Man könnte ihn den obersten Zahlenhuber der Republik nennen. Doch er wirkt keineswegs verschroben, sogar eher wie eine rheinländische Frohnatur, der Chef von Destatis, dem Statistischen Bundesamt. Dem obersten Hüter aller offiziellen Statistiken, von Geburtenrate und Verbraucherpreisen, sind Zahlen vertraut. Und der gelernte Volkswirt Roderich Egeler wirkt auch so, als könne man sie ihm anvertrauen. Einer, der das Beamtentum inhaliert zu haben scheint, der alles korrekt machen will. Doch auch oberste Staatsdiener verteidigen nicht wie selbstverständlich Demokratie, Bürgerrechte und Transparenz. Aus traditionellen Gründen ist der Chef des Statistischen Bundesamtes in Deutschland zugleich Bundeswahlleiter, und als solcher kam Roderich Egeler jüngst in
in die Schlagzeilen.Geboren im niedersächsischen Obernkirchen, hat Egeler Volkswirtschaftslehre in Bonn und Köln studiert. Später arbeitete er sich zum Abteilungsleiter im Bundesamt für Zivilschutz hoch – sein Schwerpunkt war unter anderem der Katastrophenschutz. Die Beamtenlaufbahn führte ihn schließlich ins Bundesinnenministerium, wo er seit 1993 für die Beschaffung zuständig war, also beträchtliche Summen verwaltete. Im August 2008 beförderte Wolfgang Schäuble das CDU-Mitglied zum Präsidenten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden – und damit zum Bundeswahlleiter. Vielleicht dachte er, Paragrafen sind so etwas wie Rechenmaschinen, man füttert sie statt mit Zahlen mit ein paar Fakten und hat am Ende ein eindeutiges Ergebnis. Doch auf dem interpretationsbedürftigen Terrain des Bundeswahlgesetzes kann man leicht ausrutschen, wenn man sich unbeweglich zeigt.Gut gelaunt führte Egeler zunächst durch die fast vierstündige erste Sitzung des Bundeswahlausschusses im Sommer 2009. Kraft seines Amtes entschied der Bundeswahlleiter zusammen mit Ausschussmitgliedern aus den Bundestagsparteien darüber, welche politischen Vereinigungen den Parteistatus anerkannt und zur Bundestagswahl zugelassen werden. Mit randloser Brille, Vollbart und Bürstenhaarschnitt begrüßte er jeden Vertreter der Kleinparteien im Saal stets mit einem „wunderbar“ und einem strahlenden Lächeln. Und senkte dann seinen Blick in die vor ihm liegenden Akten, um den Paragrafen aus dem Bundeswahlgesetz zu zitieren, nach dem er „Erörterungsbedarf“ bei den Anwärtern sehe. Die Nichtzulassung etlicher Parteien begründete Egeler dann mit Sätzen wie diesem: „Für mich ist zweifelhaft, ob Sie in Bezug auf Umfang und Festigkeit Ihrer Organisation über die genügende Ernsthaftigkeit Ihrer Zielsetzung zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung und Teilnahme an parlamentarischen Wahlen verfügen.“ Am Ende erlaubte er nur 29 von 52 Bewerbern die Teilnahme an der Wahl.Später musste Egeler scharfe Kritik einstecken. Der Neuling im Bundeswahlamt machte gegenüber den Kleinstparteien eine Strenge und Autorität geltend, die man von den bisherigen Amtsinhabern Walter Radermacher und Johann Hahlen nicht gewohnt war. Die beiden Juristen hatten durchweg im Zweifel für die Zulassung von Kleinstparteien votiert. So konnte 2005 unter anderem auch die von dem Satiriker Martin Sonneborn gegründete Die Partei antreten.Von Egeler erhielt sie nun eine Abfuhr. Und – er machte Fehler. Er fasste eine Entscheidung aufgrund falscher Voraussetzungen und korrigierte den Fehler nicht als er ihn als solchen erkennen musste. Egeler blieb bei seinem negativen Votum und die Mehrheit der Beisitzer schloss sich an. In einer zweiten Sitzung wurde der fragwürdige Beschluss nicht revidiert. Auch im Falle der Pauli-Partei Freie Union sagte Egeler Nein. Hier war es eine fehlende Unterschrift, die den Ausschlag gab. Dabei sind sich die meisten Fachleute einig, dass diese auch nach Fristablauf hätte nachgeholt werden können. Und: Eine Entscheidung des Wahlausschusses ist nicht so unantastbar, wie Egeler glauben möchte. Der frühere Bundesverfassungsrichter und CDU-Parteikollege Hans Hugo Klein stellte klar, dass eine Korrektur durchaus möglich ist. Klein nannte das von Egeler geleitete Verfahren „nicht sehr vertrauenerweckend“.Der letzte Wahlleiter, der einen derartigen Umgang mit kleinen Parteien an den Tag gelegt habe, sei 1946 von einem alliierten Militärtribunal hingerichtet worden, frotzelte Sonneborn daraufhin. Eine wohl kalkulierte Provokation, die Egeler mit Schweigen quittierte. Wenige Tage später sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt Wahlbeobachter nach Deutschland schickt. Die Einladung an sie hatte die Bundesregierung schon vor einiger Zeit ausgesprochen – doch nun stolpern die Kontrolleure auch über die Vorgänge in dem Zulassungsgremium.Eine rasche Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte zwar formal die Vorgänge. Doch Sonneborn gibt nicht auf, will nach der Wahl vor Gericht ziehen und die Wahl anfechten. Der Medien-Performer weiß die von ihm inszenierte persönliche Feindschaft zu Egeler natürlich für seine Zwecke einzusetzen – sie sichert seiner Mini-Partei Publicity. Die Freie Union-Gründerin Gabriele Pauli dürfte eine noch größeren Groll gegen Egeler empfinden. Denn nachdem die fehlende Unterschrift vom Ausschuss unterschiedlich bewertet wurde und die Diskussion in einem Patt endete, gab Egeler mit seiner Ablehnung den Ausschlag.Am Sonntag gegen Mitternacht wird Roderich Egeler das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl verkünden. Doch damit wird der Job für den Bundeswahlleiter nicht zu Ende sein. Egeler wird, wenn Martin Sonneborn seinen Gang vor Gericht wahr macht, vermutlich zu seinen Entscheidungen Stellung nehmen müssen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass das Gericht am Ende feststellt, dass die Nichtzulassung der Kleinparteien nicht rechtens war. Denn dann müsste die Bundestagswahl wiederholt werden. Das wäre allerdings der persönliche GAU für Roderich Egeler.