Eres populista? Bist du Populist? Dies war in den vergangenen Jahren eine häufige provokative Frage in der spanischen Linken. Als Populist galt, wer statt vom Kampf der Arbeiterklasse von der Ermächtigung „del pueblo“ (des Volkes) sprach, wer weniger auf soziale Mobilisierungen auf „der Straße“ als auf Wahlkämpfe und Parteiprogramme setzte, wer sich eher die Übernahme der Regierungsmacht als den Aufbau sozialer Gegenmacht wünschte. Kurz: Populist war, wer für die Linkspartei Podemos warb, um die Verhältnisse zu ändern.
Der intellektuelle Ziehvater von Podemos’ unkonventioneller, „populistischer“ Strategie, die zur klassischen Linken stets auf Distanz ging, hat ein unschuldiges Bubengesicht und gute Manieren: Íñigo Errejón. Der 35-jährige Politologe bildete lange mit Parteichef Pablo Iglesias das Führungstandem einer Partei, die Anfang 2014 gegründet wurde und binnen kürzester Zeit in der Lage schien, Spaniens Regierung zu übernehmen. Errejón bestimmte den strategischen Kurs von Podemos, Iglesias stand dafür in der Öffentlichkeit stramm. Bis vor zwei Jahren, als es beim zweiten Podemos-Parteitag zum Bruch zwischen den beiden alten Freunden kam. Iglesias wollte Podemos wieder zurück auf die Straße führen, die Partei stärker in sozialen Bewegungen und Kämpfen verankern. Errejón befürwortete eine eher pragmatische Linie, die auf Parlamentsarbeit und Pakte mit den Sozialisten setzte. Den Iglesias-Errejón-Streit zeichnete aus, dass es immer auch (oder gerade) um organische Macht ging: darum, mit den eigenen Leuten die Partei-Schaltstellen zu besetzen oder die Wahllisten zu füllen. Der Kampf zwischen „Errejónistas“ und „Pablistas“ bescheinigte, wie schlecht es um die Demokratie in einer Partei stand, die sich anschickte, Spaniens Politik zu demokratisieren. Die „neue Politik“, die Podemos verkörpern wollte, alterte vorschnell.
Ein gewagter Zug
Iglesias gewann, Errejón unterlag. Ersterer hatte seine Rolle als unumstrittene Parteispitze zementiert, Letzterer war nach seiner Niederlage, quasi als Trostpflaster, zum Kandidaten für die Region Madrid auserkoren worden. Doch dann, am 17. Januar, just zum 5. Jahrestag der Parteigründung, machte Errejón mit einem gewagten Zug von sich reden. Er erklärte, gemeinsam mit der linken Bürgermeisterin Madrids, der parteilosen (aber von Podemos unterstützten) Manuela Carmena, in der Region Madrid ein neues Bündnis gründen und anführen zu wollen: Más Madrid (Mehr Madrid). Damit wolle er bei den Bürgern „Hoffnung und Vertrauen erneuern“ und ein „offenes, bürgernahes“ Projekt entwerfen.
Der Zug überraschte allseits. Errejón informierte Iglesias nur fünf Minuten vor der öffentlichen Bekanntgabe des neuen Bündnisses. Die Podemos-Führung reagierte erzürnt und forderte den sofortigen Parteiaustritt von Errejón. Dieser hat zwar seinen Parlamentssitz abgegeben, bleibt aber (noch) Podemos-Mitglied.
Die Motive für die Gründung einer neuen linken Plattform, die vielleicht gar mit Podemos konkurrieren könnte, sind vielfältig. Zunächst wäre da die treffende Lesart der politischen Konjunktur. Wie Podemos vor fünf Jahren, aber aus einer ganz anderen politischen Ecke kommend, erlebt die rechtspopulistische Partei VOX derzeit einen Höhenflug. Sie wettert gegen Separatisten wie Migranten und schreibt sich die Einheit der Nation auf die Fahnen. Dass sich davon gerade Nichtwähler angesprochen fühlen, müsste Podemos genauso zu denken geben wie die eigenen sinkenden Unterstützungsraten. Tut es aber nicht.
Errejón hingegen packt mit Más Madrid den Stier bei den Hörnern. Er möchte eine querschnittartige Plattform lancieren, die soziale Rechte, Korruptionskritik und eine bessere demokratischere Verwaltung in den Vordergrund stellt. Er will damit zum Anfangsgeist von Podemos zurück, zu mehr Populismus und weniger linkem Moralismus. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob dieses Vorhaben die rechte Wende wird aufhalten können. Doch Kritiker wie Unterstützer Errejóns – und beide melden sich dieser Tage lautstark in der spanischen Presse zu Wort – sind sich in einem einig: Irgendetwas musste vor den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai 2019 bei Podemos oder im Spektrum links der Mitte geschehen, um das Blatt zu wenden. Errejón ging als Erster in die Offensive.
Dass hierbei auch sein persönlicher Vergeltungswille gegen Podemos (und Iglesias) schwer gewogen hat, lässt sich kaum verbergen. Kurzfristig wird Más Madrid der Linken eher schaden als nutzen, es legt ihre Zerstrittenheit ganz offen – und dies zum denkbar schlechten Augenblick, da die Rechte geschlossen wie lange nicht auftritt. Langfristig dürfte Errejóns Zug Podemos vor die Zerreißprobe stellen. Wenn das, wofür die Partei einst stand, nur noch anderswo verwirklichbar scheint, stellt sich die Frage: Was und wen repräsentiert Podemos noch? Fest steht: Die Empörten und Benachteiligten suchen schon jetzt nach ganz anderen politischen Ausdrucksmöglichkeiten.
Kommentare 3
Danke sehr für den sehr erhellenden Beitrag über das Innenleben von Podemos.
Der Bruch kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, in dem Ministerpräsident Pedro Sanchez jede Stimme für eine parlamentarische Mehrheit für seinen Haushalt, für eine kluge Katalonienpolitik für die Bewältigung der Folgen des nahenden Brexit und vielleicht sogar für eine Vermittlerrolle in Venezuela benötigt. Stattdessen wird das rechts-konservative Lager immer stärker. Ihre Beschreibung von "Mas Madrid" klingt für mich so, dass da ein Bündnispartner für die Ciudadanos heranwächst.
Danke für die Informationen !
Ich bin mit der Frontenzeichnung im Artikel nicht so ganz einverstanden. Meiner Meinung nach liegt NICHT so eindeutig auf der Hand, wer in diesem Bruderstreit der »Schuldige« ist. Wenn Iglésias die Linie vertritt, Podemos müsse mehr Bezug nehmen auf außerparlamentarische Initiativen und sich stärker in Stadtteilen, Betrieben usw. verankern, dann ist das doch gut und nicht schlecht. Umgekehrt ist schwer nachvollziehbar, warum ausgerechnet ein Bündnis mit den Sozialisten (inklusive Fokussierung auf den parlamentarischen Betrieb) der bessere Weg sein soll – zudem noch derjenige, dem das Etikett »(Links)Populismus« eher zusteht als der anderen Variante.
Mir scheint eher, dass das Gegenteil der Fall ist. Und Iglesias mit seiner Linie der Basisaktivierung der wahre »Populist« ist – anders als Errejón, der sich schwerpunktmäßig auf die parlamentarische Arbeit konzentrieren und aus den Basiskämpfen offensichtlich verabschieden will. Summa summarum scheint hier eher ein Konflikt der Marke »Realos vs. Fundis« vorzuliegen – ein Teil der Partei sucht den Kuschelkurs hin zur Mitte, mit allem Drum und Dran. Das Ganze noch geknüpft an die Frage mangelnder innerparteilicher Demokratie macht die Verwirrung komplett. Nachzuweisen wäre in dem Zusammenhang erst einmal, dass die Errejón-Richtung »demokratischer« wäre bzw. für mehr innerparteiliche Transparenz einstehen würde – wofür der Artikel keinerlei Anhaltspunkt bietet. Und selbst wenn: Selbst demokratisch abgesegnete Sch**** bleibt immer noch Sch****.
In Bezug auf den Artikel lässt sich nur ein Fazit ziehen: Der wahre Linkspopulist ist Iglesias. Errejón hingegen ist vielleicht ein Sozialdemokrat. Ein Linkspopulist ist er sicher nicht.