Ausdrücklich revisionistisch

Spanien-Wahl Die etablierte rechte Volkspartei PP verliert massiv Stimmen an die rechtsextreme Partei VOX, die unverhohlen die Franco-Diktatur zu beerben sucht
Santiago Abascal und seine rechtsextreme Partei VOX profitieren vom Schwächeln der Partido Popular (PP)
Santiago Abascal und seine rechtsextreme Partei VOX profitieren vom Schwächeln der Partido Popular (PP)

Foto: David Ramos/Getty Images

Die Parlamentswahl kann vor allem mit zwei markanten Ergebnissen aufwarten. Das erste ist der klare Sieg der Sozialisten unter Parteichef Pedro Sánchez. Mit knapp 29 Prozent und 7,5 Millionen Stimmen avanciert die Sozialistische Partei (PSOE) nicht nur zur stärksten Kraft inmitten einer zersplitterten Parteienlandschaft. Sie kann erneut eine Regierung bilden – sei es im Alleingang, sei es in einer Linkskoalition mit Podemos, die von baskischen Nationalisten und katalanischen Separatisten toleriert wird, sei es – doch das ist wenig wahrscheinlich – im Schulterschluss mit den Rechtsliberalen von Ciudadanos. Nach jahrelanger Krise ist der traditionsreiche PSOE zurück, um Spanien an die Seite Portugals zu stellen und ein „iberisches Modell“ zu etablieren, das Europas schrumpfender Sozialdemokratie wieder Lebenswillen einflößt.

Vorbild Andalusien

Das ist die eine positive und pro-europäische Konsequenz dieses Votums, wie sie in der liberalen Öffentlichkeit im In- und Ausland bestätigt wird. Gerade in den EU-Institutionen ist die Erleichterung mit Händen zu greifen, dass in Spanien (zumindest diesmal) jenes politische Erdbeben ausgeblieben ist, mit dem man ansonsten überall auf dem Kontinent rechnen muss, wenn das Volk an die Wahlurne tritt. Doch die Wiedergeburt der spanischen Sozialdemokratie hat jedoch auch einen wenig ermutigenden Grund. So erfreulich die auf knapp 76 Prozent gestiegene Wahlbeteiligung ist, so zeigt sie doch ebenfalls, dass sich die Wähler diesmal nicht nur für diese oder jene politische Option entschieden haben, sondern auch aus einem anderen Grund ihre Stimme abgaben. Sie wollten eine parlamentarische Mehrheit des neuartigen Dreier-Bündnisses aus den klassischen Konservativen des Partido Popular (PP), den Rechtsliberalen von Ciudadanos und den Rechtsextremisten der Partei VOX verhindern. Wäre es dazu gekommen, hätten die drei Parteien – genauso wie einige Monate zuvor in Andalusien – keinen Augenblick gezögert, miteinander zu regieren. Die Umfragen rückten eine solche Mehrheit in den Bereich des Möglichen, nun aber verharrt der rechte Block bei 149 von 350 Abgeordneten – ein beachtliches Ergebnis, aber auch nicht mehr.

Der Wahlkampf stand durchaus unter dem Eindruck des Aufmarsches der Rechtsaußen-Partei VOX. Ende 2013 von Kritikern der traditionellen Volkspartei PP gegründet, begann deren eigentlicher Höhenflug im Jahr 2017 auf dem Höhepunkt der Katalonien-Krise. Geschickt bündelte VOX um Parteichef Santiago Abascal (selbst ein ehemaliger PP-Politiker) die Ressentiments, wie sie gegenüber der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung im Land an Zugkraft gewannen, und hielt in pathetischen Tönen die Einheit der Nation hoch. VOX steht dabei nicht für irgendeinen Nationalismus, sondern für einen explizit revisionistischen, für eine „Liebe zu Spanien", die unverhohlen die Franco-Diktatur (1939-1975) zu beerben sucht. So bemüht Abascal in seinen Reden eine aggressive Bürgerkriegsrhetorik, mit der er VOX als Standarte der España viva, des „lebendigen Spaniens“, preist, das sich gegen Sozialisten, Linke, Separatisten, Feministinnen und Mainstream-Medien behaupten muss.

Underdogs gegen Eliten

Zudem ist VOX durch die Schule Marine Le Pens und Donald Trumps gegangen. Nicht nur die Linken werden attackiert, auch die alte Rechte wird ins Visier genommen. Es sei geboten – so Abascal und Konsorten – mit dem korrupten Politikestablishment aufzuräumen und die Bedürfnisse des spanischen Volkes in den Mittelpunkt zu stellen. Der Kampf der Underdogs gegen die Eliten taucht prompt auch bei VOX auf.

Das hat eine mächtige Gegenreaktion im linken Lager, aber ebenso im Baskenland und in Katalonien ausgelöst. Es ist kein Zufall, dass in Katalonien bei einer Wahl des spanischen Parlaments erstmals die Unabhängigkeitskräfte gesiegt haben. Andererseits hat VOX das rechte Lager durcheinander gewirbelt. Mit mehr als 2,6 Millionen Stimmen und 10,3 Prozent fällt der Einzug der Rechtspopulisten in den Kongress zwar schwächer aus als vielfach befürchtet. Doch ist es gerade in Spanien eine Blasphemie, dass eine solche Partei nun auf die Parlamentstribüne steigen kann. Zumal VOX nicht isoliert zu betrachten ist. Dieser Aufstieg ist der Abstieg der etablierten rechten Volkspartei PP, deren Wählerschaft sich halbiert hat: 2016 noch 33 Prozent; jetzt 16,7.

VOX steht bereit, von diesen Verlusten zu profitieren.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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