Geschenke für die Atomindustrie

Schwarz-Gelb Während sich die großen Energiekonzerne schon einmal auf zusätzliche Milliardengewinne freuen, bringt sich der Protest der Atomkraftgegner wieder in Stellung

Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke sind eine Lizenz zum Gelddrucken. Das Öko-Institut beziffert die zusätzlichen Gewinne der vier großen Energieversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall bei einer Verlängerung der Laufzeit aller 17 Atommeiler von 32 auf 40 Jahre auf 61 Milliarden Euro. Eine Studie der Landesbank Baden-Württemberg (link: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0704/wirtschaft/0058/index.html) schätzt bei zehn Jahren längerer Laufzeit etwas vorsichtiger zusätzliche 38 Milliarden Euro Gewinn.

RWE-Chef Jürgen Großmann war der Erste, der am Dienstagmorgen nach der Bundestagswahl blinkende Euro-Zeichen in den Augen hatte, als er nach Laufzeitverlängerungen für alle 17 deutschen Atomkraftwerke rief. Wohlgemerkt: alle. Großmann ließ durchblicken, dass er sich einen Betrieb von insgesamt bis zu 60 Jahren durchaus vorstellen könne. Die in den siebziger Jahren gebauten Kraftwerke Biblis A und Biblis B beispielsweise, die in den kommenden Jahren abgeschaltet werden sollten, würden nach dieser Wunschrechnung noch etwa 25 Jahre weiterlaufen.

Die Großen erhalten Konkurrenz-Vorteile

Die durch die neue Bundesregierung in Aussicht gestellte Laufzeitverlängerung sichert den Energiekonzernen ihre Marktmacht. Wer viel Geld einnimmt, kann sich bisweilen großzügig zeigen und so erklärte sich Großmann schon einmal bereit, einen größeren Teil der anstehenden Milliardengewinne in Forschung und Ausbau der Erneuerbaren zu stecken. Ein "vergiftetes Angebot" nannte dies der Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay, weil es mehr Atommüll bedeute, mehr Leukämie bei Kindern rund um die Anlagen und täglich die Gefahr eines Super-GAU. Doch auch strukturell und energiepolitisch bedeutet das, den Konzernen Vorteile auch bei den erneuerbaren Energien einzuräumen gegenüber den kleineren Unternehmen, die in Erneuerbare investiert haben.

"Intensive" Diskussionen

Die Idee, dass die Konzerne einen Teil ihrer Zusatzgewinne wieder investieren, hat die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner ins CDU-Programm geschrieben. Sie ist als neue Bundesumweltministerin im Gespräch. Gönner kündigte an, es werde keine Laufzeitverlängerung zum Nulltarif, dafür aber "intensive Diskussionen" geben. "Intensiv" heißt bei ihr wahrscheinlich, dass nicht alle AKW eine Laufzeitverlängerung zugesichert bekommen, wie es auch der Koalitionspartner FDP befürwortet. Intensiv werden wohl nicht die Diskussionen mit der FDP werden, denn die Koalitionäre sind sich beim Atomthema weitgehend einig. Allenfalls mit den Energiekonzernen wird geschachert werden – nämlich genau darüber, wieviel von den Milliarden wofür verwendet werden.
Die neue schwarz-gelbe Koalition wird die AKW-Laufzeitverlängerung gegen den Willen von zwei Dritteln der Bürger, die am vereinbarten Atomausstieg festhalten wollen, beschließen. Dabei mehren sich auch von konservativer und neutraler Seite diejenigen, die eine Aufkündigung des Atomausstiegs ablehnen. Peter Müller aus dem Saarland hat sich nun gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen, nicht zuletzt will er damit bei den Grünen Schönwetter machen, mit denen er eventuell eine neue Regierung bilden könnte. Auch der Chef der bislang nicht als atomkritisch auffälligen Energieagentur Dena, Stephan Kohler, hat sich gegen eine Laufzeitverlängerung von AKW ausgesprochen. Er hat Zweifel hinsichtlich der Sicherheit. "Keiner der deutschen Reaktoren würde heute eine neue Betriebsgenehmigung erteilt bekommen", sagte Kohler der Berliner Zeitung. Vor allem die alten Siedewasserreaktoren seien ein Risiko und die Kernkraftwerke seien nicht ausreichend nach außen geschützt, zum Beispiel gegen Flugzeugabstürze.

Den ungeliebten Kompromiss verteidigen

Auch die Rede von einer "Brückentechnologie" Atomenergie hält Kohler für falsch. "Wir brauchen den Atomstrom im Grunde nicht." Die auf Dauerbetrieb angelegten AKW können schlecht mit den erneuerbaren Energien kombiniert werden. Sinnvoller werden die Erneuerbaren durch flexible Kraftwerke ergänzt. Die Umweltaktivisten sagen sogar, dass eine Laufzeitverlängerung für AKW den Ausbau von Windkraft, Solarstrom und Biomasse im Weg steht, weil Atomstrom die Einspeisung von immer mehr erneuerbarer Energie gar nicht zulässt.

Der Anti-Atom-Protest, der Anfang September bereits mehrere zehntausend Demonstranten auf die Straßen Berlins zog, wird mit dem drohenden Ausstieg-aus-dem-Ausstiegs-Szenario vermutlich wieder Zulauf gewinnen. Der von Rot-Grün in einem Konsens mit der Atomindustrie 2000 beschlossene Atomausstieg hatte die Anti-AKW-Bewegung auf einen harten Kern schrumpfen lassen, der dem Atomkompromiss aus genau dem Grund skeptisch gegenüber stand, der jetzt offenbar eintritt: Zu watteweich war vielen der Kompromiss von Beginn an, leicht rückgängig zu machen und die lange Frist bis 2021 bot zu viel Spielraum für die Konzerne. Jetzt werden die Atomkraftgegner den ungeliebten Kompromiss verteidigen – gegen Szenarien, die einem Ausstieg erst im Jahr 2040 oder später entgegen sehen. Bereits wenn am Montag die Koalitionsverhandlungen von Union und FDP in Berlin beginnen, wird der Anti-AKW-Protest sich vor der CDU-Zentrale postieren: sowohl das Kampagnen-Netzwerk "Campact" und die Initiative "ausgestrahlt" rufen auf, die "Koalitionäre zu belagern".

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