Warum sich Politiker keine Pause gönnen

Lobbyismus Die große Koalition hat kein Interesse an Karenzzeiten für Minister vor dem Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft. Ihre Einführung wird auf die lange Bank geschoben

Eine Regierung sollte man nicht nur daran messen, was sie alles nicht "schafft", sondern auch, was sie getrost auf die lange Bank schiebt. Eine Karenzregelung für ehemalige Regierungsmitglieder und eine Verpflichtung für Lobbyisten, sich registrieren zu lassen, gehören dazu. Wenn man sich ansieht, wie selbstverständlich und geraden Weges Kanzler, Minister, Staatsminister und Staatssekretäre von ihren Amtssesseln auf Posten in Unternehmen wechseln, für die sie vorher günstige Bedingungen geschaffen oder lukrative Geschäfte ausgehandelt haben, dann ist das Wort der gekauften Republik schwer von der Hand zu weisen.

Beispiele gibt es viele. Ex-Kanzler Gerhard Schröder wird wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus der Politik mit einem Vorstandsposten beim russischen Konzern Gazprom belohnt, als Kanzler hat er für die Russen zum Beispiel die Ostseepipeline durchgesetzt. Ex-Kanzler Helmut Kohl bekommt einen Beratervertrag beim Medienkonzern Leo Kirch. Unvergessen auch Schröders Wirtschaftsminister Werner Müller, der als Manager aus der Energiebranche 1998 ins Wirtschaftsministerium kam und 2002 direkt zurückging – zum Eon-Konzern. Zuvor hatte er eine Ministererlaubnis für die Fusion von Ruhrgas und Eon in die Wege geleitet, die stellvertretend sein Staatssekretär Alfred Tacke erteilte. Auch Tacke wechselte nach diesem Deal auf einen Posten bei dem Energieriesen. Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement kam ebenfalls in der Energiebranche unter. In vielen Ländern Europas und in den USA wäre dieses "Drehtür-Prinzip" nicht möglich. Bei uns funktioniert es nach wie vor.

Aus dem Ministersessel zur Deutschen Bahn

Auch die Bahn ist nicht zimperlich, ließ und lässt sich immer wieder von prominenter Seite "beraten": Brandenburgs Verkehrsminister Hartmut Meyer schloss ohne Ausschreibung einen milliardenschweren Vertrag mit der Bahn und wechselte nach seinem Ausscheiden als Berater zum Staatskonzern. Auch Ex-Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt und dem frühere Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt, Jürgen Heyer, wurden beratend für die Bahn tätig. Ende 2005 wechselte Otto Wiesheu aus dem Amt des bayerischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr zur Deutschen Bahn AG in den Vorstand. Er hatte vorher den Verkehrsteil des Koalitionsvertrags mit ausgehandelt. Man könnte die Liste fortführen.

Die durch all diese Fälle ausgelöste öffentliche Diskussion über Korruption durch Unternehmen, die ihr Personal an Ministerien ausleihen oder ihre Interessen im Parlament auf die eine oder andere Weise einbringen oder durchsetzen, hatte bislang keine Konsequenzen. Auch diese Regierung hatte wieder keinerlei Interesse, sich selbst in ihren Möglichkeiten zu beschränken. Kein Zufall also, dass die Anträge der Opposition, eine Karenzzeit für Politiker aus den höchsten Ämtern einzuführen, es erst in der vorletzten Sitzungswoche auf die Agenda geschafft haben.

Frustration bei den Experten

Hans Mayer, Emeritus an der Humboldt-Universität Berlin, erklärte dazu, es nötige ihm schon eine erhebliche Frustrationstoleranz ab, dass diese Anträge so spät diskutiert werden. Das Anliegen ist für diese Legislaturperiode aus Zeitgründen chancenlos. Die Grünen, die Linksfraktion und die FDP hatten beantragt, dass Regierungsmitglieder und ihre Staatssekretäre nicht unmittelbar in die Wirtschaft wechseln dürfen, sondern eine Karenzzeit einhalten müssen. Während Grüne und Linksfraktion sich dazu eine gesetzliche Regelung wünschen, will die FDP nur einen Code of Conduct, einen Ehrenkodex einführen. Dazu äußerten sich gestern vor dem Innenausschuss Fachkundige, die sich in der Sache im wesentlichen einig waren: Wir brauchen eine Karenzzeit für Regierungsmitglieder und Staatssekretäre, die zwischen zwei und fünf Jahren betragen müsse. Einig waren sie sich mehrheitlich auch darin, dass ein "Ehrenkodex" nicht ausreiche, sondern es eine gesetzliche Regelung geben müsse.

Spitzenbeamte in den Ministerien pflegen intensive Beziehungen zu Lobbyisten und Lobbyisten schreiben an Gesetzen mit, wenn es um die Gesundheitsreform geht oder um Steuerreformen. Diskutiert wurde deshalb auch über ein verpflichtendes Lobbyistenregister, das ebenfalls die Mehrheit der Sachverständigen befürwortete. Bislang können sich Lobbyisten freiwillig registrieren lassen und der geringere Teil tut es. Damit wäre ein erster Schritt zur Offenlegung von Interessen, die bei der Arbeit von Regierung und Parlament am Werk sind, getan. Doch mit all dem wird sich möglicher Weise eine neue Regierung wieder befassen ­– falls sie dafür in vier Jahren einmal die Zeit findet. Wie die Politik es schaffen will, die Menschen zu überzeugen, im Herbst trotzdem eifrig wählen zu gehen, sollte sie im Wahlkampf mal erklären.

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