Das falsche Gedenken verhindern

Dresden Das Bündnis „Geh Denken!“ mobilisiert für eine bundesweite Demonstration gegen den größten Naziaufmarsch Europas am 13. Februar in Dresden

Was hat der 27. Januar, Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Alliierten, mit dem 13. Februar, Tag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten, zu tun? Erstmal nicht sehr viel, möchte man meinen, da doch sehr unterschiedliche Opfergruppen betroffen sind. Gedenkt man hier der Vernichtung der Juden, erinnern sich viele dort der zivilen deutschen Kriegsopfer Dresdens. Geht das zusammen? Die Initiative „Geh Denken!“ nimmt in diesem Jahr den 27. Januar zunächst zum Anlass, um gegen die Vereinnahmung des 13. Februars durch Rechtsextreme aufzurufen.

Den Nazis die Straße nicht überlassen

Denn seit einigen Jahren marschieren Mitte Februar Neonazis durch die sächsische Landeshauptstadt – zwischen 4.000 und 6.000 sollen es im vergangenen Jahr gewesen sein – und skandieren revanchistische Parolen. Größer als all die Jahre zuvor soll der Aufmarsch dieses Jahr am 14. Februar werden und noch mehr Nazis aus ganz Europa zusammenbringen. „Das ist nicht mehr nur eine Sache der Dresdnerinnen und Dresdner,“ sagt Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Erstunterzeichner des Bündnisses „Geh Denken“. Man will verhindern, dass das Gedenken „in sein Gegenteil verkehrt wird“. Annelie Buntenbach vom Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB ergänzt: „Wir dürfen den Nazis an diesem Tag die Straße nicht überlassen.“ Der Initiative gehören auch die Journalistin und NS-Überlebende Inge Deutschkron an sowie Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung und die Pfarrerin Ruth Misselwitz von der Aktion Sühnezeichen.

Seit etlichen Jahren organisiert die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO ) rund um den 13. Februar einen Trauermarsch von Neonazis anlässlich des von ihnen als „Bombenterror“ bezeichneten Luftangriffs der Alliierten 1945. Im Jahr 2005 gebrauchte der sächsische NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel in einer Rede im Landtag den Begriff "Bomben-Holocaust" und löste einen Eklat aus. Er setzt damit die Vernichtung der Juden mit den Opfern der Luftangriffe gleich. Seither wird der Begriff Holocaust von Nazis inflationär und systematisch verwendet, um das Täter-Opfer-Verhältnis umzukehren.

Inge Deutschkron empfindet das als eine Verhöhnung der Opfer. Sie versteht nicht, dass man es zulässt, dass junge Leute Nazi-Parolen nachplappern und die Gerichte Milde walten lassen. Das Bündnis will es nicht mehr hinnehmen, dass Nazis durch die Dresdner Innenstadt marschieren und sich als Opfer inszenieren. Grit Hannefort, vom Kulturbüro Sachsen, die die Initiative in Dresden koordiniert, erklärt, dass es eine bundesweite Unterstützung und Mobilisierung gegen Rechts braucht, angesichts der Größe des Naziaufmarsches, den man nun erwartet. Sie sagt es nicht, aber es schwingt mit: Die Dresdnerinnen und Dresdner schaffen es nicht mehr alleine. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass man in Dresden den braunen Trauermärschen nicht immer mit der jetzigen Entschlossenheit entgegentrat. Wer um die Opfer des Luftangriffs trauerte, tat dies im stillen Gedenken am Vormittag, am Nachmittag ließ die Stadt die Nazis laut marschieren.

Brückenschlag zwischen zwei höchst unterschiedlichen Gedenktagen

Immerhin wurde im vergangenen Jahr das erste Mal verhindert, dass die Nazis an der Synagoge vorbeiliefen, wie es immer wieder in den Jahren zuvor geschehen war. Wolfgang Thierse formuliert das Ziel der Initiative so: „In der Auseinandersetzung mit dem Missbrauch des Gedenkens verteidigt man die eigene authentische Trauer.“
Doch was ist mit dem Brückenschlag zwischen zwei höchst unterschiedlichen Gedenktagen?Anetta Kahane bemerkt, dass immer so getan werde, als hätte der 27. Januar mit dem 13. Februar nichts zu tun. Dabei gebe es einen „inneren Zusammenhang“ zwischen beiden Daten. Sie erzählt, dass für sie persönlich der 13. Februar mit einem guten Ereignis verbunden ist. Ein Ereignis, das diesen Tag für sie in die Nähe der Befreiung von Auschwitz rücken mag. Denn am Tag der Luftangriffe auf Dresden gelang ihrem jüdischen Onkel – wie übrigens etwa 175 anderen Juden in der Stadt auch – die Flucht aus der Gefangenschaft durch die Nazis. „Wir müssen anfangen, souverän mit der Geschichte umzugehen,“ sagt Kahane.

Ob es wirklich gelingen kann, zwei Gedenkgemeinden, die sich bislang nicht so recht über den Weg trauten, zu einem gemeinsamen Gedenken zu vereinigen? Der Opfer von Auschwitz und der Opfer der Luftangriffe auf Dresden gleichzeitig zu gedenken, ist ein schwieriges Unterfangen. Schließlich hatte das Erinnern an die Schrecken des Krieges in Dresden auch schon vor der Vereinnahmung durch die Nazis einen fast schon kultischen Charakter. Die Werke von Historikern türmen sich, die den Luftangriff der Alliierten letztlich als sinnlos und unnötig klassifizieren. Viele Bürger der Stadt bestehen auch heute noch darauf, dass die Zerstörung ungerecht war. Auf der anderen Seite ist für die Menschen in Deutschland der 27. Januar nie zu einem zentralen Gedenktag geworden. Darauf weist auch Inge Deutschkron hin und sieht dies als symptomatisch für die deutsche Erinnerungskultur.

Vielleicht wird das Zusammenbringen der beiden Daten nicht so recht gelingen. Es ähnelt dem Bestreben „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ in einer solchen Allgemeinheit zu gedenken, dass letztlich jeder sich als Opfer fühlen kann. Am Ende ist dies das Einende: Wenn alle demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte, egal aus welchen Gedenktraditionen sie kommen, sich zusammenfinden, um gegen die gespenstischen Naziaufmärsche am 13. Februar aufzustehen.

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