Die Kunstform, deren Zeichen einst an Wänden und Zügen laufen gelernt haben, um öffentlichen Raum anders als Werbung unkommerziell zu gestalten, liefert der Werbeindustrie heute ihre Typographie und hat die Institutionen des Kunst- und Kulturbetriebs erobert: Auktionskataloge listen Werke von Graffiti- und Street-Art-Künstlern zu sechsstelligen Preisen, Galerien locken Sprüher aus dem Schachtlicht der U-Bahn-Depots ins Scheinwerferlicht der Vernissagen.
Mit Art in the Streets, einer Ausstellung von mehr als 50 Graffiti-Sprühern und Street Artists, die sich ohne Übertreibung als amerikanische und europäische Pioniere beider Szenen bezeichnen dürfen, gab es im vergangenen Jahr erstmals eine Ausstellung zur Geschichte und Entwicklung dieser Kunstformen in einer renommierten Institution des amerikanischen Kulturbetriebs, dem Museum of Contemporary Art (MoCA) in Los Angeles. Ende März dieses Jahres wandert die Ausstellung konsequenterweise nach New York ins Brooklyn Museum. Während lange Zeit nur ein zweiminütiger Filmtrailer im Netz kursierte, ist nun der ganze Dokumentarfilm Outside In: The Story of Art in the Streets online, in dem Regisseur Alex Stapleton die Künstler sowie die Chronisten ihrer Kunst bei den Ausstellungsvorbereitungen begleitet und sich unter anderem mit dem Paradoxon der Salonfähig- und Museumstauglichkeit dessen beschäftigt, was in seiner originären Form der ästhetischen Aneignung öffentlichen Raums mittels Sprühdosen eine strafbare Handlung ist: Sachbeschädigung durch Farbschmiererei.
Spielfilme, Dokumentationen und Mischformen beider Genres gibt es viele über Graffiti und Street Art. Neben den frühen kulturbegründenden Klassikern wie Style Wars (1983), Wildstyle (1983) oder Beatstreet (1984) wären aus den vergangenen Jahren erwähnenswert: Banksys Mockumentary Exit through the gift shop (2010) sowie die britische Channel4-Doku Graffiti Wars: King Robbo vs Banksy (2011), die sich der jahrelangen Fehde zwischen dem bekanntesten Vertreter der Street Art und einem Londoner Sprüher annimmt und darüber auch eine Seite des Verhältnisses zwischen beiden Kunstformen beschreibt.
Street Art gilt mitunter als weiter entwickelte Wiederbelebung von Graffiti, als künstlerisch aussagekräftigere und wertigere Strömung einer Bewegung. Nicht jeder Sprüher sieht das so. Darüberhinaus dämpft Graffiti Wars auch die Bewunderung vieler für den Künstler Banksy, indem sie den Franzosen Blek le Rat zu Wort kommen lässt, der wohl mehr als nur Inspiration für Banksy gewesen sein muss. Auch aus Deutschland gibt es neuere, sehenswerte Filme über Graffiti, Unlike U (2011) über die Wurzeln der Berliner Szene, ebenso der Spielfilm Wholetrain (2006) aus München. Vor eigenproduzierten Selbstbeweihräucherungen von Sprüher-Crews wie One United Power (2011) hingegen kann man interessierte Ahnungslose nur warnen.
Alex Stapletons Film Outside in: The Story of Arts in the Streets ist trotz seiner Kürze von nur 30 Minuten in puncto Aktualität gegenwärtig eine einzigartige Dokumentation über Graffiti und Street Art. Einerseits, da der kurze Film den Spagat beschreibt, den die Künstler hinlegen müssen, weil sie schon immer mit einem Bein im Knast, nun aber fest mit dem anderen Bein in den großen Museen und Galerien stehen. „Jeder in diesem Museum hat das Gesetz gebrochen, dafür werden wir nun gefeiert“, benennt der Londoner Street Artist Ben Eine, der Graffiti und Street Art als größte Kunstbewegung aller Zeiten beschreibt, die Groteske.
Andererseits untermauert der Film, dass es sich bei Graffiti und Street Art sehr wohl um Kunstformen, Ausdrucks- und Lebensweisen handelt und, wenn überhaupt jemals, nun schon lange nicht mehr nur um eine exklusive jugendliche Subkultur, die marginalisiert werden könnte. Das erste Foto, das Henry Chalfant, unter anderem Koproduzent von Style Wars und einer der wichtigsten Chronisten der frühen New Yorker Szene, von einem besprühten Zug gemacht hat, zeigte den „Christmas Train“ aus dem Jahre 1977. Urheber dieser gesprühten Legende waren Lee, Mono, Slave, Doc und Slug, die zusammen die Crew The Fabulous 5 bildeten und als Spezialisten für Whole Cars und Whole Trains galten, besprühte Waggons oder Züge der New Yorker Metropolitan Transit Authority.
Als Chalfant vergangenes Jahr im Museum vor der Kamera davon erzählt, steht unter anderem dieser Lee, der 1977 den „Christmas Train“ sprühte und 1983 Darsteller in Wild Style war, draußen an der Halle und besprüht die Außenwand des MoCA. Man kann es als Statement deuten, dass Lee auch nach 35 Jahren seinen Beitrag zur Ausstellung Art in the Streets eben „in the streets“ liefert und nicht im Inneren des Museums. Neben Lee Quinones sind im Film mit Fab 5 Freddy und Futura 2000 auch andere New Yorker der ersten Graffiti-Stunden zu sehen. Die europäische Bewegung vertreten Szene-Urgesteine wie der Brite Mode2 oder der Münchner Loomit.
"Sie haben uns reingelassen"
Martha Cooper, die gemeinsam mit Henry Chalfant 1984 Subway Art, einen Bildband über New Yorker Trainwriting, herausgegeben hat und mit Hip Hop Files ein Porträt dieses New Yorks zwischen 1979 und 1984 dazu lieferte, steht staunend in der Ausstellung: „Als ich anfing, diese Kunst zu dokumentieren, hielt ich es für nötig, weil ich dachte, das wird ziemlich bald aussterben.“ Ein Trugschluss zwar, aber er unterstreicht die große Bedeutung der Arbeit von Chalfant, Cooper und anderen Graffiti-Chronisten, ist das Ephemere doch Wesensmerkmal dieser Kunst.
Jeffrey Deitch, der Museumsdirektor des MoCA und Kurator der Ausstellung beschreibt im Film, wie schwer es war, den Kunst- und Kulturbetrieb davon zu überzeugen, dass diese Kunstformen endlich ernst genommen werden. Die Erlaubnis für diese Ausstellung zu bekommen sei eine große Herausforderung gewesen. „Jede große Bewegung in der Kunstgeschichte stieß zunächst auf Ablehnung“, gibt sich der französische Künstler Invader optimistisch. Besser trifft es Saber, ein Sprüher aus Los Angeles: „Sie haben uns reingelassen, das war ihr größter Fehler.“ Dass diese Ausstellung, diese nun filmisch dokumentierte Ankunft von Graffiti und Street Art im renommierten Museum of Contemporary Art aber keineswegs der Widerspenstigen Zähmung bedeutet, zeigt sich am deutlichsten im letzten Kommentar jenes Lee Quinones, der seine paradoxe Situation, in der er Teil einer gefeierten Ausstellung und mit seiner Kunst zugleich kriminalisiert ist, pointiert: „I think haters will always become waiters, at the end of the day.“
Die Graffiti- und Street-Art-Ausstellung Art in the Streets ist vom 30. März bis zum 8. Juli im Brooklyn Museum in New York zu sehen.
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