Ende eines linken Experiments

Spanien Bei den Kommunalwahlen hat die Linke viele Metropolen wieder verloren. Das abrupte Ende dieser „Ciudades del Cambio“ muss allen Beteiligten zu denken geben
„Wir haben gezeigt, dass eine andere Regierung möglich war“, so Barcelonas scheidende Bürgermeisterin, Ada Colau. Ihr letztes Wort dürfte noch nicht gesprochen sein
„Wir haben gezeigt, dass eine andere Regierung möglich war“, so Barcelonas scheidende Bürgermeisterin, Ada Colau. Ihr letztes Wort dürfte noch nicht gesprochen sein

Foto: Josep Lago/AFP/Getty Images

Bei den Kommunalwahlen vom 26. Mai verlor Spaniens Linke fast alle Metropolen, als Ciudades del cambio (Städte des Wandels) bekannt, die sie vor vier Jahren überraschend erobert hatte. Darunter Madrid und Barcelona, die mit zwei charismatischen Bürgermeisterinnen, Manuela Carmena und Ada Colau, zeitweilig international zum Vorbild dafür avanciert waren, wie im 21. Jahrhundert eine linke Regierungspraxis, links der tradierten Sozialdemokratie, aussehen könnte. Am 26. Mai konnten sich weder Carmena (31 Prozent), noch Colau (20,7 Prozent) an der Spitze der Rathäuser behaupten. Madrid fällt an eine rechte Dreierkoalition von Konservativen, Rechtsliberalen und Rechtspopulisten, Barcelona wird von der sozialdemokratischen Unabhängigkeitspartei ERC (21,3 Prozent) regiert, vielleicht mit Colaus Plattform als Juniorpartner.

Hier wie dort entschieden enge Margen über Sieg oder Niederlage. Eine nur wenig höhere Mobilisierung linker Stammwählerinnen hätte in Madrid wie Barcelona das Blatt gewendet. In eher konservativen, wohlhabenden Quartieren ging die Beteiligung nach oben, in eher linken Arbeiterquartieren stagnierte sie.

Dass es so kam, war kein Zufall. Die Strategie des sozialistischen Präsidenten Pedro Sánchez, die Parlamentswahlen vom 28. April an die Regional-, Kommunal- und Europawahlen zu koppeln, zeigte widersprüchliche Folgen. Zwar haben sich in beiden Wahlgängen die Sozialisten klar als stärkste Kraft durchgesetzt. Zugleich aber hat der linke Sieg bei den Parlamentswahlen die rechte Wählerschaft aufgerüttelt. Besonders in Madrid stand der Wahlkampf – genauso wie die Parlamentswahlen im April – im Zeichen der Konfrontation zweier Blöcke, links gegen rechts. Das brachte Bürgermeisterin Carmena mehr Schaden als Nutzen. Sie hatte auf Integration statt Konfrontation gesetzt, im Wahlkampf mit ihrer „guten Verwaltung“ zugunsten einer „progressiven und offenen“ Hauptstadt geworben und die ideologische Polarisierung eher gemieden. Ähnliches gilt für Colau in Barcelona, die dazu unter die Räder der Unabhängigkeitsfrage kam. Die ehemalige Aktivistin für das Recht auf Wohnen hat das Amt verloren – nur 5.000 Stimmen fehlten auf Ernest Maragall (Bruder des langjährigen Barcelona-Bürgermeisters Pascual Maragall) von der Unabhängigkeitspartei ERC.

Nach vier Jahren bleibt es bei Ansätzen zur Veränderung

Neben der ungünstigen Konjunktur birgt die Abwahl von Carmena und Colau interne Gründe. Beide mussten von Anbeginn ein teils sehr ambitioniertes Programm mit Minderheitsregierungen verteidigen. Phasenweise wurden sie für ihre Vorstöße bei der Tourismuseindämmung, der Verkehrspolitik oder der Stadtplanung allseits angegriffen – oftmals auch von links. Den einen (Opposition, Medien, Wirtschaftslobbys) gingen Carmenas und Colaus Initiativen viel zu weit, den anderen nicht weit genug. Zuweilen hing das mit dem Unvermögen der Bürgermeisterinnen zusammen, geschickter Bündnisse zu schmieden, eine stabile soziale Basis für ihre Regierungsarbeit zu schaffen. Den linken Rathäusern hätten ruhigere Jahre gutgetan. Die Verkehrswende, nachhaltige Tourismusmodelle oder innovative Mitbestimmungsprogramme lassen sich nicht über Nacht verwirklichen. Nach acht Jahren Colau- und Carmena-Regierung wären Madrid und Barcelona zu anderen Städten geworden. Nach vier bleibt es bei Ansätzen – gerade in Madrid wird die rechte Dreier-Koalition diese zunichte machen.

Allen Beteiligten am linken Experiment Ciudades del cambio sollte dessen abruptes Ende zu denken geben. Protestakteure und Bewegungslinke sollten reflektieren, ob sich nächstes Mal (sollte es ein solches geben) das Verhältnis zwischen „Straße und Institutionen“ nicht fruchtbarer gestalten ließe. Und die Linkspartei Podemos, gleichsam das Mutterschiff der Plattformen Colaus und Carmenas – trotz der Zerwürfnisse mit letzterer –, müsste sich fragen: Welche Verantwortung trägt Podemos beim Debakel? Wie stark haben die ständigen internen Querelen und die Zentrierung auf Parteichef Pablo Iglesias das Wählervertrauen erodiert? Klar scheint, dass Podemos in sich zusammensackt und Colau wie Carmena mit sich gezogen hat. Für die 75-jährige Carmena heißt es das Ende ihrer politischen Karriere, die 45-jährige Colau dürfte ihr letztes Wort noch nicht gesprochen haben.

Die Lage der spanischen Linken ist heute düster. Ihre Rathäuser sind auf halbem Wege gefallen. „Wir haben gezeigt, dass eine andere Regierung möglich war“ – dieser beliebte Slogan Ada Colaus bleibt ein Versprechen.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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