Affentheater

Geschichtsvergleiche Wie man mit dem Vorwurf, Rechtsextremismus zu schüren, vom eigenen Populismus ablenken kann

Neun Wochen nach der Bundestagswahl beherrschen Krisenszenarien die Medien. Droht die rot-grüne Bundesregierung das Land in eine neue Barbarei zu stürzen? Oder "jammern wir uns die Zukunft kaputt"? Die Rentendebatte wird dominiert von ideologischen Begriffen, wie "Überalterung" oder "Vergreisung", aus deren Subtext sich Verfall und Untergang lesen lassen. Mitten hinein in die aufgeheizte Debatte, in der selbsternannte Warner eine grausige Not malen, poltern Äußerungen von Oskar Lafontaine (SPD) und Jörg Schönbohm (CDU). Beide beschuldigen die Schröder-Regierung, mit ihrer Politik rechtsextremen Strömungen Vorschub zu leisten.

Eine Krise wirkt gewaltiger, wenn sie ihresgleichen sucht. Und wo würde man bessere Geschichtsschablonen finden als in der nationalsozialistischen Vergangenheit? Oskar Lafontaine hat die Sparpolitik der Regierung Schröder mit der deflatorischen Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers Brüning während der Weimarer Republik verglichen, mit der dieser Hitler den Weg bereitet haben soll. Gerade bei den Genossen erfreuen sich historische Vergleiche großer Beliebtheit. Im Frühjahr erst tat sich Ludwig Stiegler mit der Bemerkung hervor, die Vorgänger-Parteien von CDU und FDP trügen Mitschuld an der Machtergreifung Hitlers, woraus ihnen heute eine besondere Verantwortung erwachse, populistische Umtriebe zu verhindern. Nicht vergessen sind die Erklärungsnöte, in die sich Herta Däubler-Gmelin kurz vor der Bundestagswahl brachte, als sie behauptete, George W. Bush wolle mit einem Krieg gegen den Irak nur von seiner innenpolitischen Misere ablenken, ähnlich wie dies auch "Adolf-Nazis" Absicht gewesen sei.

Vergleiche mit der nationalsozialistischen Geschichte werden für die tagespolitische Stimmungsmache aus dem Groben gemeißelt: Sie sollen für die Masse plausibel sein. Ihre Funktion ist dabei eine doppelte, im wahrsten Wortsinn "angleichende", relativierende: Während NS-Vergleiche ein Zerrbild der aktuellen Verhältnisse zeichnen, tragen sie auf der anderen Seite dazu bei, der deutschen Geschichte ihren Stachel zu nehmen. Wenn man sich daran gewöhnt, Analogien zwischen Nazi-Deutschland und den heutigen Verhältnissen zu ziehen, verharmlost das den Hitler-Faschismus. Die Kriterien verwässern sich, mit deren Hilfe man sich ein Bild der Vergangenheit machen könnte. Wer alles auf eine Ursache zurückführt, das wissen jene, die nicht völlig unbeleckt oder fahrlässig mit Geschichte umgehen, kommt zu keiner angemessenen Analyse der Verhältnisse.

So wenig erhellend NS-Vergleiche sind, Lafontaines Anwurf disqualifiziert sich noch aus einem anderen Grund. Er tut genau das, was er Schröder vorwirft: Lafontaine gibt rechten Kräften Nahrung, indem er diffuse Existenzängste schürt und ein Krisenszenario malt. Der Populist nutzt depressive Stimmungen für seine Zwecke aus. Indem er einen historischen Vergleich bemüht, der die heutige Situation dramatisiert, bedient Lafontaine selbst die Krisenstimmung: Dem "Volk nach dem Maul" reden, einer Hysterie nacheifern, die das Land in eine Krise schlittern sieht und Menschen mobilisiert, die darauf womöglich reagieren, indem sie sozial Schwächere dafür verantwortlich machen. Wer sich selbst in einer existenziellen Krise sieht, neigt manchmal dazu, um sich zu schlagen. Dass Lafontaine seinen Vergleich in der Bildzeitung veröffentlicht, unterstreicht, auf welches Publikum er zielt.

In der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit, einem Blatt, das zwar selbst nur eine geringe Verbreitung hat, dafür aber gerne zitiert wird, hat Jörg Schönbohm sich positioniert: Schröder habe mit dem sogenannten Aufstand der Anständigen vor zwei Jahren dafür gesorgt, dass rechtsextreme Gewalttaten sprunghaft angestiegen seien. Schönbohm, bekennender Anhänger einer deutschen "Leitkultur", bedient sich wiederum eines anderen, aber ebenso bewährten populistischen Musters, dem der Verdrehung. Wie vor ihm Jürgen W. Möllemann Michel Friedman beschuldigte, "wie kaum jemand dem Antisemitismus Zulauf zu verschaffen", bezichtigt Schönbohm die Regierungsinitiative gegen rechte Gewalt, diese selbst zu provozieren. Man kann aus vielen Gründen Schröders "Aufstand der Anständigen" kritisieren. Aber gerade der Innenminister des Landes Brandenburg, das schlimmste Ausbrüche rechtsradikaler Gewalt zu verzeichnen hat, empfindet keine Scham, diese zu verharmlosen und deren Ursachen zu verdunkeln. Der brutale Mord an einem Jugendlichen aus Potzlow ist da ein besonders drastisches Beispiel. Und die rechte Szene konstituiert sich besonders über die Musik. Hat Schönbohm denn schon vergessen, dass sein landeseigener Verfassungsschutz über einen V-Mann rechtsradikale Musik verbreitete?

Forderungen nach Parteiausschluss mehren sich dieser Tage. Wie Lafontaine jetzt durch die Talkshows tourt, wird bald auch Möllemann wieder an seiner politischen Auferstehung basteln. Keiner beherrscht es so gut wie der Mann aus NRW, sich als Opfer einer "political correctness" zu inszenieren. Vielleicht wollen Schönbohm und Lafontaine ihre Methode noch verfeinern, sie sollten sich einstweilen von dem FDP-Mann beraten lassen. Er sucht bis zu seinem wohl vorbereiteten Comeback noch einen Job.

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