Die Uhr tickt

Atommüll Zeitgleich skandalisieren zwei Medien Meldungen über Atommüll-Endlager, die eigentlich keine Neuigkeiten sind. In Wahlkampfzeiten nimmt die Debatte trotzdem ihren Lauf

Es ist kein Zufall, dass mitten im Wahlkampf zeitgleich zwei Meldungen über die Ticker laufen, die üble Machenschaften im Umgang mit Atommüll in den achtziger und neunziger Jahren „aufdecken“. Die eine ist: Gorleben wurde bereits seit den achtziger Jahren illegal zu Atommüll-Endlager ausgebaut. Die andere lautet: Angela Merkel hat in den neunziger Jahren als Bundesumweltministerin über die Gefahren des Endlagers Asse Bescheid gewusst, aber trotzdem weiter große Mengen von Atommüll einlagern lassen.

Beide Nachrichten sind eigentlich nicht „neu“, neu ist nur, dass sie sich erstmals auf eine hochoffizielle Quelle wie das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) berufen, das aber den zitierten Wortlaut dementiert. Weshalb zu diesem Zeitpunkt interne Dokumente aus dem BfS – das dem Bundesumweltministerium untersteht – in Redaktionen gelangen konnten, oder die Redaktionen Papiere gerade jetzt „ausgewertet“ haben, bleibt vermutlich ein Geheimnis, ist aber offensichtlich ein wahlkampftaktisches Manöver. Die Endlager-Debatte bietet sich an, um im Wahlkampf zwischen Union und SPD ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen.

Viel Geld verbuddelt

Wer bis drei zählen kann, konnte sich auch bislang schon ausrechnen, was die Frankfurter Rundschau nun „ans Licht zog“: Dass die enormen Kosten (etwa 1,5 Milliarden Euro) für die „Erkundung“ von Gorleben als Endlager-Standort nur durch eine ebenfalls stattfindende intensive Bautätigkeit zustande gekommen sein konnten. Jürgen Trittin sprach bereits vor Jahren als grüner Bundesumweltminister von einem „Schwarzbau“ in Gorleben. Allerdings stellt das BfS in einer Stellungnahme fest, der Ausbau parallel zur Erkundung war rechtmäßig. „Der Umfang des Ausbaus ist durch das Bergrecht genehmigt und wurde vom Bundesverwaltungsgericht 1990 für zulässig erklärt,“ so das BfS. Und weiter: Ob sich Gorleben als Endlager eigne, wisse man frühestens in 15 Jahren. Das viele Geld, das dort bereits „verbuddelt“ wurde, war allerdings immer Argument und Druckmittel der Atomlobby und der Unions-Politik, darauf zu drängen, die Erkundungen zügig weiterzuführen (das derzeit wirksame Erkundungs-Moratorium ist befristet bis 2010). Die Unionsparteien machen kein Geheimnis daraus, dass sie Gorleben als Endlager haben möchten.

Auch die verhängnisvollen Entscheidungen der damaligen Bundesumweltministerin Merkel in den neunziger Jahren in Bezug auf die Endlager Morsleben und Asse, sind der informierten Öffentlichkeit bekannt. Doch manchmal hilft es wenig, wenn Bürgerinitiativen im Verbund mit einzelnen Wissenschaftlern jahrelang Missstände anklagen. Wenn aber ein TV-Polit-Magazin wie Kontraste die damalige Merkel-Entscheidung im Wahlkampf skandalisiert, heizt das die Debatte an. Und wenn der amtierende Bundesumweltminister Gabriel (SPD) über seine momentane Chefin aber parteipolitische Gegnerin sagt, sie habe in den neunziger Jahren weitaus mehr Atommüll im maroden Morsleben einlagern lassen als während der gesamten DDR-Zeit dorthin kam, dann sind wir mitten drin in der Wahlkampf-Schlammschlacht. Zwar ist es gut, wenn all dies einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Ob allerdings diese Debatte einer sachlichen Endlager-Suche zuträglich sind, steht auf einem anderen Blatt.

Schwarz-Gelb wäre Vorentscheidung

Die Zeit drängt jedenfalls. Gabriel will die Union zwingen, endlich ihre Zustimmung zu einer ergebnisoffenen Endlager-Suche zu geben. Er veranschlagt die Kosten dafür auf knapp eine Milliarde Euro. Wenn Schwarz-Gelb im Herbst übernehmen sollte, ist das Thema aber vermutlich vom Tisch. Eine Union-FDP-Regierung wäre höchstwahrscheinlich eine Vorentscheidung für Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Als Kämpfer für eine ergebnisoffene Endlager-Suche steht Gabriel im Wahlkampfzeiten gut da. Dass er dieses Thema nun für ein kleines Lagerwahlkampf-Gemetzel ausschlachtet, ändert aber nichts an den Tatsachen: Einer halbwegs demokratischen Entscheidung für einen Endlager-Standort muss eine ergebnisoffene Suche und ein Planfeststellungsverfahren voraus gehen. Abgesehen davon ist in Gorleben schon sehr viel Vertrauen zerstört. Jahrzehntelang hat die Politik dort gegen den Widerstand der Bevölkerung ihren Willen durchgesetzt. Der Ort ist kein weißes Blatt mehr. Eine ergebnisoffene Suche müsste erst mal an anderer Stelle beginnen, und – das ist heute wichtiger denn je – die Debatte müsste jenseits von eingeübten Grabenkämpfen und parteipolischem Gerangel geführt werden.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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