Die Spanier haben entschieden, eine neue Etappe zu beginnen. Es wird eine neue Zeit sein, in der ich mit sozialem und politischem Dialog regieren möchte. Ich werde stets versuchen, die größte Unterstützung zu mobilisieren. Ich werde für alle regieren, aber vor allem für jene, denen es an allem fehlt“ – mit diesen Sätzen begann José Luis Rodríguez Zapatero am Abend des 9. März 2008 mit seiner Siegesrede. Anlass für große Worte gab es genug. Der Sozialist konnte seine zweite Amtszeit mit viel Rückhalt antreten. Zwar hatte der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) die absolute Mehrheit verpasst, aber mehr als elf Millionen Wähler, die für Zapatero votierten, verschafften der Partei das beste Ergebnis seit Ende des Franco-Regimes 1975. Die Sozialisten fühlten sich als authentische Volkspartei. Sie verfügten mit Zapatero über einen Führer, dessen Strahlkraft beeindruckend schien. Heute mag manch treuer Sozialist nicht nur mit Wehmut, sondern auch mit einem Anflug von Beklemmung oder Zorn auf Zapateros zweite Amtszeit blicken. Was anfangs auf eine Fortschreibung sozialistischer Erfolge hinauszulaufen versprach, sollte sich bald in das Gegenteil verkehren.
Zunächst aber lohnt der Blick zurück auf die erste Amtszeit Zapateros zwischen 2004 und 2008. Dass der unscheinbare Politiker, den seine Gegner wegen fehlenden Charismas und mutmaßlicher Weichheit „Bambi“ nannten, überhaupt spanischer Premierminister werden konnte, wurde als durch besondere Umstände ausgelöster Zufall hingestellt. Wenige Tage vor der Parlamentswahl vom 11. März 2004 verübten islamistische Attentäter am Madrider Bahnhof Atocha einen blutigen Anschlag, bei dem 193 Menschen starben und mehr als 2.000 verletzt wurden. Der scheidende Regierungschef und konservative Hardliner José María Aznar versteifte sich auf die Behauptung, das Attentat sei von der baskischen Untergrundorganisation ETA verübt worden. Als er darauf beharrte, löste das eine Welle der Entrüstung aus.
Zapatero zu wählen, galt daher vielen als Chance, den Konservativen eine Lektion zu erteilen. Der damals 43-Jährige hatte sich seit Beginn seiner politischen Laufbahn als versöhnliche und moderate Persönlichkeit erwiesen. Zapatero machte aus dem talante – der ruhigen Art – eine Art Markenzeichen. Für den PSOE verhieß seine Regierungsübernahme nicht nur personelle, sondern zugleich ideelle Erneuerung. Man muss dazu wissen, dass die Sozialisten zur Jahrtausendwende ohne ideologischen Überbau dastanden und sich zu allem Überfluss vom Erbe ihres langjährigen Patrons Felipe González (Parteichef 1982 – 1996) emanzipieren mussten. Der hatte zwar seinen Anteil daran, dass Spanien nach der Diktatur tiefgreifend modernisiert wurde, doch schien sich dieses Verdienst Mitte der 1990er Jahre erschöpft zu haben.
Zapatero versprach Abhilfe. Um sich als PSOE-Chef zu bewerben, gründete er die Plattform „Nueva Vía“ (Neuer Weg). Angelehnt an den Dritten Weg des damaligen Labour-Chefs Tony Blair und die Neue Mitte Gerhard Schröders, versuchte „Nueva Vía“ den PSOE auf den „besten Liberalismus“ einzuschwören. Zapateros Vision: Bürgerrechte und politische Freiheiten auszuweiten, die Zivilgesellschaft zu stärken, sich in Wirtschaftsfragen wenig interventionistisch zu verhalten und international auf Friedenspolitik zu setzen. Letzteres führte dazu, dass Zapatero spanische Soldaten, die im März 2003 gemeinsam mit US- und britischen Truppen im Irak einmarschiert waren, ein Jahr später nach Hause holte.
Keine Frage, in seinen Anfangsjahren empfahl sich Zapatero als progressiver Anführer. 2005 legalisierte Spanien als eines der ersten Länder weltweit die gleichgeschlechtliche Ehe – trotz des Protests von Katholiken und Konservativen. Zapateros Ruf, ein Linksliberaler neuen Schlages zu sein, festigte sich mit jeder weiteren Maßnahme. Und die reichten vom großflächigen Legalisierungsprogramm 2005, das einer halben Million illegaler Migranten zugutekam, über die ambitionierte Territorialreform, die 2006 in die Verabschiedung einer neuen Regionalverfassung mündete, bis zum Gesetz der historischen Erinnerung, das erstmals die republikanischen Opfer des Bürgerkrieges (1936 – 1939) anerkannte. Es forderte dazu auf, Hunderte von anonymen Massengräbern zu öffnen. Zapatero kam auf diese Weise zu hohem Ansehen. Der Philosoph Philip Pettit verfasste 2010 gar ein Buch mit dem Titel Civic Republicanism in Zapatero’s Spain. Darin hieß es, Zapatero sei das Ideal des modernen Linken: „Ein mutiger Republikaner, der in der Gesellschaft Herrschaftsverhältnisse abbaut und zugleich die staatliche Macht zurückfährt.“
Doch dann brach 2008 die Finanzkrise herein, die Spaniens Wirtschaft mit besonderer Wucht traf und Zapatero schockierte. Der hatte sich bis dahin darauf beschränkt, den Boom der Immobilien- und Finanzbranche als Geldsegen zu feiern, ohne auf Prävention oder Regulierung zu achten, die ein Platzen der Baublase hätten verhindern können. Umgehend brach das Bruttosozialprodukt ein, die Arbeitslosigkeit stieg von acht (2007) auf über 20 Prozent (2010), ausländische Investoren blieben aus. In dieser Lage traf das Zapatero-Kabinett im Mai 2010 eine harte Entscheidung. Um einen drakonischen Rettungsschirm wie für Griechenland zu vermeiden, gab es das große Austeritätspaket: Beamtengehälter wurden gesenkt, Renten eingefroren, öffentliche Ausgaben zurückgefahren, Sozialgelder gestrichen. In den Folgejahren wurden gut 50 Milliarden Euro, etwa fünf Prozent des Regierungsbudgets, eingespart. Ein harter Einschnitt nicht bloß für Zapateros Finanzpolitik, sondern für sein gesamtes politisches Projekt. Der „Neue Weg“ der Sozialdemokratie fand auf die Krise nur die alten Antworten der Rechten: Staat und Bürger müssen den Gürtel enger schnallen, während die Ökonomie so stark wie möglich zu entlasten ist, um schnell wieder Wachstum zu generieren.
Warum reagierten die Sozialisten nicht anders? Ende 2013, in einem Interview für die Talkshow El Intermedio, meinte Zapatero, nun Ex-Premier: „Gewisse Entscheidungen hängen schlicht von ökonomischen Bedingungen ab. Manches hätte ich nicht tun wollen, musste es aber. Spanien stand allein da, die Europäische Zentralbank hätte uns helfen können, half uns aber auf Anweisung aus Berlin nicht. Die Politik hängt nun einmal von der Wirtschaft ab.“ Eine nur scheinbar selbstverständliche Überlegung, verrät sie doch die Schattenseite von Zapateros „Nueva Vía“.
Die Blair-Schröder-Sozialdemokratie betrachtete den globalen Kapitalismus als eine Tatsache, die man hinnehmen, aber nicht bekämpfen sollte. Mal freut man sich über positive Wachstumszahlen, mal akzeptiert man resigniert, sparen zu müssen. Stets ist die Politik die abhängige und die Ökonomie die unabhängige Variable, ohne dass gefragt wird, ob das so sein muss. Wo bleibt der Gestaltungsauftrag der Politik, auch und gerade gegenüber der Wirtschaft? Müssten Regulierungen, Gesetze und bindende Entscheidungen das Kapital nicht dem Allgemeinwohl unterordnen? So wurde Spaniens bislang freundlichster Regierungschef zum Krisenverwalter und damit zur tragischen Figur. Dass er Ende 2011 die Parlamentswahl verlor, geschah nicht unerwartet.
Noch im Sommer des gleichen Jahres hatte Zapatero der Schuldenbremse Verfassungsstatus verliehen. Ohne die Umstände zu verkennen, bleibt festzuhalten: Er setzte die Sozialisten einer verhängnisvollen neoliberalen Wende und einer zermürbenden Talfahrt aus. Derzeit liegt deren Wählerschaft nur noch bei gut 20 Prozent oder fünf Millionen Stimmen. Auf dem „Neuen Weg“ wurde vergessen, was Zapatero selbst am Abend des 9. März 2008 versprochen hatte: für all jene da zu sein, die „nicht von allem haben“. Für die Schwachen, Alten, Jungen und Frauen, die unter der Krise litten. Heute warten die meisten davon nicht mehr auf nette Sozialisten, die sich ihrer annehmen. Sie gehen lieber auf die Straße und fordern, dass ihre Rechte respektiert werden.
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