Sägen am Masterplan

Widerstand gegen Hartz Während die Regierung hektisch an der Umsetzung der Hartz-Pläne bastelt, formiert sich bundesweit Widerstand

Langzeitarbeitslose werden zu Arbeitsberatern für Kurzzeitarbeitslose ausgebildet oder umgekehrt. Was an Stütze gestrichen wird, wird sinnvoll in Kontrollmaßnahmen und Subventionierung von Pseudojobs gesetzt. So wird die Illusion einer effizienten Wirtschaftspolitik aufrechterhalten. Eine gelungene Inszenierung." Diese Sätze, mit denen der "glückliche Arbeitslose" Guillaume Paoli vor ein paar Jahren die Maschinerie der Arbeitsmarktpolitik beschrieb, klingen wie eine realsatirische Vorschau auf den Hartz-Bericht. Während die Regierung eifrig und hektisch an der Umsetzung des Konzepts arbeitet und die Vorlage nun im Vermittlungsausschuss verweilt, formiert sich Widerstand. Reichlich spät - schon seit August liegt der Hartz-Bericht vor -, dafür aber deutlich vernehmbar haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen Einspruch erhoben.

Ende Oktober gründete sich das "Berliner Bündnis für soziale Grundrechte - Stoppt die Hartz-Pläne". Das Bündnis setzt sich unter anderem aus Gewerkschaftsgruppen und Erwerbsloseninitiativen zusammen, die sich einig sind, dass die Pläne der Regierung eine Fortschreibung, aber auch einen besonders drastischen Höhepunkt des neoliberalen Abbaus der Sozialsysteme bilden. Während die Hartz-Pläne den Unternehmen Anreize und Vorteile bieten, zwingen sie die Arbeitslosen zukünftig, jeden Job anzunehmen und Vorstellungen von angemessenem Lohn und Sicherheit aufzugeben. Die Hartz-Pläne haben aber nicht nur gravierende Konsequenzen für die Arbeitslosen, sondern auch für Arbeitnehmer, denn sie wälzen den Arbeitsmarkt insgesamt um. Längerfristige Entwicklungen, die das Hartz-Konzept einleiten wird, sehen VertreterInnen des Anti-Hartz-Bündnisses in seiner neuen Qualität: Der Staat schafft "Bedingungen grenzenloser Ausbeutung", gewerkschaftliche Basisstrukturen werden ausgehebelt, die Sozialversicherungssysteme zerstört. Arbeitslosigkeit gilt mehr als bisher als individuelles Versagen, und Leistungsbereitschaft muss verinnerlicht werden.

Das Hartz-Konzept zielt auf immer mehr Fluktuation und Job-Rotation. Da Kündigungsschutz bei Leiharbeitern nicht existiert, wird sich die Angst vor Entlassung und das Konkurrenzverhältnis zwischen den Beschäftigten verschärfen. Der Vorschlag, dass Eltern und Großeltern so genannte Ausbildungswertpapiere erwerben können, um für die Zukunft ihrer Zöglinge zu sorgen, zielt darauf, dass Privatleute finanzielle Risiken übernehmen, was wiederum Unternehmen Vorteile sichert. Etwas weiter gedacht muss man sich fragen, ob bald auch der Arbeitsplatz von den besser gestellten Verwandten finanziert werden soll.

Unter der Überschrift "Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt fördern" ist ein kurzer Vortext dem 355 Seiten langen Hartz-Bericht vorangestellt, in dem es heißt, es müsste überprüft werden, inwieweit die Hartz-Vorschläge "dem Postulat der Gleichberechtigung Rechnung tragen beziehungsweise direkt oder indirekt Benachteiligungen fortschreiben oder neue entstehen lassen". Fast zynisch klingen diese Zeilen, denn bezieht man einige Vorschläge des Konzepts auf die Realität von Frauen, könnten sofort einige Module dieses feigenblättrige Motto ad absurdum führen. Der Deutsche Frauenrat und andere Frauenorganisationen haben auf das reaktionäre Frauen- und Familienbild des Hartz-Konzepts hingewiesen, das Familienernährer und Zuverdiener/innen unterscheidet. Frauen sind nicht nur besonders betroffen von den vorgesehenen Kürzungen der Arbeitslosenhilfe. Durch die Einkommensanrechnung des Partners verlieren viele einen Teil ihrer Ansprüche. Besonders scharf kommentieren die Kritikerinnen eine weitere Idee: "Die Familien-AG ist ein Schritt zurück in das 19. Jahrhundert." Obwohl der Hartz-Bericht geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet, werden faktisch überwiegend Frauen die "familiäre Mithilfe" leisten. Ihnen wird damit das Recht auf einen Arbeitsplatz und eine soziale Absicherung jenseits von Heim und Herd gesetzlich abgesprochen. Bei der Vermittlung soll auch noch dem "Familienernährer" Priorität eingeräumt werden, der aus strukturellen Gründen meist in den Vätern erkannt wird, so werden Frauen auch hier benachteiligt.

Noch von anderer Seite kommt harsche Kritik. Die Bremer Gruppe "Alternative Wirtschaftspolitik" hat in der vergangenen Woche ein Sondermemorandum zu Hartz vorgestellt. Auch die Wirtschaftswissenschaftler der Uni Bremen sehen das Papier von der "Auffassung geprägt, dass Arbeitgebersubventionierung ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei". Ihre Kritik formulieren sie besonders am Beispiel der Probleme strukturschwacher Regionen, denn lediglich in Regionen mit einem lebendigen Arbeitsmarkt könnte das Prinzip der Leiharbeit überhaupt funktionieren. Die Memorandum-Gruppe sieht besonders in Ostdeutschland den Verlierer der Hartz-Vorschläge. Dort sind die Maßnahmen zur Arbeitsförderung bereits stark zurückgefahren worden, bereits jetzt eine Katastrophe. Wenn Hartz nun umgesetzt wird, so prophezeien sie, wird die Arbeitslosigkeit im Osten kräftig steigen. In Bezug auf mögliche nicht-intendierte Folgen, also Nebeneffekte, die die eigentlich beabsichtigten Wirkungen sogar aushebeln, seien die Hartz-Vorschläge von "geradezu bestürzender Unbesorgtheit".

Statt dessen schlägt die Memorandum-Gruppe vor, die Arbeit über breit angelegte Arbeitszeitverkürzung gerechter zu verteilen. "Zielgröße der wöchentlichen Arbeitszeit könnten 30 Stunden sein." Beamte und Selbstständige müssten auch in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung einbezogen werden. Es müsse außerdem einen individuellen rechtlichen Anspruch auf Förderangebote geben, denn moderne Arbeitsmarktpolitik muss einem lebenslangen Lernen Rechnung tragen und daher auf Weiterbildung setzen.

Wenn Konzerne Angestellte entlassen, steigen die Börsenkurse und das Unternehmen kann meist wieder Gewinne verzeichnen. Die "Glücklichen Arbeitslosen", bekannt als radikale Kritiker des Fetischs Arbeit, fordern, dass man den Entlassenen dieses Verdienst dankt: mit einer satten Entlohnung.

Termine:

8.12.02 Berlin, Arbeit bis zum letzten Job. Gegenstimmen und Attac laden ein. Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf, Prof. Dr. Herbert Schui, Moderation: Dr. Ingo Schmidt, 19.30 Uhr, Grips Theater, Eintritt frei


9.12.02 Bochum: Gründungstreffen einer regionalen AG soziale Grundrechte - stoppt die Hartz-Pläne! 19.00 Uhr sozio-kulturelles Zentrum Bahnhof Langendreer


18.12.02 Frankfurt/Main: Gründungstreffen eines Bündnisses gegen die Umsetzung der Hartz-Pläne. 19.30 Uhr Club Voltaire


weitere Infos: www.labournet.de, www.anti-hartz.de

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