Finger am Abzug

Jugendgewalt Angesichts der Mordtat von München-Solln fordern Politiker reflexhaft ein verschärftes Strafrecht für Teenager - und versuchen so ihre Hilflosigkeit zu verbergen

Mitten im Wahlkampf eine schreckliche Tat, von Jugendlichen verübt. Wieder einmal. Und wieder löst sie eine Ersatzdebatte aus, die am Kern des eigentlichen Problems vorbei geht.

Was am vergangenen Samstag auf dem S-Bahnhof München-Solln geschah, macht betroffen und hilflos. Ein 50-Jähriger, der vier Kinder vor Angreifern schützen wollte, wird anschließend selbst zum Opfer und stirbt noch vor Ort. Ist mit ihm auch die Zivilcourage tot geschlagen worden?, fragen jetzt einige Medien aufgeregt.

Keine Frage der Reife

Doch die Hilflosigkeit gerade angesichts des zivilcouragierten Verhaltens des Opfers darf von der Politik nicht eingestanden werden. Die mutmaßlichen Täter, ein 17- und ein 18-Jähriger, sind bereits straffällig geworden. Aus der CSU kommen wieder die allseits bekannten, reflexhaften Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts. Horst Seehofer und Joachim Herrmann schämen sich nicht einmal, die Abschaffung des Jugendstrafrechts für junge Erwachsene ab 18 Jahren zu verlangen. Als habe das Erreichen der Volljährigkeit etwas mit Reife zu tun. Auch eine Anhebung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre wird in die Diskussion geworfen.

Damit bedienen die CSU-Politiker ein simples Reiz-Reaktions-Schema, einen Mechanismus, der bei einem autoritär strukturierten Klientel von Nachrichten wie jener aus München ausgelöst wird und nach Rache und Vergeltung für eine schlimme Tat ruft. Doch bereits als Roland Koch 2007 einen Überfall in der Münchner U-Bahn für seinen Wahlkampf ausschlachten und mit ähnlichen Parolen punkten wollte, scheiterte er kläglich. Zum Glück – hier zeigten sich die Wähler zivilisierter als ihr Vertreter in der Politik und straften Koch für seinen erbärmlichen Wahlkampf ab.

Wahlkampf und Desinteresse

Man sollte sich auch jetzt wieder vor denen hüten, die im Wahlkampf auf dem Ticket der Jugendgewalt reiten und den Finger schnell am Abzug haben. Meistens sind es gerade diejenigen, die sich für abgehängte Jugendliche aus zerrütteten Familienverhältnissen überhaupt nicht interessieren. Geschweige denn bereit sind, ernsthaft über die Ursachen solcher Gewalt nachzudenken. Mit derselben Relexhaftigkeit wird regelmäßig nach einem Amoklauf nach der Verschärfung des Waffenrechts und einem Verbot von so genannten Killerspielen gerufen. Dabei weiß man schon ziemlich viel darüber, wie es zu Jugendgewalt kommen und auch, wie sie eingedämmt werden kann.

Junge Männer, die keinen Zugang zu Bildung und damit kaum Chancen auf ein halbwegs gutes Leben haben, in der Schule gedemütigt wurden und in der eigenen Familie statt Unterstützung eher Gewalt erleiden mussten, sind besonders gefährdet, mehr oder weniger planvoll auszurasten. Wer in der schwierigen Altersphase zwischen 16 und 19 täglich erfährt, dass er ein Loser ist, kann diesen Frust vielleicht irgendwann nicht mehr bewältigen und wird zur wandelnden Zeitbombe. Winnenden lässt grüßen. Deshalb, weil die Ursachen von Jugendgewalt vielschichtig sind und die Möglichkeiten der Gewaltprävention auf mehreren Ebenen greifen müssen, ist der Ruf nach schnellen Strafverschärfungen oder mehr Videokameras völlig sinnlos.

Nur selten ein positives Thema: Jugendliche

Familienförderung, ein sinnvolles Gegenmittel, wird von der Politik aber meist nur für jene Phasen propagiert, in denen die lieben Kleinen niedlich sind und die Förderappelle mit schönen Bildern einer zukünftigen Generation einhergehen. Jugendliche fallen aus diesem Raster meist heraus. Sie sind nicht mehr die süßen Kinder, noch gehören sie zu den so genannten Leistungsträgern, denen sozialer Respekt gezollt wird. Sie verhungern nie, sie verkommen bloß. Selten wird überhaupt über sie gesprochen – umso häufiger dagegen im Zusammenhang mit Gewalt.

Statt nach der tödlichen Tat von München die üblichen Schnellschüsse abzugeben, täte eine familienfreundliche Politik besser daran, Teenagern und Jugendlichen aus problematischen Familien gezielt Perspektiven aufzuzeigen. Möglichkeiten, jenseits von kaputten Familien einen Ort in der Gesellschaft zu finden. Das wäre die beste Prävention.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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