„Casa Nostra, Casa Vostra“ (Unser Haus, euer Haus) – unter diesem Motto bekundeten in Barcelona im Februar 2017 etwa 300.000 Demonstranten ihre Empörung gegenüber der Flüchtlingspolitik ihrer konservativen Zentralregierung. Die weigerte sich strikt, Geflüchtete aufzunehmen, und machte parallel die Enklaven von Ceuta und Melilla zur am stärksten befestigten Grenze Europas. Rufe wie „Kein Mensch ist illegal!“, „Wir möchten aufnehmen!“, „Genug der Ausreden!“ begleiteten dieses bislang größte Bekenntnis für die Aufnahme von Geflüchteten in Europa.
Für Barcelona en Comú, das seit Juni 2015 die katalanische Metropole regierende linksalternative Bündnis, war die Demonstration ein Beweis dafür, dass die Stadtregierung mit ihrer offensiven Linie in der Flüchtlingsfrage richtig liegt. Die Bürgermeisterin Ada Colau, für Spanien (und darüber hinaus) eine linke Hoffnungsfigur, äußerte jüngst ihren Willen, „Barcelona zur Hauptstadt der Hoffnung“ zu machen – da irrte das Seenotrettungsboot Aquarius gerade ohne europäischen Anlaufhafen durch das Mittelmeer. Colau verwies auf das Programm „Barcelona, Refuge City“, das mit Beginn ihres Amtsantrittes lanciert worden ist. Es soll die Stadt auf die Aufnahme von Geflüchteten vorbereiten, indem es mit Investitionen in Millionenhöhe Unterkunftsmöglichkeiten für diejenigen schafft, derer sich der spanische Staat nicht angenommen hat. Dafür soll die Hilfsbereitschaft aus der Zivilgesellschaft koordiniert werden. Gemeinsam mit Paris und Lesbos ruft Barcelona die EU-Regierungsspitzen zur Abkehr von ihrer restriktiven Linie auf.
Tatsächlich nahm Barcelona seit 2015 im Vergleich zu anderen spanischen Kommunen mit 11.600 Personen überproportional viele Geflüchtete auf, kurz- und längerfristig. Doch Laia Ortiz, Dezernentin von Barcelona en Comú für soziale Fragen, räumt im Gespräch ein: „Trotz unseres guten Willens in der Flüchtlingskrise können wir nicht so tun, als bestünden gewisse gesetzliche Rahmen nicht.“ Um der offenen Haltung Barcelonas Taten folgen zu lassen, müssten sich erst die Kräfteverhältnisse auf der nationalen und europäischen Ebene verschieben. Die eingeschränkten Spielräume der linken Kommunalregierung machen sich bereits vor der eigenen Haustür bemerkbar. Seit Jahren versucht Colau, das für marode Verhältnisse und polizeiliche Schikanen bekannte Abschiebegefängnis zu schließen. Bislang erfolglos.
Das Rathaus weiß dennoch einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich. Die spanische Gesellschaft empfing bis zur Jahrtausendwende kaum Immigranten. Zwar ist es heute zum Einwanderungsland geworden, aber die Erfahrungen der massenhaften Auswanderung von Spaniern nach Nordeuropa bleiben bis heute präsent. Auch innerhalb Spaniens gab und gibt es starke Migrationsbewegungen. Die etwa aus Südspanien nach Katalonien zugewanderten Bewohner Kataloniens und ihre Nachfahren betrachten sich oft selbst als Migranten, als „andalusische Katalanen“. Die Erfahrung des Fremdseins kennen in Spanien also viele aus erster Hand.
Gleichzeitig zeugt bereits die spanische Sprache in ihren Beschreibungen verschiedener Gruppen von „Fremden“ von Abgrenzung und Rassismus in mehr oder weniger großem Ausmaß: Seien es die „Charnegos“ (die südspanischen Arbeitsmigranten im Norden des Landes), die „Guiris“ (Nordeuropäer, die pauschal als Partytouristen abgestempelt werden) oder die als „Chinos“, „Paquis“, „Moros“ oder „Sudacas“ bezeichneten Arbeitsmigranten aus China, Pakistan, Afrika oder Südamerika. Auch die durch und durch einheimischen „Gitanos“ – der Begriff für spanische Roma ist zwar eine Selbstbezeichnung, wird aber, ähnlich wie im Deutschen, von Nicht-Roma beleidigend verwendet – erleiden Ausgrenzung und Rassismus.
So stellt sich auch in Barcelona die Frage, ob die von vielen gepriesene Vielfalt nicht eher ein bloßes „Nebeneinander-Leben“ darstellt und ob sich dieses für die „Fremden“ tatsächlich so leicht gestaltet, wie es die anerkannten Einheimischen gern darstellen. Die in Barcelona ansässige Organisation SOS Racisme Catalunya beklagt in ihren Kampagnen vielfältige alltägliche wie institutionelle Diskriminierungen von Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihres Aufenthaltsstatus. Die Betroffenen berichten dabei übrigens häufig auf Katalanisch.
Fremd sein heißt, entwurzelt zu sein und zu bleiben, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nie ganz zu überwinden, ohne aber weiter zu ziehen. So zumindest versteht es der Soziologe Georg Simmel. Für ihn ist der Fremde zwar bereits zum Teil eines Kollektivs geworden, aber niemals richtig in ihm aufgenommen. „Der Fremde ist der, der heute kommt und morgen bleibt“, so Simmels Formel. Vielleicht kann die Stadt, die Kommune einen Ort bieten, an dem diese Fremdheit überwunden wird. In ihr wird das Nebeneinanderher- oder Zusammenleben jenseits abstrakter Nationen oder Wertegemeinschaften unmittelbar erfahrbar, können sich Zugewanderte leichter ins politische und kulturelle Leben einbringen. Beispiele hierfür gibt es auch in Deutschland, teils seit Jahrzehnten. Die Kommune als Symbol des Miteinanders statt des Gegeneinanders, als Mittelpunkt einer unaufgeregten Integration: Es wäre nicht das schlechteste Signal, das Barcelona nach Europa senden könnte, um die Abschottungspolitik zumindest mit dem Ansatz eines politischen Gegenentwurfs zu konfrontieren.
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