Zum vierten Mal in vier Jahren wurde Spanien an die Urne gebeten. Was der Politik seit der Wahl im April nicht gelungen war – nämlich eine Regierung zu bilden –, sollten jetzt die Bürgerinnen und Bürger schaffen. Sie sollten für klare Mehrheitsverhältnisse sorgen, gar einen klaren Regierungsauftrag erteilen, so zumindest das Kalkül der großen Parteien. Dieses Kalkül ging nicht auf. Wenn diese Generalwahl eines erteilte, dann den endgültigen Todesschein für den politischen Zyklus, der 2015 begann. Damals zogen zwei neue Parteien, die linke Podemos (20 Prozent) und die rechtsliberale Ciudadanos (14 Prozent), mit Wucht in den spanischen Congreso ein. Ihre Versprechen hat diese Politik nicht gehalten, sie ist im Zeitraffer gealtert.
iudadanos (14 Prozent), mit Wucht in den spanischen Congreso ein. Ihre Versprechen hat diese Politik nicht gehalten, sie ist im Zeitraffer gealtert. Ciudadanos ereilte gar ein historisches Wahldebakel: Mit 6,8 Prozent (10 Sitze) stehen die Liberalen nun vor dem Aus, ihr Chef Albert Rivera ist zurückgetreten. Podemos hält sich zwar besser, von der einstmaligen Möchtegern-Linke-Volkspartei ist sie indessen aber mit nur mehr 12,8 Prozent (35 Sitze) zur herkömmlichen Linksparteigröße geschrumpft. Viel Grund zu feiern hat auch der neue, alte Sieger nicht: Präsident Pedro Sánchez und sein sozialistischer PSOE. Mit 28 Prozent (120 Sitze) hält der PSOE zwar seine Position von April, baut sie aber – anders als von seinen Strategen geplant – auch nicht aus. Die Kräfteverhältnisse im neuen Parlament sind (noch) komplexer geworden. Spaniens Politik tritt unentrinnbar in eine neue Zeit. Härter wird sie vermutlich, rauer allemal.Dafür sorgen wird ein anderswo nur zu bekanntes Phänomen: der Populismus von Rechtsaußen. VOX, eine ultrarechte Partei, angeführt von Franco-Nostalgikern, die sich nach einer modernen Reconquista gegen Separatisten, Linken und Feministinnen sehnen, den Ausnahmezustand in Katalonien und die Rezentralisierung Spaniens wollen – während sie, etwas kleinlauter, den Spitzensteuersatz von derzeit 45 auf 30 Prozent zu senken gedenken –, diese Kraft jubelt heute zurecht. VOX klettert auf 15 Prozent und verdoppelt so mit 52 Sitzen ihre Repräsentation gegenüber der April-Wahl. Vor allem sollte demokratisch Gesinnte sorgen, dass die Ultrarechte fast überall im Land Wurzeln schlägt: in den Nobelvierteln der Metropolen genauso wie in ihren Industriegürteln oder – besonders – den ländlichen Regionen Zentral- und Südspaniens. Wer meint, der Aufstieg sei „nur“ eine Gegenreaktion auf den katalanischen Separatismus – und das Gerichtsurteil gegen die Unabhängigkeitspolitiker vom 14. Oktober –, sagt nur die halbe Wahrheit. Der rechte Aufschwung erklärt sich zudem einerseits durch die Ressentiments gegen ein politische Establishment, das schon zu lange um sich selbst kreist, während es die handfesten Alltagssorgen der Menschen vergisst – ein Viertel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze. Andererseits reaktiviert VOX das, was in Spanien als soziologischer Franquismus gilt: die Nostalgie gegenüber dem autoritären Regime Francos (1939-1975) mit seiner eiserner Regierungshand und seinen Ordnungsversprechen für die angepassten Mittelklassen.„Oder wir versinken alle in der Scheiße“Jahrelang war dieser Franquismus, der einfach nicht sterben möchte, gleichsam bei der konservativen Volkspartei PP aufgehoben und – so gut es eben ging – eingehegt. Jetzt ist er wieder vogelfrei. Dass VOX-Anhänger in der Wahlnacht ihren Anführer Santiago Abascal mit A por ellos! (Auf sie!) bejubelten, lässt sich nicht nur als Drohung an alle Andersdenkenden lesen, sondern auch als Warnung an die schwankenden Konservativen. Diese verbesserten sich zwar auf 20,8 Prozent (88 Sitze), bewegen sich aber weiter auf historischem Tiefstand. Die Wählerschaft möchte den plötzlichen Schwenk des PP-Chefs Pablo Casado – an sich ein rechter Falke – zur Mitte nicht recht mitmachen. Zum Anführer einer rechten Koalition jedenfalls – wie sie PP, Ciudadanos und VOX bereits in Madrid oder Andalusien bilden – wird sich Casado bis auf Weiteres nicht erhoben sehen. Aber welche Regierung ist in Spanien nun überhaupt möglich? Es bestehen zwei Alternativen. Die erste wäre quasi der deutsche Weg – eine große Koalition zwischen Sozialisten und Konservativen. In einem zersplitterten Parlament – wie seit 1978 nicht mehr – könne nur der Pakt der beiden tradierten Volksparteien PP und PSOE gegen Separatismus und der sich ankündigenden Wirtschaftsflaute für Stabilität sorgen, so viele Stimmen aus den Medien. Brüssel sähe diese Großkoalition gerne, die alten Streithähne PP und PSOE würde sie jedoch viel Überwindung kosten. Der andere Weg war schon im April möglich, er ist unsicherer und bedarf weitaus mehr Courage: eine linke Regierung der Sozialisten mit Podemos, unterstützt durch linke und liberale Parteien aus der „Peripherie“ – vom Baskenland über Kantabrien und Teruel bis hin zu Katalonien. Ausgerechnet bei Katalonien liegt – wieder einmal – der Haken. Die linksliberale ERC, die Wahlsiegerin in Katalonien, müsste sich mit ihren 13 Sitzen gegenüber diesem linken Bündnis enthalten – und es so tolerieren. Ob es gelingt? Die Widerstände sind groß, in Madrid wie in Barcelona fürchtet man, als Vaterlandsverräter dazustehen. Doch vielleicht ist nun auch die Zeit gekommen, da man sich endlich darüber hinwegsetzen sollte. Jenseits der Gräben, die Spanien paralysiert halten, dürfte es kaum ungemütlicher sein, als es heute diesseits von ihnen ist. Ada Colau, Barcelonas linke Bürgermeisterin, sprach das mit drastischen Worten aus: „Entweder die Linke schmiedet ein breites Bündnis, oder wir versinken alle in der Scheiße.“