Gewöhnliche Verhältnisse

Kommentar Flucht aus Deutschland - Asyl in den USA

Deutschland, ein Land, aus dem man fliehen muss? Ein Ort, an dem Menschen nicht in Sicherheit leben können, gar vom Tode bedroht sind?

Man kann sich ausmalen, was Anfang der Woche im Bundesinnenministerium los gewesen sein muss: Ein wutschnaubender tobender Minister setzt alle Hebel in Gang, um gegen ein für Deutschland maßlos peinliches Urteil eines amerikanischen Gerichts anzugehen. Das Urteil gab der Deutsch-Afghanin Zakira Mashiri Recht, die in den USA einen Asylantrag gestellt hatte. Sie hatte geltend gemacht, in ihrem Wohnort Hamburg-Bergedorf seien ihre Kinder blutig geschlagen, ihr Mann beschimpft und sie selbst mit dem Tode bedroht worden. Doch die Polizei vor Ort hat in keinem der Fälle, die sich auf die Zeit vor 1997 beziehen, eine Aktennotiz. Aber dem US-Gericht lagen Zeitungsartikel über Gewalttaten von Neonazis vor. In der Urteilsbegründung heißt es, die deutsche Regierung sei "unwillig oder unfähig", die ausländerfeindliche Gewalt zu stoppen. Welch eine Schmach für die deutsche Politik! Zumal nach den Ergebnissen von Sachsen und Brandenburg.

Die sofortige Intervention von Bundesinnenminister Otto Schily bei US-Justizminister John Ashcroft bewirkte denn auch, dass die Einwanderungsbehörde den Fall erneut prüfen muss. Die US-Behörde ist nach dem gefälltem Urteil in Beweisnot und müsste bestätigen, dass das Leben in Deutschland ungefährlich ist. Wer wäre nicht gerne dabei, wenn Otto Schily dabei helfen will und versucht, vor den Augen der amerikanischen Einwanderungsbehörde die deutschen Verhältnisse in seinem Sinne gerade zu rücken. Denn zunächst scheinen die Schilderungen der Asylbewerberin nicht "völlig verzerrt", wie es der Bundesinnenminister empfand.

Die Praxis, dass ausländisch aussehende Personen von Neonazis terrorisiert und zusammengeschlagen und zuweilen mit Morddrohungen überzogen werden, passt vielleicht nicht in das Bild, das man von einem Hamburger Außenbezirk gern hätte. Bergedorf kennen die Hamburger immerhin als beliebtes Aufmarschgebiet von rechtsradikalen Demonstrationen.

Wenn die Hamburger Behörden auf Geheiß Schilys jetzt ihre Archive nach dem Fall Mashiri durchstöbern, wird ein negatives Ergebnis nicht verwundern. Dass Polizei und Verfassungsschutz rechte Gewalt bagatellisieren, ist bekannt. Daran hat sich auch seit dem "Aufstand der Anständigen" im Jahr 2000 nicht viel geändert.

Sicherlich ist das Urteil des US-Gerichts eine provozierende Geste. Möglicherweise kann man so auch gut von Rechtsradikalen im eigenen Land ablenken. Doch eine Frage muss man sich hierzulande immer neu stellen: Warum wird so ein Aufwand für die Vertuschung von Neonazi-Aktionen betrieben, wo es um die direkte Auseinandersetzung ginge? Und warum gerät diese Republik - zuvorderst ihre Behörden - über die rechtsradikalen Umtriebe immer erst dann in Aufruhr, wenn das Ausland auf die deutschen Zustände aufmerksam wird?


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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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