Vom roten Apfel sollst du kosten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

September 2002, kurz vor den Bundestagswahlen. Vor dem Eingang zum Berliner U-Bahnhof Friedrichsfelde steht eine Gruppe Enddreißiger hinter einem kleinen mit einer roten Decke verhangenen Tischchen. Darauf: Bunte Zettel, Bonbons, Kugelschreiber und – eine Kiste mit roten Äpfeln. Passanten gehen vorbei, beschleunigen auf dem Weg zum U-Bahn-Schacht ihre Schritte deutlich. Nein, viele möchten nicht angesprochen werden von den Parteisoldaten der PDS, wie die LINKE damals noch hieß. Obwohl, Friedrichsfelde ist ein Ortsteil von Berlin-Lichtenberg, rotes Stammland aus damals noch nicht allzu fernen DDR-Zeiten. Eine der wahlkämpfenden Frauen nimmt die Kiste mit den Äpfeln in die Hand, löst sich vom Tischchen und geht auf mich zu. „Guten Morgen“, grüßt sie sehr freundlich, „möchten Sie einen roten Apfel kosten?“ Ich starre die Blonde mit den kurzen Haaren und den Grübchen an. Mist, jetzt bist du der Depp, denke ich. „Sie werden sehen“, flirtet sie weiter, „Rot schmeckt gut.“ Und lacht. Ich nehme den Apfel, den knallroten. An seinem Stiel hängt ein Bändchen mit dem Logo der PDS.

Ob ich das rot gewandete PDS-Obstdamals gegessen habe, weiß ich nicht mehr. Erinnern kann ich mich nur, die Frau kurz danach auf einem Wahlplakat wiedererkannt zu haben – Gesine Lötzsch. Sie hat nun, mittlerweile Mitvorsitzende der LINKEN, eine Rede in der „Jungen Welt“ veröffentlichen lassen, die sie am 8. Januar vor einem mehr als links verorteten Forum zu halten gedenkt. Titel: „Wege zum Kommunismus“.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, ich habe ihren Text gelesen, vorn vorne bis hinten. Allzu kompliziert ist er nicht geschrieben. Er beginnt mit einem Zitat von Albert Einstein: „Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“ Frau Lötzsch findet das großartig. Einstein gescheitert, tausendmal, wie auch die Linken, am Ende aber: Nobelpreisträger, Superwissenschaftler, Weltenveränderer. - Welch’ eine fein gesponnene Allegorie. Und wie soll die LINKE zum Erfolg gelangen? Die linke Frontfrau findet die Antwort bei Rosa Luxemburg: „So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen. Und der ökonomische Kampf, auch er soll nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner nächsten Parteifreunde durch die Arbeiterräte geführt werden.“ – Klingt ein wenig nach den guten alten 68ern: Marsch durch die Institutionen und so. - Das Zitat stammt aus den letzten Lebenswochen der Luxemburg, bevor sie von rechtsextremen Offizieren zusammen mit Karl Liebknecht ermordet wurde.

Ach, die Rosa – Lieblingsfrau der Linken. Klug, kämpferisch, eine Frau (!) – gemeuchelt von „den Rechten“. Den Rechten. Nein, Gesine weiß genau, warum Rosa sterben musste. „Die Novemberrevolution von 1918 wurde verraten und halbiert in den Absprachen zwischen Mehrheitssozialdemokratie und der kaiserlichen Armee, bevor sie überhaupt ihr ganzes Poten­tial entfalten konnte.“ Aha. Und damit ist die böse SPD wieder hervorgeholt worden mit den bekannten Accecoires Hartz 4, Marktradikale, NATO-Krieg gegen Jugoslawien etc etc. Denn Rosa sei damals die einzige, die richtig durchgesehen hat, so Lötzsch. „Sie forderte die Herrschaft des Volkes über Wirtschaft und Gesellschaft genauso ein wie die Freiheit des Andersdenkenden. Sie war radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin. Deswegen konnte der sowjetische Parteikommunismus sich am Ende genauso wenig mit ihr versöhnen wie der bürgerliche Liberalismus.“ (Das mit dem „sowjetischen Parteikommunismus“ soll wohl heißen, dass die DDR-Staatssicherheit Knechte eben dieser Abart der guten Lehre waren, als sie 1988 Abweichler während der alljährlichen DDR-Karl-und-Rosa-Januar-Gedenkveranstaltung in der Berliner Karl-Marx-(!)-Allee verhafteten, oder wie?)

Ja, und wo bleibt bei alledem der Kommunismus? Den fordert Frau Lötzsch nicht explizit, schon gar nicht jetzt und hier. Den Weg dahin beschreibt sie für ihre Genossen so: „Wir wollen einerseits die sozialen Probleme lösen, indem wir die ökologischen Fragen angehen. Dazu gehören der Übergang zu einer dezentralen Energieproduktion und -versorgung, weitgehende Verlagerung der Transporte auf die Schiene und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs bis hin zu entgeltfreien Angeboten. Wir wollen eine schnelle energetische Sanierung des Wohnungs- und Gebäudebestandes, um in den nächsten Jahrzehnten weitgehend CO2-neutrale Städte zu schaffen. Und wir wollen andererseits die ökologischen Fragen lösen, indem wir die sozialen Fragen angehen: Gute Arbeit und gutes Leben stehen dabei im Mittelpunkt, Mindestlöhne, soziale Sicherheit, Ausbau qualifizierter Dienstleistungen gerade auch im öffentlichen Bereich (Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur) – den wichtigsten Beschäftigungsmotoren der Zukunft und die Basis einer modernen Volkswirtschaft. Dazu müssen wir es erreichen, daß Umverteilung von oben nach unten und von privaten zu öffentlichen Haushalten mit diesem sozialökologischen Umbau verbunden wird und umgekehrt. Auf dieser Basis wird auch eine wirkliche Friedens- und solidarische Entwicklungspolitik möglich.“ – Uff, alle Wetter! – Klingt aber irgendwie nach Bündnis 90/ Grüne, oder nicht? Oder war es SPD?

Ich weiß nicht, wie es anderen geht, die Gesine Lötzsch’ Text gelesen haben. Ich musste dabei immer an ihren roten Apfel von vor fast zehn Jahren denken. Und an „Schneewittchen“. Gab es in dem Märchen nicht die böse Königin, die einen solchen, wunderschön roten Apfel vergiftet hat?




Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden