Du wurdest mit der Fähigkeit geboren, Entscheidungen zu treffen. Wirst du darauf verzichten? Heute mehr denn je liegt die Zukunft Kataloniens in deiner Hand. Beteilige dich. 1. Oktober, Referendum.“ Auf diese Weise wirbt die Generalitat, die katalanische Regionalregierung, für das Plebiszit über die Unabhängigkeit von Spanien. Bisher wird der Spot nur von Catalunya Ràdio und Televisió de Catalunya sowie von unabhängigkeitsaffinen Online-Portalen ausgestrahlt – die großen Medienkonzerne sperren sich. Ein Sinnbild mehr für die Kontroversen, die ein Votum flankieren, das eigentlich nach jahrelanger Debatte Klarheit schaffen soll. Lange schon ist über das Verhältnis von Katalonien zum spanischen Staat gestritten worden, es knallte und krachte, aber im Grunde blieb stets alles beim Alten. Damit soll es nun vorbei sein – die geplante Volksabstimmung gilt den Independentistes als Chance, die weiche Debatte in eine harte Entscheidung zu überführen: Wie viele Bürger sind für, wie viele gegen ein unabhängiges Katalonien?
Allerdings gestehen selbst die Befürworter des katalanischen Selbstbestimmungsrechts ein: Das Referendum wurde mit Mitteln zuwege gebracht, die der Demokratie kaum zur Ehre gereichen. Das spielt jenen in die Hände, die den aus ihrer Sicht illegalen Unabhängigkeitskurs mit allen verfügbaren staatlichen Mitteln, von Gerichten bis hin zur Polizei, aufhalten möchten. In den beiden Marathonsitzungen des katalanischen Parlaments am 6. und 7. September blieben jene Epik und Feierlichkeit aus, die sonst von der Unabhängigkeitsbewegung so gepflegt werden. Und das bei zwei Gesetzen von höchster Relevanz. Sie gelten dem Ablauf des Referendums und einer Übergangsverfassung, die bei einem Ja zur Unabhängigkeit die Transition hin zu einem neuen Staat regeln würde.
Dass diese Gesetze überhaupt vorgelegt wurden, war alles andere als selbstverständlich. Die große, so gut wie einzige Ambition der katalanischen Regionalregierung – getragen vom Unabhängigkeitsbündnis Junts Pel Sí (Gemeinsam für das Ja), in dem Sozialliberale (ERC) und Konservative (PDeCAT) kooperieren – blieb von Anfang an die Organisation eines Referendums. Doch gegenüber einer konservativen Zentralregierung, die sich unter Premier Rajoy eisern gegen jegliche Verhandlung sperrt und auf der territorialen Einheit Spaniens beharrt, war ebenso absehbar: Man kann ein solches Plebiszit nur als Akt des zivilen Ungehorsams haben. Die linksradikale Partei CUP, mit ihren acht Sitzen entscheidender Mehrheitsbeschaffer der katalanischen Exekutive, schreckte anders als die Konservativen des PDeCAT nicht davor zurück, Klartext zu reden: Die Unabhängigkeit delegitimiere das etablierte Regime, sie käme einer Revolution gleich.
Der sollen die beiden umstrittenen Gesetze einen legalen Anstrich geben. Wer das anstrebt, muss beim parlamentarischen Umgang mit solcher Gesetzgebung das demokratische Verfahren achten. Das Gegenteil war der Fall. Die Unabhängigkeitsparteien reichten die Gesetze spät ein, um die Reaktion des Zentralstaats hinauszuzögern und vor dem Referendum am 1. Oktober die volle Wucht von Verboten und Strafverfahren abzuwenden. Man sei vom Boykott der Opposition und der Drohkulisse in Madrid dazu gezwungen worden, rechtfertigte Marta Rovira, Sprecherin von Junts Pel Sí, dieses Vorgehen. Die CUP-Abgeordnete Anna Gabriel meinte, Kataloniens Selbstbestimmung sei an ihrer Legitimität, nicht an spanischer Legalität zu messen.
Der Preis für diese Strategie war eine Scheindebatte. Die Independentistes bemühten sich im Parlament kaum darum, Referendums- und Übergangsgesetz zu begründen, sondern wollten nur die üblichen Verfahren abkürzen. Die Opposition konzentrierte sich darauf, mit inszenierter Empörung die Schnellverabschiedung als antidemokratisch, fast schon als Putsch hinzustellen. Man werde die Demokratie verteidigen, „bis die Hölle gefriert“, so ein Abgeordneter.
Im Parlament de Catalunya wurde ein groteskes Theater mit trauriger Klimax aufgeführt. Als das Referendumsgesetz dann am 6. September spät abends zu verabschieden war, verließen die Oppositionsparteien vor der Abstimmung aus Protest den Plenarsaal. Die Unabhängigkeitsparteien blieben unter sich und stimmten nach dem Beschluss feierlich die katalanische Nationalhymne Els Segadors an. Das große Ziel, dem Referendum den legalen Rahmen zu geben, führte zu einer Spaltung, wie es sie seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 nicht mehr gab. Ob das die vielen Skeptiker überzeugt, am 1. Oktober an den Urnen zu erscheinen?
Erwartungsgemäß hat der Zentralstaat unverzüglich reagiert. Das Verfassungsgericht erklärte bereits am 7. September auf Antrag der Zentralregierung das Referendumsgesetz und seine Begleitdekrete im Eilverfahren für verfassungswidrig. Zugleich wurden die katalanische Regierung, die Parlamentspräsidentin wie die Bürgermeister der katalanischen Kommunen darauf hingewiesen, es müsse mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, wer das Votum unterstütze. Auch der Polizeiapparat ist mobilisiert: Mitglieder der Guardia Civil überwachen Druckereien, die im Verdacht stehen, im Auftrag der Generalitat Wahlzettel für das Referendum zu drucken. Die Staatsanwaltschaft hat die Mossos d’Esquadra, die katalanische Polizei, angewiesen, die Abstimmung zu unterbinden. Bei den Mossos sind dazu disparate Stimmen zu hören, die einen sehen sich an die Richtersprüche gebunden, die anderen an den Willen der Regionalregierung. Nicht auszuschließen, dass im Notfall auf Artikel 155 der spanischen Verfassung zurückgegriffen wird, der die Zentralregierung ermächtigt, im Fall eines schwerem Verfassungsverstoßes die Autonomie einer Regionalregierung teilweise auszusetzen.
Vermittler ohne Chance
Die Unabhängigkeitskräfte zeigten sich davon (zumindest öffentlich) wenig beeindruckt. Sie beharren auf der Legitimität ihres Vorgehens und der Souveränität Kataloniens. Wer als Vermittler agieren könnte, steht vor internen Zerreißproben. Die katalanische Fraktion Catalunya Sí que es Pot, in die Podemos integriert ist, zeigt offenen Dissens. Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau tritt als Befürworterin eines Referendums auf, will aber ihre Beamten nicht der Gefahr staatlicher Repressionen aussetzen und wirft den Unabhängigkeitsanhängern vor, die Hälfte des katalanischen Volkes außen vor zu lassen. Zumindest setzt in Madrid Podemos-Chef Pablo Iglesias, eigentlich Enfant terrible der spanischen Politik, auf mäßigende Töne bei der katalanischen Frage. Er plädiert für „politische Lösungen“ sowie einen „Dialog aller Kräfte an einem Tisch“. In Barcelona wie Madrid haben es aber Vertreter eines dritten Weges, zu denen potenziell auch die Sozialisten zählen könnten, angesichts der derzeitigen Polarisierung schwer.
Die Schlüsselfrage wird sein, ob sich die Katalanen mobilisieren lassen. Sollten sich am Referendum über 50 Prozent beteiligen und eine Unabhängigkeit mehrheitlich befürworten, wäre zwar nicht im Handumdrehen die Sezession eingeleitet, aber ein mächtiges Druckmittel gewonnen, um eine mit dem spanischen Staat vereinbarte, international anerkannte Volksabstimmung zu forcieren. „Unsere Legitimität erhärtet sich weniger in Gesetzen als vielmehr in der Beteiligung der Menschen an der Wahlurne und auf der Straße“, so das Kalkül der Unabhängigkeitskräfte. Kataloniens Nationalfeiertag am 11. September ließ erahnen, was zu erwarten ist. Zwischen einer halben und einer Million Menschen nahmen an der Demonstration „La Diada del Sí“ (Der Nationalfeiertag des Ja) teil. Ein Nachweis von Stärke mit impliziter Botschaft an Madrid: Sollte ein Verbot des Plebiszits von der Polizei durchgesetzt werden, könnte das auf Gegenwehr stoßen.
„Wohin gehen wir?“ Die Frage eines Lesers der Zeitung La Vanguardia gilt allen Beteiligten des großen Schauspiels, das gleichsam unausweichlich seinem dramaturgischen Höhepunkt entgegenstrebt. Auf den 1. folgt der 2. Oktober, und dann dürften sich die Lager auf der einen wie der anderen Seite erst recht gegenüberstehen. Was ihr Konflikt an Trümmern und Gräben hinterlässt, werden andere beseitigen beziehungsweise überwinden müssen.
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