Der ganz normale Hass

NPD in Sachsen Wenn die Partei hohe Gewinne einfährt, ist das nicht so sehr der Proteststimmung zuzuschreiben. Die "Nationalen Sozialisten" sind manchenorts schon längst Teil des Alltagsbildes

Für manche, die in Sachsen die rechtsextreme Szene seit Jahren beobachten, stellt sich angesichts der Wahlen am Sonntag nur noch die Frage: Wird die NPD ein einstelliges oder ein zweistelliges Ergebnis haben? Und daran anschließend: Wird sie die SPD überflügeln oder nicht? Auch wenn es die NPD seit 1968 nicht mehr in einen deutschen Landtag geschafft hat, muss man sich über jüngste Erfolge nicht unbedingt wundern.

Seit etwa 1997 haben die Rechtsradikalen in Sachsen ihre Strategie erkennbar geändert. Neonazis sind seither in der Alltagskultur angekommen. Sie sind nicht mehr ohne weiteres an ihrer Kleidung erkennbar, tragen mitunter Palästinener-Tücher und Kapuzenpullis. Seit Mitte der neunziger Jahre wurden von Rechten gezielt Jugendeinrichtungen gegründet, Räume in den ansonsten strukturlosen ländlichen Gegenden gemietet und Jugendlichen so ein Treffpunkt geboten. Durch das gemeinsame gezielte Übertreten von Gesetzen binden sie Jugendliche ein. So werden zum Beispiel Konzerte veranstaltet, auf denen Musik mit verfassungsfeindlichen Texten gespielt wird, oder Fahrten zu rechten Events unternommen. Häufig wird aber auch die Konfrontation mit der Polizei gesucht. Das schweißt die Gruppen zusammen.

Doch die NPD rekrutiert Anhängerschaft nicht nur unter 15- bis 25-Jährigen. In kleinen Orten der Sächsischen Schweiz finden sich auf der Kandidatenliste biedere Bürger: ein Klempnermeister, ein Hausarzt und ein Fahrlehrer. Ein Erfolg wie bei der Kommunalwahl im Juni in Reinhardtsdorf-Schöna, wo die NPD 25,2 Prozent der Stimmen erhielt, kam nicht von ungefähr. In manchen kleinen Gemeinden kümmert sich die Partei seit Jahren intensiv um ihre Klientel. NPD-Leute vor Ort unternehmen immer wieder Versuche, Leute in Arbeit zu bringen - man tut etwas füreinander und steht als Ansprechpartner zur Verfügung. So wie der Fahrlehrer Uwe Leichsenring aus Königstein. Bei ihm laufen alle Fäden der Rechten in der Gegend um Pirna zusammen. Seit 1999 sitzt er für die NPD im Stadtrat von Königstein, vor drei Monaten wurde er sogar mit 21,1 Prozent wiedergewählt. Schon vor Jahren behauptete er: "Die NPD hat im Osten ihren rechten Stallgeruch abgelegt und ist zur normalen Partei geworden."

Die NPD ist laut Verfassungsschutz eng mit der Kameradschaft und Schlägertruppe "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) verbunden, die zwar seit 2001 verboten ist - doch das hält örtliche Neonazikader nicht auf - vor Ort treten die Stiernacken regelmäßig als Saalordner oder Schutztruppe auf. Bei einigen der neuen NPD-Gemeinderäte handelt es sich um Väter von verurteilten jugendlichen Mitgliedern der SSS. In Wahlkampfzeiten wie jetzt halten sich die Schläger daher auch zurück. Auf dem diesjährigen Tag der Sachsen in Döbeln gab es keine Gewaltexzesse wie noch im Jahr zuvor. Dafür betrieben Rechte kräftig Wahlkampf. Obwohl nach der offiziellen Regelung Wahlwerbung nur am Stand gemacht werden durfte, wurde überall die Nazi-Zeitung "Sachsen Stimme" verteilt, und die Polizei schritt nicht ein. Eine Organisation, die gut funktioniert, fällt nicht durch dumpfe Gewalt auf, sondern hält sich bürgernah. So hat sich die NPD über die Jahre zu einer Partei für den Alltag gemausert. Auch der Verfassungsschutz erkennt bereits eine Stammwählerschaft.

Die Politik hat es rechten Organisationen leicht gemacht. Den "Nationalen Sozialisten" ist in vielen Gegenden einfach das Feld überlassen worden. Mittel für Initiativen gegen rechts wurden mit Verweis auf den Rückgang von Gewalt gestrichen oder es gab etliche bürokratische Hürden zu bewältigen, um sie weiter zu erhalten. Das Problem Rechtsradikalismus ist von allen Parteien Sachsens der Bundespolitik zugeschoben worden. Vielfach wird beklagt, es stünden zu wenig Mittel bereit. Aber die Mentalität, der Staat sei letztlich für das Problem Rechtsradikalismus verantwortlich, hindert Verantwortliche daran, selbst tätig zu werden. Oft würde es reichen, vor Ort die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und eine Anschubfinanzierung zu geben, um beispielsweise Jugendräume zu eröffnen, zu denen Rechte keinen Zutritt haben. Das "Netzwerk tolerantes Sachsen" setzt bei seiner Basisarbeit etwa auf die breite Verankerung von Zivilcourage gegen Rassismus und Antisemitismus und eine demokratische Alltagskultur. Doch die gegenwärtig aufgeheizte Stimmung gegen Hartz wird von der NPD geschickt ausgenutzt, um mit einem vermeintlichen sozialen Gedanken ihre rassistischen und völkischen Ideen zu transportieren.

Nach der Kommunalwahl im Juni gab es Debatten, wie man sich zu Vertretern der NPD verhalten solle. Die demokratischen Parteien gaben gemeinsame Erklärungen ab, die Rassismus und Gewalt verurteilten, doch es blieb beim Gestus und einer inszenierten Politik, mit der man die Leute nicht erreicht. Die PDS in Sachsen zeigt sich in ihrer Haltung zu den Vertretern der NPD zwiespältig. Während die eine Seite sicher ist, NPD-Anträge dürften keinesfalls die Zustimmung der PDS erhalten, zeigen sich andere Kommunalpolitiker im Sinne einer Sachpolitik kompromissbereit.

Wenn Bundeskanzler Schröder eine Woche vor der Landtagswahl erklärt, der "braune Sumpf" schade Deutschland, dann mag das für manche Ostdeutsche in der gegenwärtigen Stimmung ein Anlass sein, NPD zu wählen, um es "denen da oben" zu zeigen. Nach Umfragen von Infratest dimap könnte die NPD mit sieben Prozent rechnen - neun Prozent können sich vielleicht vorstellen NPD zu wählen. Doch auch wenn die Partei einen zweistelligen Erfolg haben sollte, käme das kaum überraschend. Die NPD ist nicht mehr die Partei der Protestwahl. Sie ist tief im Alltag verwurzelt.


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