Brutpflege für Besserverdiener

Nachwuchs Mit den neuen familienpolitischen Regelungen werden die belohnt, denen es sowieso schon recht gut geht. Kinderarmut ist kein Thema

Ein von der Politik erwünschtes Ergebnis liefert das Paarungsverhalten der menschlichen Gattung hierzulande schon lange nicht mehr. Populationsexperten schlagen Alarm, besonders bestimmte Unterpopulationen wie akademisch Gebildete ließen zu wenig Zeugungsbereitschaft erkennen. In der Tierwelt setzen sich engagierte Umweltschützer für vom Aussterben bedrohte Arten ein und schaffen ihnen einen geschützten Lebensraum. Vergleichbares geschieht derzeit für die einheimische menschliche Art. Zur Bestandserhaltung versucht die große Koalition nun, die Brutpflege zu unterstützen.

Mit der wichtigsten familienpolitischen Maßnahme, dem Elterngeld, will sie zukünftig bei Geburt eines Kindes den Lebensstandard einer jungen Familie für ein Jahr sichern. Derjenige Elternteil, der die Erziehung übernimmt, bekommt 67 Prozent des Nettoeinkommens bezahlt. Demnach erhalten die höchsten Beträge (maximal 1.800 Euro) zukünftig Mütter oder Väter, die ein Einkommen von circa 2.500 Euro netto oder darüber haben. Diese Gruppe ging bislang leer aus, weil das bisherige Erziehungsgeld, das durch das Elterngeld ersetzt wird, nur bis zu einer Einkommensgrenze von 30.000 Euro netto pro Jahr und Paar gezahlt wurde.

Wer noch ein weiteres Jahr anhängen will, muss allerdings selbst sehen, wie er oder sie zurecht kommt, denn abgesehen vom Kindergeld, haben sich Direktzahlungen des Staates nach dem ersten Jahr erledigt. Familien mit sehr geringem Einkommen oder erwerbslose Mütter und Väter könnten mit der neuen Regelung das Nachsehen haben. Hatten sie mit dem bisherigen Erziehungsgeld noch monatlich 300 Euro zwei Jahre lang sicher, könnte sich das mit der neuen Regelung ändern. An einem Mindestbetrag arbeite man noch, hört man aus dem Familienministerium und jongliert mit Zahlen zwischen 170 und 200 Euro. Und: Es wird Fälle geben, die schlechter dastehen. Im Ministerium hofft man, es werden "nur ganz wenige" sein. Mit der Veränderung dieses familienpolitischen Instruments wird die Zielvorgabe von "Förderung bei Bedürftigkeit" umgedreht zum "Anreiz für Bessergestellte". Die soziale Spaltung zwischen Arbeitslosen- und Gutverdienerhaushalten wird damit weiter vorangetrieben.

Nachbessern will die SPD die zweite steuerpolitische Maßnahme, die das Kabinett vergangene Woche beschlossen hatte. Die zielte ursprünglich ausschließlich auf Doppelverdiener, insbesondere Eltern von Schulkindern. Diese sollten ab dem ersten Euro steuerliche Vergünstigungen erhalten, Eltern von Kleinkindern erst ab einem Sockelbetrag von 1.000 Euro. Den Sockelbetrag will die SPD nun abschaffen. Doch die Stoßrichtung bleibt: Die Familie soll ein kleines investierendes Unternehmen sein, das für die Anstellung von Tagesmüttern subventioniert wird. Die Wunschfamilie der großen Koalition betätigt sich als Arbeitgeberin und nimmt Dienstleistungen in Anspruch. Eine neue Dienstmädchenära schimmert am Horizont.

Die SPD hat derzeit alle Mühe, sich von der amtierenden Ministerin von der Leyen nicht den Schneid abkaufen zu lassen. Daher legte sie auch schnell nach, als ihr erster Vorschlag eines kostenfreien Kindergartenjahres postwendend von der CDU-Familienministerin übertrumpft wurde, die gar die vollständige Abschaffung der Kita-Gebühren forderte. Ein derart "sozialistischer" Vorschlag wurde in den eigenen Unions-Reihen sofort als unrealistisch desavouiert. Doch er wirkte umgehend, Konkurrenz belebt das politische Geschäft, und so forderte denn auch die SPD Gebührenfreiheit, langfristig natürlich.

Anfang der Woche beschlossen die Sozialdemokraten in Mainz gleich ihre gesamte Programmatik auf das "Zukunftsthema" Familie auszurichten. Dass die Familienpolitik nun wieder zu einem Topthema geworden ist, kann als sicheres Indiz für anstehende Wahlen gelten. Familien- und Bildungspolitik sei der Lackmustest auf das, was die SPD unter sozialer Gerechtigkeit verstehe, erklärte daher der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD). Doch gleichzeitig wollen sich die Sozialdemokraten von "uneinlösbar gewordenen Sicherheitsversprechen von vorgestern" verabschieden. Das komplexe Denken ist eben nicht jedem in die Wiege gelegt. Sie verstehen nicht, dass die Entscheidung für Kinder durchaus mit Sicherheitsversprechen zu tun hat. Selbst, wenn man sich mit der neuen Förderung an die gut Ausgebildeten richten will: Welcher Akademiker bekommt heute nach einem jahrelangen Studium einen unbefristeten Vertrag? Wer einen vorsichtigen Kinderwunsch hegt, wägt ab und reagiert eben nicht wie ein Pawlowscher Hund auf das kurze Klingeln im Geldbeutel. Die Bereitschaft zu mehr Kindern wird man mit simplen Anreizen nicht fördern. Solange die Politik sich insgesamt aus der Verantwortung verabschiedet und auf den Sektoren Arbeitsmarkt, Bildung und Sozialstaat der Notstand herrscht, provoziert sie gegenteilige Effekte. Nicht einen Euro hat die Bundesregierung noch übrig, um die zunehmende Kinderarmut abzumildern. Wer von Gerechtigkeit und Zukunft spricht, muss Armutstrends stoppen und massiv in den Bildungssektor investieren. Alles andere dient der Imagepflege der Parteien und dem kurzfristigen Wahlerfolg.


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