Wer sich dieser Tage dem Berliner Alexanderplatz aus westlicher Richtung nähert und dabei einen Blick nach links wirft, sieht auf einem großen Transparent weiße Buchstaben auf rotem Grund prangen: KEINE WAHL. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist in die Theaterferien entschwunden und hat an ihrer Fassade eine irritierende Botschaft hinterlassen. Will sie sagen, dass Wahlen etwa nicht stattfinden, vielleicht schon in hellseherischer Voraussicht auf ein zu erwartendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts? Oder will sie sagen, dass es für die Wählerinnen und Wähler keine Wahl gibt, sie nicht zwischen wirklichen Alternativen entscheiden können?
Wenige Schritte weiter im Berliner Congress Center am Alexanderplatz sehen eine Menge Leute ihre Partei durchaus als soziale Alternative. Die PDS hält hier einen außerordentlichen Parteitag ab, auf dem sie sich umbenennen will, als Entgegenkommen, um eine Kooperation mit der WASG zu ermöglichen. Am Tag zuvor war bekannt geworden, dass sich fast 82 Prozent der WASG-Mitglieder für eine Zusammenarbeit mit der PDS aussprachen. So ist dieser mit Spannung erwartete Tag die Nagelprobe für die PDS. Doch hier ist nicht die Basis gefragt, die Delegierten der Länder entscheiden über diesen bedeutungsvollen Eingriff in das Parteienstatut.
Der Parteivorsitzende Lothar Bisky, der die Eröffnungsrede hält, bemüht sich, diesem historischen Moment eine feierliche Note zu geben. Die ZuhörerInnen werden an diesem Tag anderen Rednern mehr Applaus schenken. Bisky verspricht sich ein paar Mal, dann sagt er: "Der neue Name soll lauten: Die Linkspartei. PDS ... soll Zusatz der Bundespartei sein." Eine verspätete Sprechpause an unerwarteter Stelle - nach PDS - bindet den alten Namen mündlich etwas näher an "Die Linkspartei". Will Bisky hier die Zweifler mit dem neuen Namen versöhnen oder ist er auch ihm noch ungewohnt? Um den Namenszusatz jedenfalls wird gerungen. Während der Bundesvorstand es den Landesverbänden überlassen will, ob sie den Zusatz PDS führen oder nicht, will ein Gegenantrag aus den Reihen der Kommunistischen Plattform, dass auch die Landesverbände einheitlich mit dem Zusatz "PDS" auftreten. "Wo PDS drin ist, sollte auch PDS draufstehen", fordern auch Mitglieder des Ältestenrats. Doch Lothar Bisky stellt von Anfang an klar, dass der Gegenantrag das ganze Projekt zum Scheitern bringen würde. Hier gibt es für den Parteivorstand keine Alternative. Sahra Wagenknecht spricht die Befürchtung aus, das Kürzel werde über kurz oder lang ganz aus dem Namen verschwinden. Der Gastredner der WASG, Klaus Ernst, beschwichtigt und will der "lieben Sahra" die Ängste nehmen: "Wenn ihr euren Namen ändert, heißt das ja nicht, das du dich änderst, und das ist gut so." Der paternalistische Gestus wird dem WASG-Mann von den meisten nicht krumm genommen. Die kühle intellektuelle Sahra Wagenknecht und der mit seinem fränkischen Akzent daherredende Ernst, in feinem Anzug zwar, doch hemdsärmelig im Auftritt - unterschiedlicher können Mentalitäten kaum sein. "Viele sitzen so lange vor der Suppe und schütteln den Kopf, bis ein Haar hineinfällt", sagt Ernst. Das kommt an. Er appelliert, man solle die Chance wahrnehmen, dass "wir zu euch kommen wollen". Der Saal dankt ihm seine schlichten Sätze mit Jubel.
Die Unterschiede zwischen PDS und WASG spiegeln sich nicht nur in persönlichen Mentalitäten. Von PDS-Leuten wird an der Gewerkschafter-Manier der WASG immer wieder ein Hang zum Top-Down-Prinzip bei der Besetzung von Posten bemängelt. Im Namen des großen Ganzen werden derzeit nicht immer die korrektesten Methoden angewandt. Wie zum Beispiel am vergangenen Samstag, als die baden-württembergische Landesliste aufgestellt werden sollte. Die Vorstände von PDS und WASG hatten sich ausgedacht, dass Ulrich Maurer, der eben aus der SPD aus- und in die WASG eingetreten war, auf Platz eins der PDS-Landesliste erscheinen sollte. Die Landesdelegierten hatten nicht die Wahl, viele kritisierten das undemokratische Verfahren. Maurer wird von den PDS-Genossen nicht gerade geliebt. Er hatte zwar Bedenken gegen den Kosovo-Krieg geäußert, sich aber letztlich nicht dagegengestellt. Doch von Seiten der WASG wurde gedroht, das Bündnis würde scheitern, wenn die Delegierten ihm ihre Stimme versagten. Am Ende hat er seine Spitzenkandidatur bekommen, wenn auch nur mit 57,8 Prozent der Stimmen.
In der Kongresshalle am Alex gelingt es schließlich Gregor Gysi am Ende der etwas totgelaufenen dreistündigen Debatte wieder einmal, den Saal für sich zu gewinnen. Es gebe die Chance, Deutschland europäisch zu normalisieren und die Bundesrepublik zu verändern. "Es entwickelt sich - es wird etwas, das für Deutschland Gültigkeit hat." Von "Identität erweitern" spricht Gysi, man kann diesem bemühten Begriff mit esoterischem Beiklang nicht viel abgewinnen. Die Frage, was es bedeute, seine Identität zu erweitern, kann Gysi auch nur damit beantworten, was es nicht bedeute: "Unsere Ostkompetenz geben wir um keinen Millimeter auf."
Die Kraftanstrengung und die Verwerfungen, die der Prozess des gemeinsamen Handelns von PDS und WASG abverlangt, werden auf diesem Bundesparteitag kaum deutlich. Die Debatte ist nicht grundsätzlich, die Entscheidung war schon vorher relativ sicher. Daran ändert auch der überraschende und etwas hilflose Auftritt von Uwe-Jens Heuer nichts, der kurz vor Schluss noch vor der Selbstauflösung der PDS warnt. Von den anwesenden Delegierten stimmen bis auf 20 alle für die Namensänderung mit flexibler Handhabung der Ländernamen. Da nicht alle Delegierten gekommen sind, entspricht dies einem Votum von 74,6 Prozent.
Just in der Minute ihrer gelungenen Umbenennung präsentiert Die Linkspartei.PDS den Entwurf ihres Wahlprogramms. Fast ist man dankbar und erleichtert, dass nun auch einmal inhaltliche Positionen diskutiert werden können, die auf dem Wahlparteitag am 27. August verabschiedet werden sollen. Ob die WASG nicht einige andere Akzente gesetzt hätte? Sicherlich. Doch wie sehr die Politik Köpfen und nicht Programmen gehorcht, kann man an den Auseinandersetzungen der letzten Wochen bereits ablesen.
Am Ende ist er wieder da, der theatralische Moment, wenn es auf einer Parteiversammlung feierlich wird: das rote Tuch wird entfernt, auf dem in großen weißen Lettern der Name PDS prangte. Darunter entblättert sich der Schriftzug "DIE LINKE. PDS" in blau auf weiß und gewohntem PDS-Logo. Wer will, kann - nur durch einen kleinen Punkt unterbrochen - lesen: Die linke PDS. So als wäre die PDS nur ein bisschen linker geworden. Doch wenn, wie angestrebt, in den kommenden zwei Jahren eine Fusion mit der WASG gelingen soll, werden die dann zu führenden Debatten noch einiges an der Richtung verändern.
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