Es war eine Szene, die mehr als andere in Erinnerung geblieben ist: Dolores Ibárruri und Rafael Alberti – sie 81, er 74 – gehen bei der Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments am 13. Juli 1977 entschlossen, Arm in Arm und unter aufmerksamen Blicken durch die Reihen zu ihren Sitzen. Die charismatische Kommunistin, als „La Pasionaria“ bekannt, und der sensible Dichter, sie sind die Inkarnation eines Spaniens, das nach Bürgerkrieg und Franco-Diktatur auferstehen will: das Spanien der Republik, der Linken, des Fortschritts und der Gleichheit.
Am 15. Juni 1977 haben erstmals seit Ausbruch des Bürgerkrieges im Juli 1936 demokratische Wahlen stattgefunden. Im daraus hervorgegangenen Parlament müssen fortan die beiden Lager miteinander auskommen, die sich so lange in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden: Franquisten und Antifaschisten, Katholiken und Sozialisten, Konservative und Kommunisten wie Ibárruri und Alberti. Der demokratische Neuanfang verspricht viel. Der jahrzehntelang verbotene Partido Comunista de España (PCE) ist zurückgekehrt, ebenso der traditionsreiche Partido Socialista Obrero Español (PSOE), auch die baskischen und katalanischen Nationalisten. Das stößt auf Niedertracht und mörderischen Hass. Im Januar 1977 werden durch Attentate von Rechtsradikalen in Madrid fünf linke Gewerkschafter getötet. Der Anschlag provoziert die erste große Demonstration der Linken seit Francos Tod im November 1975. Ihr Protest soll und wird die Legalisierung des PCE beschleunigen.
Im Juli 1977 gibt es außerdem einen anarchistischen Kongress in Barcelona, der mit mehr als 200.000 Teilnehmern eine Renaissance des spanischen Anarchosyndikalismus anzukündigen scheint. Es folgt im Herbst 1977 die Wiederherstellung der Generalitat, der katalanischen Regionalregierung, mit dem berühmten Satz des Exilpräsidenten Josep Tarradellas bei seiner Rückkehr: „Ciutadans de Catalunya, ja sóc aquí!“ (Bürger Kataloniens, jetzt bin ich hier!) All dies bringen Millionen Namenloser zustande, die in Fabriken, Universitäten, Stadtvierteln, Kulturvereinen oder Frauenkollektiven die Opposition gegen das Franco-Regime gebildet haben und nun erst recht mobilisieren.
Die Wahlen Mitte Juni 1977 führen indes nicht in die stürmischen Zeiten der Zweiten Republik (1931 – 1939) zurück, sondern versöhnen das Land mit dem westeuropäischen Muster. Mit 34 Prozent wird die Mitte-rechts-Partei Unión de Centro Democrático (UCD) unter dem jungen wie machtbewussten Adolfo Suárez zum klaren Wahlsieger. Zweitstärkste Kraft werden die Sozialdemokraten des PSOE mit 29 Prozent, angeführt von einem anderen ambitionierten Jungpolitiker, Felipe González. Flankiert und bedingt durch die finanzielle und organisatorische Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung lässt der PSOE sein marxistisches Erbe fallen und hält sich stattdessen an die sozialpartnerschaftliche nordeuropäische Sozialdemokratie.
Enttäuschend fallen die Ergebnisse für die beiden Kräfte aus, die sich klar links und rechts positioniert haben. Der PCE unter Santiago Carrillo, der noch im Bürgerkrieg gekämpft hat, kommt über neun Prozent nicht hinaus. Dass die Kommunisten stets die Opposition gegen Franco angeführt haben – dieses Vermächtnis trägt bestenfalls magere Früchte. Auch die Rechten haben sich mehr als acht Prozent erhofft: Die Alianza Popular (AP), von sieben franquistischen Politikern gegründet, wollte den Nachlass der Franco-Zeit bewahren und hat sich für eine eingeschränkte Demokratie ausgesprochen, für eine „democracia a la española“ im Zeichen von Gesetz und Autorität, so Parteichef Manuel Fraga, ehemaliger Informationsminister Francos. Davon freilich hält die Mehrheit des spanischen Volkes wenig. Der Bürgerkrieg liegt nur eine Generation zurück und steckt den Menschen noch in den Knochen. Viele sehnen sich nach einem Bruch mit den spannungsgeladenen 60er und frühen 70er Jahren, in denen es immer wieder zu Attentaten kam. Auch ein Militärputsch scheint möglich, Teile der Streitkräfte werden ihn 1981 tatsächlich versuchen.
Vom Gesetz zum Gesetz über das Gesetz
Insofern soll es einen gemäßigten, fast übervorsichtigen Übergang zur Demokratie geben, für den sich besonders zwei Politiker verbürgen: Adolfo Suárez und König Juan Carlos, den Franco noch als potenziellen Nachfolger an die Staatsspitze gelotst hat. Beide verkörpern das, was viele wünschen: eine Politikergeneration, die nicht den Bürgerkrieg erlebt hat, aber mit einem Fuß im Franco-Regime stand (Suárez hat da seine Karriere begonnen), und mit dem anderen in der Zeit danach – eine Generation, die sich zwar zur liberalen Demokratie bekennt, aber pragmatisch genug ist, um Radikalität und Polarisierung zu meiden. So lautet denn auch das Leitmotiv von Suárez und Juan Carlos im Transitionsprozess: de la ley a la ley por la ley (vom Gesetz zum Gesetz über das Gesetz). Das bedeutet, es soll ein bruchloser Übergang gelingen, der die prinzipielle Legitimität des Franquismus nicht antastet, nicht nach Schuld und Sühne für seine Verbrechen fragt oder nach Wiedergutmachung, sondern seine Institutionen schrittweise ersetzt oder an liberale Standards anpasst.
Die Wahlen vor 40 Jahren verschaffen dieser moderaten Zäsur unter der Ägide des Premierministers Adolfo Suárez ein belastbares Mandat, denn von da an beschleunigt sich die demokratische Konsolidierung. Zunächst wird Ende Oktober 1977 der Pakt von Moncloa geschlossen. Die großen Parteien, Gewerkschaften und Unternehmerverbände entwerfen darin gemeinsam ein wirtschaftspolitisches Programm, um Regulierungen abzubauen und Verwaltung und Volkswirtschaft zu flexibilisieren. Dieses Agreement soll den Beitritt Spaniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) befördern, der 1986 vollzogen wird.
Ein Jahr nach der Parlamentswahl von 1977 beginnt die Arbeit an einer neuen Verfassung. Die Spitzen der Parteien verzichten auf Maximalpositionen und halten sich an das Vorbild des bundesdeutschen Grundgesetzes. Die Rechtmäßigkeit der neuen Magna Charta beruhe – wie Verfassungsvater Gregorio Peces-Barba beteuert – auf „der Mäßigung und dem Konsens aller großen politischen Kräfte“, ein Novum im bis dahin stets polarisierten Spanien. Am 6. Dezember 1978 tritt die Verfassung in Kraft und ist bis heute gültig.
Doch was bleibt dabei auf der Strecke? „Das Gefühl, dass wir die Hauptdarsteller der Geschichte sind“, erinnert sich der 66-jährige Miguel Fernández, einst kommunistischer Oppositioneller. „Gegen Franco lebten wir besser. Uns war klar, dass nur die Politisierung von unten das Regime zu Fall bringen würde. Damals galt die Devise: Es gibt nur eine Partei, den PCE, und sie erwischt dich auf der Straße.“ So breitet sich mit der Demokratie zugleich Ernüchterung aus, die viel mit dem Konformismus zu tun hat, der auch jene erfasst, die einst im aktiven oder inneren Widerstand gegen Franco standen. „Mit den freien Wahlen war es für viele getan. Eine tiefergehende Demokratisierung oder gar eine sozialistische Revolution ging den meisten zu weit. Es war enttäuschend, wie es sich die linken Kräfte im System der repräsentativen Demokratie bequem machten und ihre Basis demobilisierten. Ihre Botschaft an uns lautete: Jetzt machen die Berufspolitiker Politik. Ihr habt eure Arbeit getan, nun könnt ihr nach Hause gehen“, resümiert Miguel nachdenklich.
Heute gehört er zu denen, die wie viele ehemalige Oppositionelle in neuen Protestbewegungen wie Podemos wieder eine politische Heimat gefunden haben. „Es gleicht einer zweiten Chance, um das nachzuholen, was wir damals nicht zu Ende führten.“ Ob es eine Lehre aus der Zeit des Übergangs gibt? „Dass zwar die Straße die sie unterstützenden Institutionen braucht, dass aber umgekehrt auch die Institutionen auf die Straße angewiesen sind. Der Druck von unten muss sich immer wieder erneuern – er darf nie ein Ende finden.“
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