Gespalten nach rechts

Katalonien Die Separatisten haben sich bei den Wahlen gegen ihre Gegner durchgesetzt. Der Konflikt mit Madrid hat jedoch vor allem Nationalisten auf beiden Seiten beflügelt
Katalonien blickt in eine ungewisse Zukunft
Katalonien blickt in eine ungewisse Zukunft

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Am Ende der Wahlnacht verkündeten zwei Lager ihren Sieg. Die Separatisten konnten stolz darauf sein, trotz aller Widrigkeiten ihre Parlamentsmehrheit (70 von 135 Sitzen) zu verteidigen, sich gegen den antiseparatistischen Block (56 Sitze) klar durchzusetzen und ihre Kernwählerschaft (zwei Millionen Stimmen) zu halten. Den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen nach wurden die Antiseparatisten geschlagen. Dennoch rühmten diese sich, dass nun erstmals eine explizit antikatalanistische Kraft, die rechtsliberale Partei Ciutadans, in einer Regionalwahl zur stärksten Partei (25 Prozent und 37 Sitze) aufgestiegen war – und sich in den zehn größten katalanischen Städten durchgesetzt hatte. War beider Jubel berechtigt? Wohin weisen die Ergebnisse? Aus der Konfliktspirale hinaus, oder tiefer in sie hinein?

Die Wahl nach einer kurzen, kaum zweijährigen Legislatur galt allen Beteiligten, Parteien wie Wählern, als Plebiszit. Eine Kampfabstimmung mit einer Rekordbeteiligung von 82 Prozent fand statt, für oder gegen das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober, das vom Zentralstaat eisern niedergeknüppelt wurde, für oder gegen die unilaterale Unabhängigkeitserklärung des Parlament de Catalunya vom 27. Oktober, für oder gegen die Machtübernahme Madrids in Katalonien unter Anwendung des Verfassungsartikels 155 samt Entmachtung der Regionalregierung – ein Teil inhaftiert, der andere nach Brüssel geflohen. Die nationale Konfliktachse verdrängte alles andere. Wirtschafts- und sozialpolitische Fragen wurden im Wahlkampf höchstens gestreift. Soziale Gerechtigkeit und Umverteilung blieben substanzlose Floskeln in Reden, die sich um angeblich Größeres drehten: die Nation, die katalanische wie die spanische.

Es war eine Kampagne der Fahnen. Die erste Schlussfolgerung der Wahl lautet denn auch: Die nationale Polarisierung hat sich diesmal endgültig durchgesetzt – und verschlingt jene, die sich nicht in sie einreihen. So erging es den Linken von Catalunya en Comú–Podem, die sich nicht zwischen Separatismus und Antiseparatismus entscheiden wollten. Ihr Ergebnis (7,5 Prozent) kann als Schiffbruch gelten. Der polarisierte Wahlkampf, aber auch das oft übervorsichtige Auftreten ohne Mut zur klaren Position haben sich gerächt. Auch die katalanischen Sozialisten, die sich zwar zur Einheit Spaniens bekennen aber ausdrücklich einen versöhnlichen Kurs verfolgten, konnten zwar Zugewinne verzeichnen, sich gegenüber den radikal antiseparatistischen Ciutadans jedoch nicht durchsetzen. Sie wurden lediglich viertstärkste Kraft. Die Hoffnung auf eine lagerübergreifende Linksregierung hat sich zerschlagen.

Auch für die beiden kleinsten Kräfte im neuen Parlament bedeutet das Ergebnis einen heftigen Rückschlag. Zunächst für die linksradikale Partei CUP (Candidatura d’Unitat Popular). Mit ihren zehn Abgeordneten war die CUP in der vergangenen Legislatur der entscheidende Mehrheitsbeschaffer der Regionalregierung – und zwang ihr immer wieder den Kurs des Ungehorsams auf. Womöglich trieben es die Antikapitalisten damit zu weit. Die Botschaft der separatistischen Wähler könnte lauten: Unabhängigkeitskurs ja, aber vorsichtiger, nicht von unten angetrieben, sondern von oben, gelenkt durch die traditionelle katalanische Führungselite.

Am allerheftigsten trifft es die konservative Partei Partido Popular (PP) von Premier Mariano Rajoy. Der PP ist in Katalonien, das mit siebeneinhalb Millionen Einwohnern ein Fünftel von Spaniens Bevölkerung stellt, mit vier Prozent und drei Abgeordneten beinahe verschwunden. Der harte Kurs von Rajoy gegen Katalonien wurde auch von jenen Katalanen, die sich gegen die Unabhängigkeit positionieren, abgelehnt. Für die antiseparatistische Wählerschaft war die Wahl der Partei Ciutadans, die für viele noch unter dem Label einer „neuen Politik“ läuft, sowie ihrer jungen Kandidatin Inés Arrimadas mit ihren andalusischen Wurzeln attraktiver. Der PP mit seinen zahlreichen Korruptionsskandalen und dem rechtslastigen Kandidaten Albiol brach zusammen. Jetzt muss sich die Madrider Exekutive fragen: Was tun? Wie weiter nach ihrem und nachdem die Separatisten ihre Mehrheit verteidigt haben? Vielleicht doch den Knüppel fallen lassen und sich an den Verhandlungstisch setzen?

Der Gegenpart von Rajoy in Madrid wird, und das ist eine der großen Überraschungen dieser Wahl, wahrscheinlich die alte Regionalregierung von Carles Puigdemont sein – soweit die spanische Justiz dies zulässt. Puigdemont ist es aus seinem Brüsseler Exil gelungen, mit Junts per Catalunya (JxCat) ein schlagkräftiges konservatives Bündnis aufzustellen, das sich entgegen aller Erwartungen innerhalb des Unabhängigkeitslagers gegen die sozialliberale ERC durchsetzen konnte (JxCat = 34 Abgeordnete, ERC = 32). Puigdemont und JxCat ist die Neuerfindung des konservativen katalanischen Nationalismus geglückt. Die neue Plattform machte die Korruptionsaffären der Vorgängerpartei vergessen, Puigdemonts erhielt sich in Brüssel (anders als der inhaftierte ERC-Chef Junqueras) die Fähigkeit, öffentlich wirksam zu bleiben. Welchen Einfluss auf das Ergebnis barg die wachsende Europaskepsis Puigdemonts und sein Nationalismus, der sich gar nicht mehr darum bemüht, jene (große) Teile der Bürgerschaft anzusprechen, die das Unabhängigkeitsprojekt ablehnen? Jedenfalls ist dieser für die zukünftige Regierung keine gute Voraussetzung, um Bevölkerungsgruppen, die sich voneinander entfremden, wieder aneinander anzunähern.

Katalonien ist traditionell links, die Region hat immer wieder mächtige soziale Bewegungen und starke linke Parteien hervorgebracht. Aber bei dieser Wahl haben Rechte gesiegt. Die kommende Regierungskoalition wird von Konservativen angeführt, ihr abermaliger Unabhängigkeitskurs ähnlich wie zuvor ausfallen. Demgegenüber ist die rechte Ciutadans zur größten Oppositionskraft geworden. Die Partei von Arrimadas, ultranational und wirtschaftsliberal, kann nun zum Sprachrohr der Arbeitermilieus in den Ballungsräumen aufsteigen – wurde sie doch massiv von diesen unterstützt. Das Ergebnis als Rechtsruck in Katalonien zu bezeichnen, wäre übertrieben. Ein Eindruck aber bleibt: Der nationale Konflikt, er lässt sich eher von rechts denn von links politisch vereinnahmen. Wo Linke den Nationalismus entweder abwehren oder aus ihn mehr machen möchten – ob Neugründung von unten oder Ungehorsam en masse – als viele gewillt sind, reicht den Rechten die Kollision der Fahnen. Mit letzterem geht es nun weiter.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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