Rückkehr des Verfemten

Spanien Mit dem neuen alten Vorsitzenden Pedro Sánchez steht der Burgfrieden zwischen der Partei der Sozialisten und konservativer Regierung vor dem Aus
Ausgabe 24/2017
Pedro Sánchez gibt sich als linker Underdog
Pedro Sánchez gibt sich als linker Underdog

Foto: Christina Quicler/AFP/Getty Images

Wider Erwarten hat sich bei den Sozialisten die Basis gegen die faktisch Mächtigen durchgesetzt. Das geschah gegen den Willen des Apparats, gegen das Votum von Parteigranden wie den Ex-Premiers Felipe González und Rodríguez Zapatero sowie Susana Díaz, der Ministerpräsidentin von Andalusien. Sie alle wollten verhindern, dass Pedro Sánchez wieder Parteichef des Partido Socialista Obrero Español (PSOE) wird, doch hat der sich bei einer Urabstimmung der Mitglieder Ende Mai durchgesetzt. Seither wird bei PSOE-Meetings zuweilen wieder die Internationale gesungen. Damit artikuliert sich eine Partei, die seit 2015 die Hälfte ihrer Wähler (fünf von zehn Millionen) an die Protestkraft Podemos, besonders in den sozial tonangebenden Milieus der unter 40-Jährigen und der urbanen Mittelschicht, verloren hat.

Ausgerechnet der traditionsreiche PSOE, der in der Regierungszeit von Felipe González (1982 – 1996) aus einer der letzten Diktaturen Westeuropas eine moderne Gesellschaft gemacht hatte, wurde als Pfeiler des „Regimes von 1978“ (dem Jahr der Verfassungsgebung) gesehen. Die Partei galt nicht mehr als Impulsgeber von Fortschritt und Modernisierung, sondern als Bewahrer eines Status quo, den die eigene Basis als äußerst ungerecht empfand.

Es war der sozialistische Premier Zapatero, der im August 2011 gemeinsam mit den Konservativen im Eilverfahren die Schuldenbremse einführte – und damit Brüssels Austeritätspolitik als Verfassungsdirektive abpanzerte. Genauso gravierend fiel eine andere Entscheidung. Im Oktober 2016 waren es sozialistische Abgeordnete, die mit ihrer Enthaltung eine Minderheitsregierung der konservativen Volkspartei (PP) unter Premier Rajoy ermöglichten. Die Entscheidung wurde als Ausdruck von Staatsräson hingestellt: Der PSOE wolle die Instabilität abwenden, die sich nach zwei Wahlen (Dezember 2015 und Juni 2016) abzeichnete. Eine konservative Regierung sei besser als ein dritter Wahlgang – und all das, wozu der führen könne: Verdrossenheit, geringe Beteiligung und ein wahrscheinlich noch schlechteres Abschneiden der Sozialisten (2016: 22 Prozent).

Im Herbst 2016 positionierte sich PSOE-Chef Sánchez erstmals eigenständig. Auf einmal stellte er sich gegen den Parteiapparat, der auf eine Verständigung mit den Konservativen pochte, um den PSOE als staatstragend zu profilieren. Sánchez beharrte auf einer Ablehnung eines Premiers Rajoy. „No es no!“, so sein berühmter Ausspruch. Die Konfrontation zwischen dem Sánchez-Flügel und der Restpartei eskalierte mit dem Ergebnis, dass Sánchez abgesetzt und die Parteiführung von einer vorläufigen Geschäftsführung übernommen wurde. Dass Susana Díaz ihm nachfolgen sollte, schien ausgemacht. Die andalusische Premierministerin war als pragmatische Machtpolitikerin bekannt, die eine harte Linie gegenüber Podemos fahren wollte. Letztlich sollte der PSOE von einem neuen sozialliberalen Elan beseelt sein. Díaz’ Bestätigung als Generalsekretärin per Mitgliederbefragung schien eine Formalität.

Als Don Quijote verspottet

Aber Sánchez gab nicht auf. Der kernige 40-Jährige, dessen größtes politisches Kapital bis dahin seine gute Figur und seine Fügsamkeit gegenüber Wünschen aus der Partei waren, veränderte plötzlich seinen Diskurs. Schon wenige Tage nach der erzwungenen Demission sprach er davon, dass es nötig sei, den PSOE als „linkes und autonomes Projekt“ neu auszurichten. Nicht Podemos, sondern die Konservativen seien die Gegner der Sozialisten. Zudem gehe es darum, eine Partei wiederherzustellen, in der nicht Funktionäre, sondern die einfachen Mitglieder das Sagen hätten. Auch bei der katalanischen Frage schwenkte Sánchez auf eine progressivere Linie um. Spanien sei ein „plurinationaler Staat“ und Katalonien eine seiner Teilnationen. Als linker Underdog fing Sánchez an, durchs Land zu touren. Anfangs als Don Quijote verspottet, dessen träumerische Botschaften in unbedeutenden Mitgliedertreffs verpufften, traf er doch einen Nerv, denn die PSOE-Basis tickte anders als die Führung. Die Empörung über die konservative Regierung und ihre endemische Korruption, die Sorge um die Erosion des Sozialstaates und der Wunsch, den PSOE wieder zur Partei des sozialen Aufbruchs zu machen, wogen schwerer als die Furcht vor „linken Populisten“ oder politischer Instabilität.

Nun steht der alte neue Parteichef unter Zugzwang. Im Gewebe von Kompromissen und Machtbalancen täte Sánchez gut daran, eines nicht zu vergessen: Er gewann, weil er versprach, im PSOE eine Kehrtwende einzuleiten. Das heißt: sozialdemokratische Politik und Opposition gegen die konservative Minderheitsregierung. Das erwarten all jene, die Sánchez, den einst vom Apparat Gestürzten, wieder an die Macht hievten. „Pedro, wir wünschen dir Erfolg, verlangen aber auch Arbeit und Engagement. Enttäusche uns nicht”, warnt ein Leserbrief bei El Periódico.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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