Hamburg-Bergedorf in der vergangenen Woche. Zweieinhalb Stunden wirbt GAL-Schulsenatorin Christa Goetsch in der Grundschule Heidhorst für ein politisches Vorhaben, das wie wenig andere zuvor die Hamburger bewegt. Es geht um die Schulreform, das vielleicht wichtigste Projekt der schwarz-grünen Landesregierung. Womöglich geht es auch um die Zukunft der Koalition. Senatskanzlei und Bildungsbehörde greifen tief in die Tasche, damit der Kampf um die Köpfe nicht verloren geht.
Rund 200.000 Euro kostet die Kampagne. Schwarz-Grün will vom kommenden Schuljahr an sechsjährige Primarschulen einrichten. Anschließen sollen sich Stadtteilschulen, die alle Abschlüsse bis zum Abitur nach 13 Jahren anbieten, und Gymnasien, die nach zwölf Jahren zur Hochschulreife führen. Auch werden die Klassen verkleinert, teilweise ein neues Notensystem eingeführt und das Büchergeld wieder abgeschafft.
Bereits zum neuen Schuljahr soll deren erste Stufe umgesetzt werden. Vieles ist schon auf den Weg gebracht, und noch immer arbeiten Behörden, Direktorate und Lehrer an Konzepten. Lehranstalten fusionieren, Umzüge werden vorbereitet, alles ist im Umbruch. Keine Schule bleibt von der Strukturreform unberührt, auch wenn die Umsetzung sich schrittweise vollzieht und erst im Jahr 2016 vollständig abgeschlossen ist. Wie wird es sein ab Sommer?
Elitäre Gedanken
Diese Frage kann man nicht beantworten, weil das Rad, das in Gang gesetzt wurde, am 18. Juli jäh zum Halten kommen könnte. Falls an diesem Tag die Initiative „Wir wollen lernen“ mit Rechtsanwalt Walter Scheuerl an der Spitze genügend Stimmen beim Volksentscheid erhält, wäre dies das Aus für längeres gemeinsames Lernen. Es wäre der Sieg der Gucci-Eltern, wie die Initiative von ihren Gegnern genannt wird.
Tatsächlich wird Scheuerls Front gegen die Schulreform angetrieben von einem durch und durch elitären Gedanken. Seine Unterstützer sind der Ansicht, dass die Trennung von sozialen Schichten an Schulen richtig ist. Die Initiative, die nach offizieller Verlautbarung ein „leistungsorientiertes Schulsystem“ möchte, wird getragen von Leuten, die unverblümt zu verstehen geben, dass es ihnen unnormal erscheint, wenn ein Arbeiterkind mit dem Kind eines Vorstandsvorsitzenden spielt. Dies würde in der Regel „nicht funktionieren“, heißt es. Ein Unterstützer formuliert es einmal so: „Man muss nicht die sozial Bevorteilten benachteiligen, um die sozial Schwächeren zu bevorteilen. Das muss nicht sein.“
Relikt der Ständegesellschaft
Das dreigliedrige Schulsystem ist ein Relikt der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts: Die Oberschicht geht aufs Gymnasium, die Mittelschicht auf die Realschule und die Unterschicht in die Hauptschule. Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust gehört zu der Minderheit in seiner Partei, die das bereits verstanden hat: Er hat die Dreiteilung als „Ausdruck veralteten, ständischen Denkens“ kritisiert. In den meisten Bundesländern wird es derzeit durch ein zweigliedriges Modell abgelöst. Der Bildungsforscher Ernst Rösner sieht in der Kampagne „Wir wollen lernen“ die Angst von Eltern der Oberschicht vor der Konkurrenz aus „Aufsteigerfamilien“ und der Eliteforscher Michael Hartmann erkennt den Willen, sich „nach unten“ abzugrenzen. Dass Schulerfolg in Deutschland so sehr von der sozialen Herkunft abhängt, ist vor allem einem Beharren auf Pfründen geschuldet. Selten zuvor war in Hamburg so oft von „Klassen-Kampf“ die Rede.
Obwohl Scheuerls Unterfangen durchsichtig erscheint und sich bereits herumgesprochen hat, dass längeres gemeinsames Lernen vielen hilft und niemandem schadet, sind viele Eltern in Hamburg verunsichert. Das hat auch damit zu tun, dass die Hansestadt einer ziemlich einseitigen Berichterstattung unterworfen ist: Die Presse, allen voran das Hamburger Abendblatt, hat sich früh auf die Seite Scheuerls geschlagen und macht kräftig Stimmung gegen die Schulreform. Eine Elternvertreterin aus dem Hamburger Schanzenviertel klagt: „Wenn ich mit anderen Eltern spreche, auch solchen aus der Vorschule, die sich für die Schulwahl interessieren, merke ich immer wieder wie sagenhaft fehlinformiert viele sind. Sie wiederholen einfach die Parolen, die durch die Scheuerl-Kampagne in die Welt gesetzt wurden, wissen aber eigentlich gar nicht genau, worum es geht.“ Hinter der Kampagne steckt auch viel Geld aus Hamburger Bürgerfamilien, die das Vorhaben des Senats, das inzwischen auch von Linkspartei und SPD unterstützt wird, kippen wollen.
Sehnsucht nach dem Schulfrieden
Schulsenatorin Goetsch hält mit ihrer Kampagne dagegen. Unterstützt wird sie durch die Initiative „Pro Schulreform“. Ein „Bündnis Chancen für alle – Hamburger Allianz für Bildung“ bietet mit Klaus von Dohnanyi und Rita Süssmuth zwei frühere Bundesminister auf. Auch Gewerkschaften und zahlreiche Initiativen stehen hinter den schwarz-grünen Reformplänen. Doch auch den Gegnern wird so schnell das Geld nicht ausgehen. Rund 247.000 Stimmen benötigen Scheuerl und seine Mitstreiter, wollen sie mit ihrem Volksentscheid erfolgreich sein – beim bereits gelaufenen Volksbegehren hatten sie nach eigenen Angaben 184.500 Unterschriften gesammelt.
Die Hamburger Schulreform wäre ein großer Schritt in Richtung individuelles Lernen und einer veränderten Rolle des Lehrers. Der belehrende Pauker wäre künftig von einem begleitenden Pädagogen ersetzt. Doch die Veränderungen haben unerwartet massiven Widerstand hervorgerufen. Die Auseinandersetzung wird von vielen bereits als „Krieg“ empfunden – und die Sehnsucht nach einen „Schulfrieden“ ist groß.
Wenn allerdings die Gegner der Reform Erfolg hätten, wäre das ein Rückschlag, den letztlich die Schüler auszubaden hätten. Kein Wunder, dass es großen Unmut in den Klassen darüber gibt, dass die eigentlich Betroffenen beim großen Finale im Juli nicht mitentscheiden dürfen.
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