Öffentliche Ekstasen

Draußen feiern Love Parade, Myfest, Karneval der Kulturen, CSD. Mittendrinn und ein Teil von allen und jedem bemühen wir uns zu sein. Doch was machen wir da eigentlich?

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Am interessantesten anzuschauen waren dann doch die Gestalten in Herrenanzügen beziehungsweise Damenkostümen von der Partei DIE PARTEI. Sie teilten sich mit gefühlt fünfhundertzwanzig anderen Vereinen, Parteien, Imbissverkäufern, Spendensammlern, Luftballons, Tanzgruppen, Trommlern und abertausenden Besuchern das Terrain des diesjährigen Myfestes. Das Wummern der Beats war schon aus drei Kilometer Entfernung zu vernehmen. Der Mariannenplatz lag unter einer Wolke aus Grillqualm und menschlichen Ausatmungen, Parfüm und die Gerüche aller Welt und ihrer Schichten waberten zwischen den Ständen. Kaum ein Hinkommen, kaum ein Durchkommen. Das Verweilen eher mühsam. Aber schön war es doch. Wir waren dabei. Und morgen können wir das erzählen. Mit dem Nachsatz: Da gehen wir nie wieder hin, einfach zu voll. Wir werden es wieder tun.

Nächstes Jahr wahrscheinlich. Dann soll das Myfest noch größer werden. Nach anfänglicher Aufreger-Debatte im Juni, angestoßen von der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann – Tenor: Wir können die Sicherheit nicht mehr gewährleisten – haben nun alle verstanden, worum es geht: das Myfest muss weiter leben. Sich erweitern, 40.000 Euro oder waren es 400.000 Euro vom CDU-Innensenator Henkel für zusätzliche Polizisten und Ordner sind anvisiert. Möglicherweise weitet sich Veranstaltungsort aus. Von der Oranienstraße über den Marieannenplatz bis zum Schlesischen Tor die Brücke hinüber bis zu den Clubs in der Revaler Straße. Das wäre was!

Dabei hat auch die große Kreuzberger Bürgerparty zum ersten Tag im Mai sehr viele Nummern kleiner angefangen. Und hatte einen sehr politischen Auftrag. Den so genannten Chaoten – von wegen Revolutionärer 1. Mai – sollte mit Spiel, Tanz und Hausgemachtem der Humus entzogen werden. Der Versuch ist wohl geglückt. In diesem Jahr beschwerten sich Teilnehmer der Revolutionsdemo, wegen der Tausenden Feiernden nicht rechtzeitig am Abmarschpunkt angekommen zu sein.

Auch der Karneval der Kulturen hat mal klein angefangen. In den 1980ern. Ja, die Achtziger! Da saßen wir mit Bierdosen im Park oder gingen in die Disco. Die Mädels sollen damals vereinzelt noch zum Tanzen aufgefordert worden zu sein. Heute stellen wir uns irgendwo in die Mitte und machen was los. Egal, eine wird schon aufmerksam werden. Und wenn nicht, die Nacht ist lang. Vor dreißig Jahren war nachts um eins meistens Schluss oder nix mehr los. Heute trinken wir zu dieser Zeit erst unser drittes Kaltgetränk des Abends.

Das Private, so scheint es, muss sich irgendwann auch entladen.

Pfingsten in Berlin: Karneval besser als in Köln. Weil alles so bunt ist und alle da sind. Weiter, weiter. Nie wieder, aber nächstes Jahr wahrscheinlich doch, mal sehen. Das Feiern im öffentlichen Raum hat sich verändert in den letzten drei Jahrzehnten, und dieser Prozess hat nach der Wiedervereinigung einen gewaltigen Schub bekommen. Ob nun CSD, Myfest, Public Viewing auf der Fanmeile zum WM-Sommermärchen: wir geben uns lauter und selbstsicherer. Dabei haben wir uns andererseits als Homo Economicus zwangsläufig in eine ganz andere Richtung verändert. Misstrauischer sind wir, geben ungern etwas von uns Preis. Ach ja, der Preis, wir haben erfahren, das alles seinen hat. Wir auch. Im Osten sowieso, aber auch im Westen.

Was wir im Privaten mit uns selbst ausmachen, muss sich, so hat es den Anschein, irgendwann einmal sich entladen. In einer Ekstase von Körperlichkeit, Trieb, Genüssen und dem Zwang dabei sein zu wollen, treten wir auf die öffentlichen Bühnen. Ob wir aus der Perspektive einer Zeitreise das im Nachhinein mit ansehen werden mögen ist eine andere Sache.

Das alles ist nicht schlimm, keineswegs. Und das hat es schon seit Urzeiten gegeben. Im alten Rom soll ein Kaiser Gladiatorenspiele über einen Zeitraum von 150 Tagen am Stück veranstaltet haben. Und das Colloseum fasste immerhin auch schon 50.000 Besucher. Brot und Spiele.

Nun denn: auf zum nächsten Ort. Mal sehen, wer da ist. Ist aber eigentlich auch egal. Hauptsache wir sind dabei. Auch wenn´s voll wird.

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Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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