„Du kannst nicht dagegen kämpfen.“

Frauen & Männer Petra machte eine für sie unfassbare Entdeckung: ihr Mann ist bisexuell. Sie litt unendlich.

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Vor elf Jahren in Köln. Petra* verdient ihr Geld als Chefsekretärin in einer Unternehmensberatung. Ihr Mann Jürgen*, ein einen Firmenwagen fahrender Ingenieur, und drei Kinder komplettierten das Familienglück in der rheinischen Metropole. Bis zu jenem Tag im April 2001.

Sie hatte sich über die Jahre eine Menge abgeschaut von ihren Kollegen in ihrer Firma, die in Sachen Sicherheit bei IT und EDV berät. Petra war neugierig und kannte so manche Tricks und Kniffe, wie mehr Informationen aus einem PC herauszuholen sind, als man auf dem Bildschirm sieht. Und irgendwie hat sie es schon geahnt: Der Sex mit Jürgen war flau geworden, tägliche Zärtlichkeiten dahin – dann plötzlich Damenstrümpfe in Jürgens Aktenkoffer. Eine andere Frau! Also ran an den PC im Arbeitszimmer und nachgesehen. Das Ergebnis ihrer heimlichen Recherche: Ja, Jürgen betrog sie – mit einem Mann! Petras Welt brach zusammen.

Ihre Stimme zittert als sie erzählt, wie sie ihren Mann outete.

Elf Jahre später sitzen wir uns in der Nachmittagssonne in einem Friedrichshainer Cafe gegenüber. Petra ist das, was man eine patente Frau nennen mag: Kurzhaarfrisur, bodenständig sich gebend, manchmal auch kess und flippig; dass sie Neunundvierzig ist, gibt ihr Gesicht erst nach vielen Blicken zu erkennen. Ihre Stimme zittert, als sie davon erzählt, wie sie damals ihren Mann outete, von ihrem Anruf auf seinem Handy, er solle sofort nach Hause kommen, wie er vor ihr stand, wie sie ihn anschrie, zu sagen, was da los ist. „Es war so ungeheuerlich, so unglaublich, es war … ich kann es nicht sagen“, erzählt sie und wird energischer, fällt zurück in ihren süddeutschen Dialekt: „Plötzlich passten all’ meine Beobachtungen zusammen, alles ergab einen Sinn. Jürgen liebte mich ja, ihn zog es aber auch zu Männern, nur wegen dem Sex. Jürgen war bisexuell.“

Dass Jürgen seinen Sex mit Männern leben konnte, ja, das habe auch mit ihrer beide Eheleben zu tun. Köln war der erste Ort gewesen, an dem sie wirklich wieder zusammen lebten. Vier Jahre hatten sie sich wegen Jürgens Beruf nur an den Wochenenden gesehen. Die Kinder sollten ihren Vater wieder täglich haben, aber, so Petra: „Da habe ich schon gespürt, das etwas nicht stimmt.“

Dass die Dinge so einfach nicht immer sind, Petra weiß es. Ja, in den letzten zwei Jahren, in denen Jürgen auf Baustellen in halb Europa unterwegs war, hat sie auch eine „Beziehung“ gehabt. Zu einem Kollegen in der Firma, auch er verheiratet. Sie habe sich vernachlässigt gefühlt, es passte einfach nichts mehr.

Ich habe gemerkt, dass ich noch sehr viel für ihn empfinde.

Die Konsequenz aller dieser Irrungen und Wirrungen, Petra? „Ich habe gemerkt, dass ich noch sehr an ihm hänge, dass ich noch sehr viel für ihn empfinde. Von meinem Liebhaber habe ich mich getrennt.“ Die verstörten Eheleute beginnen eine Paartherapie. Während dieser Zeit, erinnert sich Petra „hatten wir den besten Sex überhaupt“. Zweifel blieben, ob er sie auch als seine Frau begehrte oder nur den Sex wollte, und ihr Verstand fuhr Achterbahn. Wenn es Frauen gewesen wären, mit denen Jürgen sie betrogen hatte, aber Männer - „Das Schlimmste war, du kannst nicht dagegen kämpfen“, resümiert Petra im Nachhinein.

Zwei Jahre später flog sie eine Woche nach Spanien. Zurück in Köln fand sie heraus, dass die Paartherapie bei Jürgen nichts bewirkt hatte. Petra brach endgültig zusammen. Es folgte eine lange Krankschreibung, anschließend eine Reha. Ruhe für ihre Seele fand sie kaum. Denn sie liebt Jürgen, beide sind bis heute nach wie vor zusammen. Wie geht das denn? - Er habe ihr gegenüber seiner Neigung entsagt. „Das Geheimnis ist absolute Ehrlichkeit. Ich fordere sie von ihm, und ich bin durch die ganze Geschichte auch so was von ehrlich geworden, überall“, erklärt sie mit fester Stimme.

Petra entdeckte im Internet die Seiten einer Selbsthilfegruppe, initiiert von Frauen, deren Männer homo-bzw. bisexuell sind. Auf die Frage nach Gruppentherapie und ähnlichen bekannten Dingen, antwortet Petra: „Nein, nein, ganz anderes. Zuerst geht es um Gespräch von Frau zu Frau. Beide haben das alles erlebt, man kann darüber reden, zum ersten Mal wirklich und ehrlich darüber reden. Das ist das Wichtigste und einmalig.“ Dann erst könne man sich einer Gruppe anschließen. In Köln waren sie zuletzt achtzehn Frauen.

Seit Februar wohnen Petra und Jürgen zusammen in Berlin. Petra ist neben ihrem Beruf auch hier in der Selbsthilfeszene aktiv. Sie möchte eine erste Gruppe für Frauen mit einem ähnlichen Lebensthema wie dem ihren gründen.

*Namen geändert.

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Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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