Immer der Nase nach

1982 Piratensender Powerplay ist auch nach 30 Jahren ein kaum erträglicher Film. Das liegt an stumpfen Zoten und daran, dass er Fehlentwicklungen des Rundfunks vorwegnimmt

Vor 30 Jahren kommt der erste Film von Thomas Gottschalk und Mike Krüger ins Kino. Dieses Debüt Piratensender Powerplay sei ein „Fiasko, in dem geistig und technisch an jeder Ecke gespart wurde“, schreibt dazu der film-dienst Ende Januar 1982. Heute steht das Werk in der Videothek – wenn überhaupt – im Regal Nonsens. Dabei hat der Film ein gesellschaftliches Stimmungsbild kurz vor dem Start kommerzieller Sender im Jahr 1984 geliefert und sich zugleich als treffsichere Vorhersage für Reaktionsmuster im Rundfunk entpuppt.

Zum Plot: Eine eingestaubte, öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalt jagt Radiopiraten, die mit platten Sprüchen und flotter Musik zu Stars im Sendegebiet avancieren. Als Resümee der Handlung sollte das genügen. Schließlich wirkt das Leitmedium Fernsehen wie ein Stammtisch und stiftet kulturelle Identität durch stete Wiederholung der gleichen Geschichten. Da heute jede dritte Sendeminute in der ARD eine Wiederholung ist, bei den Dritten Programmen und den meisten Privaten sogar jede zweite, und der Fernseher in deutschen Haushalten im Schnitt 3,5 Stunden am Tag flimmert, lässt sich vermuten, dass jeder Piratensender Powerplay kennt.

Die Einführung einer kommerziellen Alternative zu den öffentlich-rechtlichen Sendern scheiterte lange Zeit nicht an einer gesetzlichen Grundlage. Immerhin hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1961 im Ersten Rundfunkurteil erklärt, privater Sendebetrieb sei verfassungskonform. Der scheiterte jedoch vorerst an hohen Kosten und einer technischen Hürde: Frequenzknappheit.

Ende des Rundfunk-Duopols

Piratensender Powerplay wurde im Jahr des Dritten Rundfunkurteils 1981 gedreht, als eine neue Kabel- und Satellitentechnologie das Frequenzproblem lösen half. Die Karlsruher Richter befanden, dass Vielfalt auch die Summe vieler tendenziöser Sender sein könne. Zudem drängten private Unternehmen in Erwartung lukrativer Werbegeschäfte in den Äther und fanden bei den unionsgeführten Ländern, die bei ARD und ZDF einseitig linke Tendenzen beklagten, politischen Beistand. In dieser Situation begründete das Karlsruher Urteil von 1981 eine duale Rundfunkordnung, die das Ende des Rundfunk-Duopols von ARD und ZDF einläutete – die ersten Kabelpilotprojekte starteten 1984.

Im Film Piratensender Powerplay tafeln die noch konkurrenzlosen „öffentlich-rechtlichen Herrschaften“ in gemäldebehangenen Sälen. Ihre Anstalt sendet nur „music to die by“, wie Radiopirat Thommy einer öffentlichen Wahrnehmung entsprechend kalauert. Eine geschäftstüchtige Irmgard (Evelyn Hamann) verkörpert den Ätherdrang der Privatwirtschaft und professionalisiert den Piratensender Powerplay mit der Akquise einträglicher Werbeblöcke, die Radiopirat Mike fortan als Finanzierungsgrundlage verliest: „Lieber werben als sterben“. Das zum Studio umgebaute Wohnmobil, aus dem Thommy und Mike ihr Programm ins Sendegebiet schicken, rollt als Absage an die Frequenzknappheit in die Zukunft des Rundfunks.

Das Vierte Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1986 zimmert schließlich den gesetzlichen Rahmen für die duale Rundfunkordnung. Danach soll die Grundversorgung künftig Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen sein, da sie durch die Rundfunkgebühren nicht wie die Privaten auf Einschaltquoten angewiesen sind und über die größte Reichweite verfügen. Hinsichtlich der Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist Piratensender Powerplay ein Blick in die Glaskugel. Denn als Müller-Hammeldorf vom Bayerischen Rundfunk vor die Wahl gestellt wird, ob er eigenes Programm verbessern oder den privaten Piraten hinterher hecheln soll, tut er Letzteres.

Die Müller-Hammeldorf-Mentalität, sich an fremde Fersen zu heften, ist nach 25 Jahren dualer Rundfunkordnung ein großer Teil der Programmgeschichte. Auf Gute Zeiten, schlechte Zeiten bei RTL folgt Verbotene Liebe im Ersten, auf Explosiv bei RTL Brisant in der ARD. Bei den Privaten palavern Hans Meiser und Bärbel Schäfer am Nachmittag – die ARD schickt Jürgen Fliege hinterher. Sat1 startet eine tägliche Quiz-Sendung, Das Erste legt mit Jörg Pilawa nach. Meist wirkt die öffentlich-rechtliche Kopie altbacken wie Müller-Hammeldorf, so als stünden Mutti ARD und Vati ZDF plötzlich in Neonleggings in der Techno-Disko der Kinder RTL, Sat1 und Pro7 und tanzten Walzer. Die inhaltliche Annäherung des öffentlich-rechtlichen an das private Programm – die gerichtete Konvergenz – setzte sich nach 2000 mit Casting- und Koch-Shows, Telenovelas oder Dokutainment über Auswanderer und Rückkehrer fort. Der Abklatsch erfolgreicher privater Formate mutiert zum unkontrollierbaren Reflex der Öffentlich-Rechtlichen. Auf der Strecke bleibt der Auftrag, den Kühlschrank mit den Grundnahrungsmitteln zu füllen: Information, Kultur, Bildung. Stattdessen gibt es Brei, an dem die Öffentlich-Rechtlichen kräftig mitrühren. Die richterliche Annahme, dass aus der Einfalt vieler Vielfalt entsteht, hat sich nicht bestätigt. Fordert man Anspruch und Innovation, verweisen die Öffentlich-Rechtlichen auf Sender wie 3Sat, Arte, ZDFneo oder den Deutschlandfunk. Dort findet man durchaus Qualität, doch hätte deren Programmauftrag einen festen Platz in der ersten Reihe verdient.

Wie eine Vorahnung

Der Film Piratensender Powerplay nimmt den Quotenfetischismus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – das als „Pilcherisierung“ bezeichnete Abgleiten ins Seichte – schon 1982 vorweg. Als Thommy und Mike den Verfolgern ins Netz gehen, verhaftet sie nicht etwa die Polizei, sondern der Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks für den eigenen Sender. „Die beiden hatten in ihrer letzten Sendung eine Hörerbeteiligung von 76 Prozent, so was kann man sich doch als Programmdirektor nicht entgehen lassen.“ Dabei sind gerade die öffentlich-rechtlichen Sender die Einzigen, die sich so etwas entgehen lassen können – dank Gebühren, 2010 knapp 7,6 Milliarden Euro. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der den unverzichtbaren, dienenden Auftrag hat, die Grundversorgung im Sinne der Rundfunkfreiheit zu gewährleisten, darf Quote nicht die einzige Währung sein.

Dass der Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks Thommy und Mike am Ende engagiert, wirkt wie eine Vorahnung von der Konvergenz der Programme nach 25 Jahren dualen Rundfunks. Darüberhinaus beschreibt es hellseherisch die heute schon klassische Moderatoren-Vita. „Das Piratendasein ist zu Ende, weil ich jetzt als Beamter sende“, der Reim von Thommy im Film funktioniert auch mit dem Wort „Privatendasein“. Den Kai Pflaumes – Stilblüten, die der kommerzielle Rundfunk ausgetrieben hat – gelingt der Grenzgang zwischen den Welten problemlos. Johannes B. Kerner wechselt munter zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern hin und her. Günther Jauch moderiert im Spagat zwischen ARD und RTL alles weg, was weg muss. Das ist nicht Zeugnis der Vielseitigkeit dieser Moderatoren, sondern Ausweis der programmatischen Ähnlichkeit von ARD, ZDF, RTL, Pro7 und Sat1. Bleibt abzuwarten, wann Peter Kloeppel die Tagesschau spricht.

Doch es besteht Hoffnung. Am Demütigungs-Fernsehen à la Bauer sucht Frau und Scripted-Reality-Formaten, bei denen meist Unzurechnungsfähige noch Unzurechnungsfähigere darstellen, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Finger bislang noch nicht schmutzig gemacht. Stattdessen gab es 2011 zum Beispiel das Experiment Dreileben, und lief auch der Fernsehfilm Homevideo um 20.15 Uhr und nicht nach Mitternacht. Hier spielte das unverzichtbare Öffentlich-Rechtliche seine Stärken aus. Noch viel mehr davon, dann ist vielleicht auch Til Schweiger als Tatort-Kommissar zu verzeihen. On verra, dieses Jahr.

Conrad Menzel wünscht sich, dass weniger über den Nachfolger Thomas Gottschalks und mehr über neue Formate auf dem Sendeplatz von Wetten, dass..? nachgedacht würde

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden