Tappen im Dunkeln

Erzwungene Ehe Noch weiß man viel zu wenig über Zwangsverheiratungen. Manche Lösungsvorschläge schießen übers Ziel hinaus

Lange hat die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer (CDU), den Termin für sich behalten, jetzt soll es schon in zwei Wochen soweit sein: Der Integrationsgipfel findet am 14. Juli statt, so bald schon, dass die Geladenen kaum Zeit haben, ihn vorzubereiten. Vielleicht wird auf dem ersten Gipfel dieser Art auch wieder das sehr emotionsbeladene Thema Zwangsverheiratungen in Familien mit Migrationshintergrund diskutiert, ein Problem, das seit etwa drei Jahren in der öffentlichen Debatte kursiert. Ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, dass hierzulande immer wieder junge Menschen gegen ihren Willen verheiratet werden, ist sicher ein Verdienst der biografischen Bücher von Seyran Ates (Große Reise ins Feuer, 2003) und Necla Kelek (Die fremde Braut, 2005), die viel Aufsehen erregt haben. Doch manche nahmen die öffentliche Debatte über Zwangsverheiratungen zum Anlass, die Integrationswilligkeit von Migranten anzuzweifeln und das Stereotyp von isolierten Parallelgesellschaften pauschal der Mehrheit der muslimischen Bürger anzulasten. Eine Reihe von Maßnahmen, die nun gegen Zwangsehen gefordert werden, sind nicht haltbar.

Seit einiger Zeit steht das Thema auch im Bundestag auf der Agenda, drei in wesentlichen Fragen übereinstimmende Anträge der Oppositionsparteien liegen vor. Auf einer Anhörung von Sachverständigen vor dem Familienausschuss kam unter anderen Kelek als Expertin zu Wort. Sie befürwortete dort die Forderung, Zwangsverheiratungen zu einem eigenen Straftatbestand zu machen, wie sie auch die CDU/CSU erhebt. Andere sprachen sich dagegen aus, denn die seit 2005 existierende Neuregelung, Zwangsverheiratungen als Form der Nötigung unter Strafe zu stellen, sei ausreichend und müsse zunächst noch Wirkung zeigen. Einig war man sich darin, dass es notwendig ist, für zwangsverheiratete Opfer die Möglichkeit eines eigenständigen Aufenthaltsrechts zu eröffnen sowie das Rückkehrrecht nach Deutschland (im Falle einer "Ferienverheiratung" im Ausland) zu verlängern.

Dass gesetzgeberische Maßnahmen zwar erforderlich sind, aber das Problem meist nicht lösen, ist eine Binsenwahrheit. Mädchen und Frauen gehen ein hohes Risiko ein, wenn sie sich gegen die eigene Familie wenden, denn sie verlieren dann den sozialen Rückhalt. Deshalb wären wesentlich mehr Mädchen- und Frauenprojekte nötig, eine gesicherte Finanzierung sowie professionelle Mediatorinnen, um Wege aus der oftmals isolierten Situation der Frauen zu finden, erklärte die Vertreterin einer Kölner Beratungsstelle, Jae-Soon Joo-Schaunen.

Doch die Politik tappt noch völlig im Dunkeln, wie viele Personen überhaupt von Zwangsverheiratungen betroffen sind. Zwar ergab 2005 eine Berliner Befragung 221 Fälle von Zwangsheirat, im Jahr zuvor sollen in den Beratungsstellen und Jugendhilfe-Einrichtungen der Hauptstadt etwa 300 Fälle bekannt geworden sein. Doch von einer fundierten Untersuchung und verlässlichem Datenmaterial ist man noch weit entfernt. Die Dunkelziffer ist vermutlich groß. Zudem ist die Unterscheidbarkeit zwischen Zwangsehe und "arrangierter Ehe", wie sie in vielen Kulturkreisen üblich ist, schwierig. Die Autorin Necla Kelek plädiert deshalb schlicht und einfach dafür, beide Formen als ein und dasselbe zu behandeln, von einem freien Willen könne man schließlich auch bei arrangierten Ehen nicht sprechen. Sidar Demirdögen vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland lehnt diese Gleichsetzung jedoch ab. Sie kritisiert, dass in der Debatte das Bild entstanden sei, ein Großteil der muslimischen Ehen seien Zwangsehen. Diese Vorstellung sei falsch und würde dazu führen, dass Migranten als rückständig stigmatisiert würden. Sie berichtet, dass Türkinnen sich nun häufig fragen lassen müssten, ob sie zwangsverheiratet seien. Heiner Bielefeldt vom Deutschen Institut für Menschenrechte kritisiert besonders die Vermischung des Problems mit dem Islam. Diese hat auch Necla Kelek befördert, indem sie die Zwangsehe mehr oder weniger direkt aus den Traditionen des Islam abgeleitet hat. Dabei handelt es sich hier weniger um eine religiöse Angelegenheit, als um ein Problem patriarchaler Machtausübung, wie sie nicht nur in muslimischen Familien vorkommen kann.

Mit ihren Vorschlägen, das Nachzugsalter bei Familienzusammenführungen auf 21 Jahre anzuheben sowie Basiskenntnisse in Deutsch bei der Einreise zu fordern, bewegt sich Kelek ebenfalls auf der Linie der Unionsparteien. Alle anderen anwesenden Experten und die Oppositionsparteien lehnen die Forderung, das Nachzugsalter zu erhöhen, ab. Dies würde zum größten Teil die Falschen treffen und sei verfassungsrechtlich bedenklich. Deutsch-Kenntnisse bei der Einreise zu verlangen, sei in Zeiten der Abwicklung von Goethe-Instituten wenig realistisch, schon jetzt könnten diese kaum ein hinreichendes Angebot für Deutschunterricht im Ausland schaffen.

Necla Kelek hat in ihrem Bestseller die Unterdrückung der türkischen Frau als selbst betroffene Beobachterin beschrieben. Das verlieh ihrer Stimme Authentizität. Ihre Kritik an Migranten, die in Parallelgesellschaften nach eigenen, oftmals frauenfeindlichen Regeln leben und sich der Kontrolle des deutschen Rechtssystems entziehen, fiel auf fruchtbaren Boden. Doch Keleks Glaubwürdigkeit bröckelt zunehmend, wenn sie furios restriktive Lösungsvorschläge macht. Sie fällt dann überangepasst in die Rolle einer Vorzeigemigrantin und arbeitet denjenigen politischen Kräften in die Hände, die noch vor kurzem verneint haben, dass Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland sei. Ist es Kelek gleichgültig, dass sie in ein Horn bläst, dessen Töne ihr nicht gefallen können? Als Wortgeberin und Kronzeugin für die Anhänger einer deutschen Leitkultur schießt sie übers Ziel hinaus. Ihren Pauschalrezepten setzen andere Sachverständige durchaus lebenspraktische Forderungen entgegen, zum Beispiel, dass Ärzte und Lehrer für das Thema sensibilisiert werden müssen und mehr Räume zur Verfügung gestellt werden sollten, in denen Betroffene sich artikulieren können.


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