Christoph Metzelder und die globalisierte Welt

Bildung Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kann sich freuen. Während die Berliner Studenten streiken, erklärt Erhards später Patensohn, wie sich Leistung auszahlt

Während draußen die lautstarken Proteste des Bildungsstreiks toben und die Massen sich in Richtung Rotes Rathaus in Bewegung setzen, um dort ihrem Unmut über die Bildungsreformen kräftigen Ausdruck zu verleihen, sitzen drinnen, wie im Auge des Sturms, im altehrwürdigen Gebäude der Berliner Humboldt-Universität, rund 200 Studenten und Studentinnen, um Christoph Metzelder zu lauschen bei seinen Ausführungen über die soziale Marktwirtschaft. Ja, dem Fußballer Metzelder, seines Zeichens Nationalspieler, ehemals bei Borussia Dortmund und derzeit in Diensten von Real Madrid, einem der reichsten Fußballclubs der Welt.

Dieser Christoph Metzelder hält eine Vorlesung in der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) über „Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Wettbewerb als Voraussetzung für die Entfaltung individueller Freiheit“, wie dem Ankündigungstext zu entnehmen ist. Die meisten, die hergekommen sind, wollen ihn mal von Nahem sehen, deshalb sehen sie auch gerne darüber hinweg, was er sagt und vor allem: für wen er es sagt. Vielleicht wissen sie es auch nicht oder wollen es nicht wissen. Es klingt ja auch irgendwie gut und richtig, was da auf den Plakaten steht: Metzelder hält einen Vortrag über „Bildung für alle“.

Der Leistungsträger

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist eine Lobbyorganisation der Deutschen Wirtschaft, die seit dem Jahr 2000 PR-Arbeit für die Liberalisierung und Deregulierung des Marktes macht. Sie wird im wesentlichen finanziert über den Arbeitgeberverband Gesamtmetall und lobte in der Vergangenheit regelmäßig „Reformer des Jahres“ aus (mit Preisträgern wie Friedrich Merz oder Udo di Fabio) sowie „Blockierer des Jahres“, zumeist Gewerkschafter oder der Linken nahestehende Politiker.

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Wenn Fußballer als Werbetafeln für Sponsoren herumlaufen, wird ihnen das teuer bezahlt. Hier bestreitet Metzelder eine PR-Veranstaltung der besonderen Art, weil sie unter der Camouflage der "Vorlesung" den Schein von Wissenschaftlichkeit trägt und so ganz gezielt auf interessiertes Publikum einwirken kann. Bis auf die Schildchen der INSM unter und über dem Rednerpult braucht Metzelder hier kein aufdringliches Labeling. Auch so kann man Wahlkampf machen, ganz ohne Fähnchen und Luftballons, nur effektiver und nachhaltiger. Ermöglicht hat dies auch der Leiter des Instituts für Management der HU, Joachim Schwalbach, der den PR-Gag moderiert.

Metzelder buchstabiert flüssig das Redemanuskript aus, das die INSM ihm vorgegeben hat und beherzigt, wenn die Zeit etwas lang wird, was ihm seine Mama noch auf den Weg gegeben hat: "Nuschle nicht so." Gut aussehend, jung und braun gebrannt, ist er das Wunschbild eines "Leistungsträgers" wie ihn sich die INSM nicht besser wünschen könnte, um ihr Anliegen unter den jungen Studierenden zu verbreiten: Leistung, Eigeninitiative und Wettbewerbsbereitschaft kann sich lohnen. Seht mich an. Die ausgefuchsten Strategen der PR-Maschine INSM haben sich einen massenkompatiblen Sympathen geholt, ihn zum Botschafter der INSM gemacht, um ihn das für sie offenbar krisenfeste, immergleiche Loblied auf die Marktwirtschaft singen zu lassen. Weniger mit dem, was er sagt, als mit dem was er ist. Herr Metzelder, selbst Mitglied in einer katholischen Studentenverbindung und BWL-Student, reiht sich ein in eine Galerie von "Botschaftern" der INSM wie Arnulf Baring, Wolfgang Clement, Martin Kannegießer, Arend Oetker, Otto Graf Lambsdorff, Theo Waigel und viele mehr, die die Arbeitgeber-PR-Firma INSM für das Vorantreiben von "Reformen" gewinnen konnte.


Der selbsternannte Patensohn von Ludwig Erhard, Christoph Metzelder, will an die Lobrede der Bundeskanzlerin auf den Wirtschaftswunder-Kanzler vor einem Jahr anschließen. Er braucht nicht viel zu sagen, weil man es ihm sowieso gleich glaubt: Die hier hergekommen sind, sind vollkommen willens, sich ihm nah zu fühlen, wollen einen Christoph Metzelder zum Anfassen, kaum merklich beschattet von wenigen Body-Guards – wollen IHN als einen von uns. „Ich habe als Kind schon gelernt, dass Leistung sich lohnt und sich auszahlt,“ sagt er. Und deshalb weiß er auch heute noch: „Die besten Leistungen werden im Wettbewerb erzielt.“ Natürlich müsse sozialer Aufstieg für jeden möglich sein und Chancengleichheit gewährleistet werden. Metzelder reiht ein paar Allgemeinplätze aneinander: Jeder Mensch besitze Talente, die er frei entfalten können muss, unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht. Schön sagt er das. Ein paar Studentinnen danken es ihm insgeheim und hängen ihm an den Lippen. Das Markenzeichen der Sozialen Marktwirtschaft sei ein einmaliger Ausgleich zwischen Leistungsbereitschaft und Chancengleichheit. Und auch wenn er sich vorstellen könne, dass das Gehalt im Profisport den Zuhörern "wohl etwas unwirklich erscheint". Der Saal sieht es ihm nach, weil er als einer vorgestellt wurde, der ja auch soziale Verantwortung übernimmt, und sich eine "Herzensangelegenheit" leistet: eine Stiftung für die Förderung von Bildung, an die er auch selbst ein paarmal im Laufe seiner Rede erinnert. Drei Millionen soll er im Jahr bekommen, das aber ist kein Cent zuviel, denn, seht her, er ist ein guter Millionär.

Wer hier hergekommen ist, verirrt sich danach kaum vors Rote Rathaus, um für eine gerechtere Bildung zu demonstrieren wie hunderttausend andere, sondern sieht den Bildungsstreik skeptisch, im Zweifel als eine Veranstaltung von "Linken". Angesichts deren Forderung, mehr Geld für Bildung bereitzustellen, wo doch für die Banken auch Milliarden fließen, sagt einer der Studenten zu seinem Nachbarn im Publikum schlicht: „Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“ Und doch kommt am Schluss die Frage, dass man doch Chancengleichheit noch nicht habe und die Reallöhne sogar sinken. Da mangelt es dem PR-Mann Metzelder nicht an Briefing: „Wir leben in einer globalisierten Welt“, kommt es aus ihm heraus wie aus einem Automaten. Die Konkurrenz in aller Welt, billige Arbeitskraft in Asien, was soll man da tun... – tja, schade, wenn's dann nicht klappt mit der Chancengerechtigkeit. Aber gewollt haben wir sie immer, alle. Und am Ende kriegen ein paar gut vorbereitete Studenten sogar noch ein Autogramm auf ihre gelb-schwarzen Borussia-Hemdchen. Dass der gute Wille zur guten Bildung allein nicht reicht, schreien danach andere in die Megafone vor dem Roten Rathaus.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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