Für die Podemos-Führung stand bisher außer Frage: Macht führt zum Verrat eigener Ideale und zur Einbindung in ein System, das überwunden werden soll. So hatten deren Abgeordnete in den vergangenen Monaten dafür gesorgt, dass Pedro Sánchez, Chef des sozialistischen PSOE, im Parlament nicht zum neuen Premier gewählt werden konnte. Podemos verweigerte sich, weil Sánchez seine Partei in eine Regierung mit den rechtsliberalen Ciudadanos führen wollte. Nun steht fest, dass es Neuwahlen spätestens bis zum 26. Juni geben muss. Das postfranquistische Spanien hat damit nach den Dezemberwahlen eine Legislaturperiode von lediglich 122 Tagen erlebt, die mit Abstand kürzeste seit dem Ende der Diktatur 1976.
Vor den Neuwahlen steht zumindest schon soviel fest – Podemos bleibt eine aufstrebende Partei. Entpuppt sich ihr Linkspopulismus gar als Königsweg, der auch anderswo fruchten könnte? Der Kurs von Parteichef Pablo Iglesias hält sich nicht an ideologische Gewissheiten, aber er liefert Anhaltspunkte dafür, warum eine Kraft, die kaum zwei Jahre alt ist, bei den Wahlen vom Dezember auf Anhieb 20 Prozent erhielt.
Catch-all-Party
Podemos entstand Anfang 2014 als Ertrag einer strategischen Analyse. Die Impulsgeber der Partei – der Madrider Kreis um Iglesias, Íñigo Errejón, Carolina Bescansa und Juan Carlos Monedero – erkannten, dass sich Spanien spätestens seit Mitte 2011, seit dem Ausbruch der Proteste der Indignados (Empörten), nicht nur in einer ökonomischen, sondern umfassenden Gesellschaftskrise wiederfand, die auch das Zwei-Parteien-System erfasste. Podemos erschien, um die Krisenkonjunktur zu nutzen und eine weitverbreitete Empörung als Partei zu artikulieren. Dafür wurde auf etwas verzichtet, was Linke oft für unverzichtbar halten – eine in Stein gemeißelte Ideologie.
Skeptische Stimmen deuten dies bis heute als Opportunismus. Die Partei setze gezielt auf ein schwammiges Profil, um zur Catch-all-Party des Protestes zu werden. Die Antwort von Podemos war: So ist es! Wir bieten breite Identifikationsflächen an, um zur Partei der Underdogs, ja zur Partei der krisengebeutelten Bevölkerungsmehrheit zu werden. Es wurde die populistische Kernbotschaft der Indignados aufgegriffen: „Es ist keine Frage von links gegen rechts, sondern von unten gegen oben“ – dieses Credo wurde für Podemos zum Markenzeichen. Als Kampfbegriffe gegen die Eliten wurden „Kaste“ und „Regime von 1978“ (dem Jahr der Verfassungsgebung) prominent. Man setzte nicht aus taktischen Gründen, sondern strategisch auf einen linken Populismus, wie ihn der Postmarxist Ernesto Laclau (1942–2015) geprägt hat.
Nach Laclau ist das Volk a priori unbestimmt, es lässt sich von rechts, aber auch von links besetzen. Es kann für eine moderne Linke das Gleiche sein wie das Proletariat für den Marxismus. Zu diesem Volk kann jede und jeder gehören: der perspektivlose Student, die Aktivistin gegen Zwangsräumungen, der illegale Migrant, der Langzeitarbeitslose oder die Ärztin, die unter Austeritätsdruck steht. Auf eine Formel verdichtet, lautet der Ehrgeiz von Podemos: „Die von unten“ sind die Hauptdarsteller unseres linken Transformationsprojekts und werden sich dadurch emanzipieren.
Doch war die Anrufung des Volkes nicht der einzige Tabubruch. Entgegen linken Ängsten vor Führungsfiguren wurde offensiv die „Marke“ Iglesias etabliert. Ob in Fernsehdebatten, Wahlkampfreden oder Facebookeinträgen avancierte dieser Frontmann zum allgegenwärtigen Enfant terrible des Establishments. Das Exempel der Personalisierung machte Schule, wie Manuela Carmena und Ada Colau, die Podemos-Bürgermeisterinnen von Madrid und Barcelona, zeigen. Linke Politik und charismatische Führungsfiguren wurden zur potenziellen Erfolgsgarantie.
Dirty business
Podemos scheut auch vor einer weiteren ungeliebten Kategorie der Linken nicht zurück, der aktiven Inanspruchnahme der Nation. Man vertritt einen unaufgeregten Patriotismus, der darauf zielt, den Flaggen-Nationalismus der Konservativen zu delegitimieren. „Wir sind die wahren Patrioten. Unser Vaterland sind die Leute“, so Parteistratege Íñigo Errejón. Patriotismus heiße, auf der Seite der einfachen Leute zu stehen, gegen Sparpolitik und für Sozialstaatlichkeit. Podemos gehört zu den wenigen zentralspanischen Kräften, die klar sagen, Spanien ist eine Nation der Nationen, denen das Selbstbestimmungsrecht der Völker zusteht. Das ist kein zufälliges Plädoyer, finden sich Hochburgen von Podemos doch in Galizien, im Baskenland, in Aragón und Katalonien wie auf den Balearen.
„Der linke Doktrinarismus versteift sich darauf, bestimmte alte Formen unbedingt abzulehnen, weil er nicht sieht, dass der neue Inhalt sich durch alle nur denkbaren Formen Bahn bricht“, Lenins Erkenntnis in seiner Schrift Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920) erklärt Podemos zum Leitmotiv, folgt einem organischen Politikverständnis und sagt: Das Politische durchzieht alle Gesellschaftsbezirke – die Straße und sozialen Bewegungen, die Medien, Parlamente und Staatsapparate. Diese Ebenen wurden viel zu lange preisgegeben, weil sich die Linke in der eigenen Randständigkeit eingerichtet hatte, als subkulturelle Enklave oder selbstzufriedene Fünf-Prozent-Partei. Deren kritische Stimme irritierte zuweilen, wirklich Einfluss nahm sie nicht.
Podemos bricht mit diesem Trägheitsgesetz. Von Anfang an lancierte die Partei eine „diskursive Blitzstrategie“, die jede Chance nutzt, um in öffentliche Debatten einzudringen und den politischen Common Sense zu verschieben. Es hagelt Kritik in Talkshows und in der Presse, in Rathäusern und Parlamenten. Natürlich bleibt solches Engagement nicht folgenlos. Für die Partei stand fest, auf diesem rauen Boden lassen sich Ideale nicht rein halten. Auch im Erfolgsfall macht man sich schmutzig. In der Realpolitik winkt jedem linken Projekt die Gratwanderung zwischen normativem Anspruch und Bodenhaftung. Doch zeichnet die Treue zu Kernforderungen Podemos weiter aus, wie sich das auch in jüngsten Verhandlungen mit der PSOE gezeigt hat: sozialer Notfallplan, Grundeinkommen, Ausbau des Sozialstaates, das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens, die Erneuerung der Demokratie, eine neue Verfassung. Das ergibt keine Revolution, aber eine radikale Kehrtwende.
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