-bebes-com-microcefalia

Berichtet zu Untersuchungen der Katholischen Universität Paraná, deren Pathologie das Zika- Virus in Hirngewebe fand. So, wie von den Forschern der Stiftung Oswaldo Cruz (Fiocruz), dessen Plazentagängigkeit nachgewiesen werden konnte.

II

Study closely ties Zika to fetal brain damage, Microcephaly, Jim Wappes, CIDRAP- Center for Infectious Disease Research ans Policy Academic Health Center, Univ. of Minnesota,02.03.2016, http://www.cidrap.umn.edu/news-perspective/2016/03/study-closely-ties-zika-fetal-brain-damage-microcephaly

Verweist auf Nachuntersuchung der polynesischen Zika- Infektion. Gute Zusammenfassung verschiedener Case- Reports und Berichte in The Lancet. Sachlicher Hinweis, dass die Aedes- Bekämpfung in Brasilien nicht zielführend ist und ebenfalls Schäden verursacht.

III

Sehr empfehlenswerte Themen- Übersichtsseite der Fachzeitschrift „The Lancet“, zu Zika, in allen nur erdenklichen Zusammenhängen. Zika in Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser), in der Muttermilch; Zika als Ursache neurologischer Erkrankungen, vom Guillain- Barré- Syndrom, einer schweren, aufsteigenden Lähmung, bis hin zur Myelitis des Rückenmarks, was beides die Neurotropie, die „Gewebevorliebe“ dieses Virus beweist, das gerade deswegen mehr macht, als nur Fieber und ein paar grippeähnliche Symptome, http://www.thelancet.com/campaigns/zika. Hier auch, die im vorgenannten Artikel angegebenen Quellen.

IV

Zika Virus Associated with Microcephaly, Jernej Mlakar, M.D., Misa Korva, Ph.D., Nataša Tul, M.D., Ph.D., Mara Popović, M.D., Ph.D., Mateja Poljšak-Prijatelj, Ph.D., Jerica Mraz, M.Sc., Marko Kolenc, M.Sc., Katarina Resman Rus, M.Sc., Tina Vesnaver Vipotnik, M.D., Vesna Fabjan Vodušek, M.D., Alenka Vizjak, Ph.D., Jože Pižem, M.D., Ph.D., Miroslav Petrovec, M.D., Ph.D., and Tatjana Avšič Županc, Ph.D., University Medical Center Ljubljana, 10. März, 2016,N Engl J Med 2016; 374:951-958March 10, 2016DOI: 10.1056/NEJMoa1600651, http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1600651#t=article

Die bisher anschaulichste Beweisführung, dass tatsächlich Zika Mikrozephalie verursacht.

V

Here's What We Know Now About Zika and Birth Defects, von Maryn McKenna, Photographs von Tomás Munita, National Geographic, 07.03.2016, http://news.nationalgeographic.com/2016/03/160307-zika-virus-microcephaly-brazil-science/

Sehr anschaulich wird vor Augen geführt, wie wenig es bringt, dieses Virus und seine erste größere Epidemie auf die leichte Schulter zu nehmen. Dazu dient auch das hervorragende Bildmaterial. Hier zudem der Verweis auf die Ergebnisse der in-vitro Infektion von kultivierten Hirngewebezellen.

VI


Link zum Thesenpapier von Reduas- Brasilien, die einen Zusammenhang mit der flächendeckenden Anwendung des Aedes- Mückenlarvizids Pyriproxyfen, der Firma Monsanto herstellen wollen.

https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=0ahUKEwi736im87jLAhVkz3IKHbpQBSgQFggfMAA&url=http%3A%2F%2Fwww.reduas.com.ar%2Fwp-content%2Fuploads%2Fdownloads%2F2016%2F02%2FInforme-Zika-de-Reduas_TRAD.pdf&usg=AFQjCNG3iZQJBv0U-gmPbSM0k3XyViPpFw&bvm=bv.116573086,d.bGQ&cad=rja

Christoph Leusch



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