Hinaufgerissen hat´s uns in den Schnee.
Die andern sind drunten tief im Tal.
(nach Elfriede Jelinek: Wolken. Heim.)
Weiß-blaues Bergpanorama mit Alphornbläsern. Es muss eine bizarre Szenerie gewesen sein: 15 Männer und eine Frau des politischen Spitzenpersonals handeln zwischen Dirndlbedienung und Schuhplattlertanz aus, unter welchen Bedingungen Ausländer Deutsche werden dürfen. Fototermin auf der Zugspitze. Vermutlich hat vergangene Woche der Heimatabend in Günther Becksteins (CSU) Gastgeberland mit alpin-bayrischem Ambiente auf die Innenminister der übrigen Bundesländer gewirkt: Deutschsein ist ein so hohes Gut, dass die Personen, die den deutschen Pass erwerben wollen, erst einmal etwas leisten müssen. Wenn sie nach acht Jahren einen Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft stellen, haben sie einen Pflichtkurs über die Grundsätze und Werte der Verfassung sowie einen Sprachtest mit Abschlussprüfung zu absolvieren. Bezahlen müssen die Bewerber auf deutsche Staatsbürgerschaft diese Kurse selbst.
"Die Einbürgerung ist der Ausweis gelungener Integration", kommentierte später die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Maria Böhmer (CDU), die Einigung. Die Krönung also, eine Belohnung für die gelungene Anpassungsleistung des Ausländers an die deutschen Verhältnisse. Die Einbürgerungsquoten sind seit Jahren stark rückläufig, obwohl erst im Jahr 2000 ein Staatsbürgerschaftsgesetz in Kraft trat, das die Einbürgerung erleichtern sollte. Die besonders Volkstümlichen in der Union bekamen durch den Innenminister-Beschluss sogleich Aufwind. Ministerpräsident Stoiber (CSU) forderte Schritte gegen jene Ausländer, die nicht Deutsche werden wollen: "Wenn jemand Sozialleistungen in Anspruch nimmt, wenn er eben von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern Steuergelder bekommt, hat er natürlich auch eine Integrationsleistung zu erbringen." "Integrationsverweigerer dürfen nicht auf Dauer in Deutschland bleiben", forderte der CSU-Chef. Schließlich müsse man sich "von einer Multi-Kulti-Tendenz, die sehr weit verbreitet war", verabschieden. Unions-Fraktionschef Volker Kauder blies ins gleiche Horn und verlangte Sanktionen gegen Ausländer, die an verordneten Sprachkursen nicht teilnähmen. Zentrales Ziel sei die "Integrationsverpflichtung", wurde mit Blick auf den "Integrationsgipfel" bei Bundeskanzlerin Merkel Ende Juni postuliert.
Plötzlich ist der Union kaum je etwas wichtiger gewesen als die Gleichberechtigung von Mann und Frau, auf deren Einhaltung sie die Migranten nun abklopfen will. Viele Ministerpräsidenten, allen voran Hessens Roland Koch (CDU), befürworten nun auch einen Eid auf die Verfassung und einen feierlichen Rahmen. Dieser soll die Verbindlichkeit der Entscheidung hervorheben. Verbindlichkeit natürlich nur für den Neudeutschen. Von Staats wegen kann ihm nämlich die Staatsbürgerschaft unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder aberkannt werden, zum Beispiel wenn er seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft wieder annimmt.
Wir waren schon einmal weiter. Sogar auf ministerieller Ebene gab es Versuche, Integration als wechselseitiges Verhältnis zu definieren, als Handeln, das sehr wohl auch von der angestammten Bevölkerung gegenüber Migranten zu erbringen ist. Doch der "integrationsunwillige, latent kriminelle ausländische Sozialleistungsbezieher" hat in der fremdenfeindlichen Rhetorik wieder Konjunktur. Fast hätten wir die Parolen mit ihren klischeehaften Verdächtigungen gegenüber Migranten vermisst. Nun brechen sie sich wieder Bahn. Deutschland, ein Einwanderungsland? Pures Lippenbekenntnis. Weltoffenheit? Ein Witz. Wenn Rechtsextremismus-Forscher sagen, dass der Hass auf Fremde aus der Mitte der Gesellschaft kommt, dann liefern Herren wie Stoiber, Kauder und Koch hier wieder die Vorlage. Sie ernten dankbares Einverständnis nicht nur an den Stammtischen im bayrischen Hochland. Gab es wirklich einmal die Hoffnung, auch die Deutschen könnten einmal lernen, dass sie sich nicht über alles Fremde mit Skepsis und Argwohn erheben müssen?
Für den, der nicht qua Blut und Boden Deutscher ist, bleibt das gleichberechtigte Leben in Deutschland mit oder ohne Pass ein fernes Ziel, dem er sich über Anpassung zwar mühsam annähern kann, erreichen wird er es dennoch nicht. Das ist die Botschaft, die aus den Bergen noch dem Letzten im tiefen Tal entgegenschallt.
Die 200.000 Geduldeten (etwa die Hälfte von ihnen lebt mehr als zehn Jahre hier) warten übrigens immer noch auf eine Lösung. Für sie haben die Innenminister zum wiederholten Mal keine Zeit gefunden, eine Bleiberechtsregelung wurde vertagt. Derweil wird munter weiter abgeschoben.
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