Jenseits der parlamentarischen Vertretung nehmen Hunderte von Gruppen Einfluss auf die Politik: die sozialen Bewegungen. Doch in den zurückliegenden Jahren gab es wenig laute Anti-AKW-Proteste, kaum noch Demonstrationen gegen Hartz IV und nur schlecht besuchte gegen den Afghanistan-Einsatz. Allerdings hat es gut besuchte Proteste gegen die Krisenpolitik der schwarz-roten Bundesregierung gegeben, eine Art temporäres Bündnis gegen Sozialabbau. Angesicht einer Regierung aus Union und FDP und einer parlamentarischen Opposition aus SPD, die Linke und Grünen, die derzeit noch einigermaßen zerstritten ist, könnten die Bewegungen nun wieder stärker in die Öffentlichkeit treten.
Die Menschen, die Schwarz-Gelb nicht wollten und mit der brüchigen Opposition
Opposition im Bundestag unzufrieden sind, werden sich möglicherweise vermehrt den Gruppen zuwenden, denen es zuerst um eine Sache geht: für den Erhalt des Kündigungsschutzes und einen gesetzlichen Mindestlohn, gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, gegen die Vorratsdatenspeicherung, für ein Gesundheitsversorgung, die für jeden gleichermaßen da ist, gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und für einen Klimaschutz, der es ehrlich meint. Was also ist von wem zu erwarten?Die GewerkschaftenSie sind die wohl mächtigste Gruppe in der außerparlamentarischen Opposition und pflegen die größte Nähe zur Regierung. Sie handelten in der Vergangenheit zumeist nach dem Motto: Im Zweifel eher kooperieren statt opponieren, und so halten sie es zunächst offenbar auch mit Schwarz-Gelb. Zum 60. Gründungsjubiläum des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG) und zum Bundeskongress der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE)durfte Angela Merkel reden, und erhielt für die Versprechen, am Kündigungsschutz und an der Mitbestimmung nichts zu ändern, viel Applaus. Doch ob die Partnerschaft mit einer Regierung ohne den traditionellen Bündnispartner SPD so harmonisch bleiben wird, ist angesichts der Zumutungen, die von einer schwarz-gelben Regierung zu erwarten sind, fraglich. Vermutlich werden die Gewerkschaften früher oder später einen weniger regierungsverträglichen Kurs fahren – eine ihnen eigene Protestform müssen sie dann erst wieder finden.Anti-Atom-Bewegung Sie ist die „lauteste“ unter den beständigen außerparlamentarischen Gruppen, weil sie zu unorthodoxen Protestformen neigt, die mediale Aufmerksamkeit sichern. Anketten an Schienen, über rollenden Castoren in den Bäumen hängen und damit den Transport so lange wie möglich aufhalten, „Koalitionäre belagern“, das bringt Fernsehbilder und Schlagzeilen, die ein wirksamer Protest immer braucht. Da nun klar ist, dass Schwarz-Gelb die Atomkraftwerke weiterbetreiben lassen will, wird die Bewegung wohl wieder Zulauf erhalten. Kristallisationspunkt dürfte wie eh und je Gorleben sein, zumal bereits erklärt wurde, dass das zukünftige Endlager weiter erkundet werden soll, obwohl mittlerweile klar ist, dass auch Gesteine in Süddeutschland geeignet sein könnten und die Entscheidung für Gorleben Ende der siebziger, Anfang der achtziger eine politische war und keine, die nach wissenschaftlichen Kriterien getroffen wurde.Datenschutz Dass die FDP ihre Liebe zu Bürgerrechten und Datenschutz wiederentdeckt hat, fordert die Bewegung für Freiheit im Internet und gegen Ausspähung der Privatsphäre zu besonderer Wachsamkeit heraus. Der Kompromiss, den Noch-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) präsentierten, macht zwar Hoffnung beim Thema Internetsperren, in den restlichen Punkten jedoch konstatiert er eher die gegenwärtige Rechtslage. Kein Grund zur Beruhigung jedenfalls für den AK Vorrat und die Aktiven der Piratenpartei, die an vorderster Stelle stehen im losen Bündnis der Datenschutz-Bewegten. Derzeit läuft eine Klage in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das Speichern von Verbindungsdaten über ein halbes Jahr soll nach Meinung der Aktivisten wieder abgeschafft, nicht nur der Zugriff darauf erschwert werden, wie es die FDP nun Schäuble abgerungen hat.Vor der Bundestagswahl konnten die Ereignisse in Afghanistan bei einigen noch den Eindruck erwecken, dass der Auslandseinsatz der Bundeswehr eventuell wahlentscheidend werden könnte. Inzwischen kommt einem die Aufregung bereits vor wie ein Intermezzo. Manche Friedensaktivisten rechnen allerdings mit einer Verdoppelung der Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan. Zwar ist die Mehrheit der Deutschen gegen den Einsatz am Hindukusch, doch auf die Straße gehen dafür nur wenige. Hinzu kommt, dass die Aktivisten der Friedensbewegung enttäuscht sind über die in ihren Augen voreilige Auszeichnung von US-Präsident Barack Obama mit dem Friedensnobelpreis. Den Ankündigungen des mächtigsten Mannes der Welt müssten erst Taten folgen, sagen sie.Soziales Ein zersplittertes Bild ergeben die Gruppen, die sich sozialen Themen widmen. Aus den Hartz-IV-Protesten des Jahres 2004 hat sich zwar eine Erwerbslosenbewegung gebildet, die bisher aber im wesentlichen beratend tätig ist. Dagegen wird das bedingungslose Grundeinkommen mit stetig zunehmendem Interesse diskutiert; die Rente mit 67, die nun sogar in der SPD wieder in Frage gestellt wird, ist ein Thema der Sozialverbände, ebenso wie die Angleichung der Renten in Ost und West. Laut einer UN-Konvention muss auch der gemeinsame Unterricht von Behinderten und Nicht-Behinderten bald umgesetzt werden. Im Gesundheitsbereich wiederum gehen schon die Interessen von Union und FDP auseinander, so oder so erwarten die gesetzlichen Krankenkassen ein erhebliches Defizit, das die Beitragszahler vermutlich allein schultern sollen.Wahrscheinlich wird es von der Härte der Einschnitte abhängen, ob Schwarz-Gelb nicht nur die sozialen Bewegungen wieder mehr zusammenschweißt, sondern auch eine bessere Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Opposition ermöglicht. Genügend Themen jedenfalls gäbe es.