Frühjahrsputz

Görlitzer Park Seit April soll es im „Görli“ anders werden. Vor allem keine Dealer mehr geben. Doch das bekannteste Kreuzberger Grün ist mehr als das Brennglas der Drogenpolitik.

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Am 1. April wurde im Internet zum ganz großen Kino geblasen: zum solidarischen Kiff-In im Görlitzer Park. Kommt alle und protestiert. Gegen die Drogenpolitik des Senats, gegen die Flüchtlingspolitik. Etc. Etc. Im Grunde genommen gegen alles, was dem vermeintlichen Kreuzberger Lebensgefühl widerspricht. Und gegen die, die es dem Zug der Zeit opfern wollen. Folglich lautete die vorletzte Zeile des Aufrufs: „Henkel verpiss Dich – Herrmann versenken.“

Henkel heißt mit Vornamen Frank, ist CDU-Mitglied und Berlins Innensenator. Den Park hat er ab April zur Null-Toleranz-Zone in punkto Drogen erklärt: wer als Käufer oder Verkäufer von Cannabis & Co erwischt wird, soll büßen, egal wie viel er davon bei sich führt. Weil seiner Meinung nach Recht und Ordnung nur auf diese Weise wieder Geltung verschafft werden können. Dazu hat er gemeinsam mit seinem Parteifreund und Justizsenator eine neue Verordnung zum Paragraphen 31 a des Betäubungsmittelgesetzes erlassen.

Herrmann, Monika Herrmann, ist Bezirksbürgermeisterin, politisch grün, und gibt die kämpferische Pragmatikerin. „Es ist ja immer gedealt worden im Görlitzer Park“, lässt sie sich im Stadtmagazin tipp zitieren. Und an gleicher Stelle als Expertin: „Der normale Kreuzberger Kiffer, der da seit 30 Jahren wohnt, kauft nicht im Park. Es sei denn, er hat’s irgendwie vergessen und sein Hausdealer hat gerade keine Zeit. Das ist zu 90 Prozent eine Frage von Touristen oder jungen Menschen aus Spandau oder Marzahn-Hellersdorf.“

Herrmann und Henkel, die Antipoden der Drogenpolitik. Und mittendrin Flüchtlinge aus Afrika, Asylbewerber aus dem Kosovo, die sehr schnell gelernt haben, dass man am Görlitzer Park mit dem Feilbieten von Drogen etwas Geld machen kann. Eine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen sehen sie nicht, haben sie auch nicht. Drogen im Görlitzer Park, dass ist im Jahr 2015 nicht mehr eine Art zu leben, das ist Teil europäischer Politik geworden.

Vor rund 25 Jahren wurde der Görlitzer Park angelegt, eine 40 Hektar große in Nutzungssektoren eingeteilte Grünfläche. Längst mehr Steppe als Liegewiese, Grillpartymeile, Hundeauslauf, Bühne der hier vereinten Straßen- und Lebenskünstler der Völker der Welt. Das alles in einem sozial und kulturell gemischten, dicht besiedelten Wohngebiet: allein von ihrem zuhause aus können gut 35.000 Menschen den Park innerhalb von zehn Minuten zu Fuß erreichen.

Nimmt man die U-Bahn und steigt am Görlitzer Bahnhof aus, trifft man auf misstrauische Blicke junger Männer, die im Schutz von Hausaufgängen der Skalitzer Straße eng zusammenstehend einen Tauschhandel mit auf ein Minimum zusammengepresster Ware zu betreiben scheinen. Das Geschäft geht also weiter am Tag zwei nach Verkündung der Null-Toleranz-bei-Drogen-im-Görli, es hat sich nur leicht lokal verschoben.

Von Polizei ist nichts zu sehen. Der Park selbst aufgeräumt: Gekehrt, gefegt, wie nach einem großen Frühjahrsputz. Selbst die Büsche. Frisch gestutzt wurden sie, um den Dealern keine Versteckmöglichkeiten für ihre Tütchen zu geben. Natürlich unter Protest selbst ernannter Aktivisten, die auch darin schon einen Eingriff in ihren Lebensmodus sahen. Eine Anwohnerversammlung sollte das diskutieren, endete aber im Tumult. Denn die Gegend rund um den Park ist Urland der Kreuzberger Hausbesetzer. Nebenan wurden vor drei, vier Jahrzehnten die ersten Wohnungen besetzt. Lieber Instandbesetzen als kaputt besitzen lautete das Motto derjenigen, die leer stehende Häuser enterten. Hier entstanden so die ersten Selbsthilfeprojekte. Und sie steht für Anteilnahme an der Gestaltung und hedonistischer Nutzung öffentlichen Raumes. Nach dem Mauerfall lag der Park plötzlich mitten in Berlin. Wurde Ausflugsziel all derer, die nicht in den Grunewald oder ins neue Umland wollten oder konnten, blieb Ziel derjenigen, deren Lebensentwurf große Entfernungen nicht vorsah.

Lange Wege haben dagegen die Kosovaren zurückgelegt, die neben dem Spielplatz stehen. Neben ihnen eine Landsmännin, scheinbar uralt, mit einem Dutzend übereinander gezogenen Röcken bekleidet. Alle scheinen auf irgendetwas zu warten. Wo aber sind die Afrikaner? Sie stehen in kleinen Grüppchen abseits der Parkwege oder sitzen auf der Rampe eines ehemaligen Güterschuppens neben dem Lokal „Das Edelweiss“, grüßen freundlich. Na klar. Zu Hunderten sollen sie einst im und vor dem Park unterwegs gewesen sein. - Wo ist der Rest von ihnen? Den Rückweg über Schlesisches Tor nehmend wird man sie am U Bahnhof Warschauer Straße treffen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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