„Die Diskussion wurde systematisch vermieden“

Im Gespräch Hermann Scheer über den politischen Streit um die Endlagerung von Klimagasen, die Alternative der Wiederverwertung und über Übersprungshandlungen der Union

Der Freitag: Herr Scheer, im Frühjahr wollten SPD und Union unbedingt ein Gesetz zur Ablagerung von CO2, vergangene Woche ist es erst einmal gescheitert. Wie kam dieser radikale Meinungsumschwung in so kurzer Zeit ­zustande?

Hermann Scheer: Eine Diskussion über die CO2-Endlagerung wurde sehr lange systematisch vermieden, weil diejenigen, die das Gesetz haben wollten, wussten, dass es zu einer heftigen Diskussion kommen würde. Doch man wollte offensichtlich unbedingt dem Drängen der Stromkonzerne Vattenfall und RWE nachkommen, die sich für ihr Vorhaben der CO2-Abscheidung und -Speicherung Planungssicherheit wünschen. Das Gesetz und der Verweis auf die Möglichkeit der Endlagerung von CO2 sollte die Vorstellung vermitteln, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke mit Klimaschutz vereinbar sei.

Es gibt Befürworter dieses Verfahrens in fast allen Parteien und bei vielen Fachleuten...

Es ist ein Problem, dass leider nicht wenige Organisationen, die im Bereich des Klimaschutzes eine beachtete Stimme haben, die Option des CCS (Carbon Capture and Storage) positiv beurteilen wie das Potsdamer Institut für Klimaforschung oder auch das Öko-Institut in Freiburg und der Weltklimarat. Damit haben diese Institute fahrlässig die Probleme der CO2-End­lagerung heruntergespielt.

Welche Probleme?

Ich halte die CO2-Endlagerung über hunderte von Jahren nicht für sicherbar. Man beruft sich bei der technischen Umsetzung auf ein Verfahren, das Stat Oil in Norwegen betreibt, das aber noch keine hinreichenden Ergebnisse liefert und außerdem nicht mit den bei uns geplanten Vorhaben vergleichbar ist. In Norwegen zweigen sie CO2 von gefördertem Gas ab und bringen es an Ort und Stelle wieder in die Erde, wo das Gas vorher herausgeholt wurde. Dies ist als Referenz für Kohlekraftwerke unbrauchbar, weil man hier das CO2 zu einem Endlager transportieren müsste und die Lagerstätten bei uns nicht die Gegebenheiten solcher Gasspeicher haben.

Sie haben eine Alternative zur Endlagerung von CO2 vorgeschlagen: Die Wiederverwertung. Können Sie dieses Verfahren erklären?

CO2 wiederzuverwerten hieße, auf Pipelinebau und Endlagerung zu verzichten. Das interessanteste Verfahren zur Wiederverwertung von CO2 ist die künstliche Algenproduktion. CO2 wird dann in durchsichtigen Plastikbehältern mit Hilfe von Algen unter natürlichem Sonnenlicht im einfachen Prozess der Photosynthese in Sauerstoff verwandelt. Die Algen sind dann verwertbare Biomasse und können als Grundstoff für die chemische Industrie verwendet werden, für Baustoffe, Bio-Plastiken, Pharmazeutika und auch für Biokraftstoffe. Das ist ein intelligenter Weg, der auch schon erprobt ist. Auch der Einsatz in Kraft-Wärme-Kopplung ist denkbar.

Die Gegner der CO2-Speicherung argumentieren, die Technik würde den Ausbau der erneuerbaren Energien behindern. Warum?

Die erneuerbaren Energieformen und intelligenten Lösungen wie die Rezyklierung beruhen auf dezentralen Strukturen. Die Konzerne wollen aber an ihren zentralen Strukturen in Form ihrer Großkraftwerke festhalten. Deshalb ist die CO2-Endlagerung letztlich ein Rettungsring für Großkraftwerke. Wenn nun aber in das Großprojekt der CO2-Abscheidung, des Transports in Pipelines und der Endlagerung viel Geld investiert wird, kann man darauf warten, dass am Ende gesagt wird, diese Technik war so teuer, jetzt muss sie sich auch rentieren und die Großkraftwerke müssen lange ­genug laufen. Dieses Argument würde dann dazu dienen, den Ausbau der Erneuerbaren künstlich zu stoppen.

Die CDU hat sich eine grüne Wahlkampfstrategie gegeben. Offenbar passen CO2-Speicher da nicht rein und neue AKW soll es auch nicht geben. Halten Sie den ökologischen Weg der Union für glaubwürdig?

Schon Kanzler Kohl hat 1986 nach dem Tschernobyl-Unfall gesagt: Atomenergie sei nur noch etwas für den Übergang. Die Union hat das mit der Zeit wieder vergessen. Das Verhalten der Union ist sehr widersprüchlich. Bei den Verhandlungen über das CCS-Gesetz gab es Versuche der SPD, die CCS-Option einzuschränken und die Haftungsvorschriften für die Konzerne zu verlängern von 30 Jahren auf 100 Jahre. Gegen diese Versuche hat sich die CDU/CSU massiv gesperrt und wollte den Gesetzentwurf sogar noch auflockern zugunsten der CCS-Option. Dann kam die Übersprungshandlung aus der Union heraus.

Noch nie waren die Erneuerbaren so unumstritten wie in diesem Bundestagswahlkampf. Alle Parteien konkurrieren in der Frage: Wer ist die grünste im ganzen Land. Ist das für Sie, der Sie seit vielen Jahren für die Erneuerbaren streiten, nicht eigentlich wunderbar?

Ja, denn es zeigt, dass die Vorbehalte gegen die Erneuerbaren Energien nicht haltbar sind. Die dauernde Unterschätzung der Erneuerbaren wurde ja ganz gezielt betrieben: Man hat behauptet, die Erneuerbaren seien marginal und hat bei den konventionellen Energien einen „Mythos der Unverzichtbarkeit“ gepflegt. Die Leute glauben das immer weniger. Denn mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000, ist es gelungen, den Anteil von Erneuerbaren an der Gesamtstromversorgung von vier Prozent auf derzeit 19 Prozent zu steigern. Und das, obwohl es noch massive „Verhinderungsplanung“ in einigen Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gibt. Wenn es nicht diese erheblichen Planungswiderstände in bei der Genehmigung von Windkraft-Standorten gäbe, könnten wir heute schon bei 30 Prozent erneuerbaren Energien sein.

Wird die Union in der Ökologie-Frage der SPD und den Grünen nicht langsam gefährlich, weil sie ein konservatives Wählerpotenzial mit ökologischem Bewusstsein anspricht?

Es geht hier um eine existenzielle Herausforderung, die zu bewältigen wichtiger ist als jede Parteitaktik. Je mehr Aufgeschlossenheit es für erneuerbare Energie gibt, um den Energiewechsel beschleunigt vorantreiben zu können, desto besser ist es für die Gesellschaft.

Das Gespräch führte Connie Uschtrin


Hermann Scheer, Deutschlands "Solarpapst" sitzt seit 1980 für die SPD im Bundestag. Er ist Mitbegründer und Präsident von Eurosolar, der europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien und Ideengeber für die weltweite Erneuerbare-Energien-Agentur IRENA

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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