Von der Stütze zum Standbein

Ehrenamt Kulturarbeit ist sehr vielseitig. Doch die Städte sparen lieber, als Kultur auszubauen. Das Kulturkonzept der Stadt Essen scheint zu sein: "Gut gewollt und kaum gekonnt!"

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Kultur ist im allgemeinen, ein sehr schwammiger Begriff. Kaum einer weiß eine Antwort auf die Frage: "Was ist eigentlich Kultur?" Zumindest wenn es um „Kulturarbeit“ geht, verstehen die meisten Menschen aber das selbe darunter. Literatur, Theater, Kunst- heutzutage auch Konzerte, Festivals oder Poetry Slams. All das und vieles mehr macht man, wenn man Kulturarbeit leistet.

Die meisten Menschen in diesem Bereich sind Veranstalter*innen oder Helfer*innen, in großen oder kleinen Rahmen. Die meisten dieser Menschen sind, sind selbstständig oder in einer Ehrenamtlichen Gruppe tätig. Nur wenige Kulturveranstaltungen werden auf den Schultern der Städte gestemmt.

Wenn man Glück hat, die richtigen Leute kennt oder die Bürokratischen Hürden meistert, bekommt man Zuschüsse von der Stadt, geschnürt in ein Päckchen mit den neusten Auflagen. Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg.

Nehmen wir als Beispiel die Stadt Essen. Kulturhauptstadt 2010. Im Herzen des Ruhrgebiets, mit der Zeche Zollverein und dort Ansässigen Gemeinschaften und Vereinen, die Teilweise Unterstützung der Stadt bekommen. Dem Kunsthaus Essen, das Fördergelder der Stadt erhält, Jugendzentren und größeren Projekten der Jugendhilfe (eine Tochtergesellschaft der Stadt Essen) wie die Weststadthalle und das Pfingst- Open Air. Klingt erstmal wie eine Fülle kulturessler Angebote und hier ist wirklich nur ein minimaler Bruchteil genannt. Die nämlich, in denen die Stadt auf die ein oder andere Weise mit drin steckt.

Auf der Seite der Stadt Essen findet man unter Kultur folgende Sparten: Ateliers, Bildende Kunst, Galerien, Interkultur, Kinder- und Jugendkultur, Kinos, Literatur, Museen, Musik, Nightlife, Tanz, Theater und Entertainment. Unter Kinder- und Jugendkultur finden sich Reihen wie die Jugendkunstakademie, bei der Essener Künstler*innen Workshops in verschiedenen Künstlerischen Bereichen geben. Auch aufgelistet sind unter anderem der Schulkulturservice und die Malschulen für Kinder und Jugendliche. Unter „Kultureinrichtungen“, findet man auch wieder die üblichen Verdächtigen Sparten die gefördert werden.

Was hier stattfindet, ist eine Förderung der Hochkultur, ein verschulen von Kunst. Denn auch wenn „Jugendkunstakademie“ nach einem schönen Schnupperkonzept für junge Kunstinteressierte klingt, ist es leider Kurs für Kurs das selbe. Immer die selben Essener Künstler*innen, aus den Häusern die eh schon gefördert werden, teilweise Lehrer*innen die ihren Verkopften Kunstbegriff weiter geben wollen. Unstrukturiertes „Malt was ihr wollt“, als didaktisches Mittel verkaufen oder „Ihr müsst das so und so machen!“, als künstlerischen Anspruch zieren. Die selben Leute und selben Methoden, die die jungen Menschen schon aus der Schule kennen.

Immer die selben Sparten, die selben Vereine und selben Häuser kriegen Geld. Die selben Bands werden bei Essen Original, „Made in Essen“ oder auch dem Pfingst- Open Air gepusht. Die selben Leute sitzen seit Jahren in den Gremien und Veranstaltungsteams. Neuen Ideen wird der Zugang erschwert. "Das ist schwierig", "Nicht kalkulierbar", "Wir haben das Personal nicht!", da bringen dann auch funktionierende Beispiele nichts. Die gesamten Jugendprojekte, wie das Pfingst- Open Air, große Teile der Weststadthalle, aber auch die kleinen Konzerte in Jugendhäusern, basieren auf Ehrenamt.

Hier fließt kaum Geld hin, während zwischen anderen Begünstigten aus der Hochkultur Rivalitäten entstehen, weil man sich die unterschiedlichen Zuschüsse missgönnt.

Die Angestellten in den Jungendhäusern werden angehalten möglichst wenig Geld auszugeben, die Jugendlichen wissen noch nicht wie sie Gelder aus anderen Töpfen beantragen können und auch nicht, dass ihre Arbeit etwas wert ist. Nach und nach brechen die Teams in den Häusern weg. Konzertreihen entfallen, weil die Jugendlichen aus dem Alter raus wachsen, in dem sie sich mit „immer wieder das selbe“ zufrieden geben. Gerade in Zeiten des Internets, dass einem viele Projekte sehr leicht macht und man sieht was alles geht. Doch die Kreativität der Menschen wird mit Bürokratie, Rechtlichen Grundlagen (z.B. Sicherheitskonzepten) und Kostenpunkten erstickt.

Es musste etwas neues her und die Stadt Essen hat sich etwas neues Ausgedacht.

„Essens Beste!“, eine Reihe die Ehrenamtliche junge Menschen auszeichnet. Aber nicht etwa alle. Nein. Wie bei jeder großen möchte-gern-wichtigen Verleihung. Gibt es viele Bewerber*innen. Dann Nominierte, mit Diesen werden dann Videos gedreht. Dann wird ein*e Sieger*in gekürt.

Wer das alles Entscheidet? Eine Jury natürlich. Was die Gewinner*innen bekommen? Geld, von verschiedenen Sponsoren, meist aus der Wirtschaft gestellt. Das ganze findet einen Rahmen in der Philharmonie. Alle Nominierten werden eingeladen, bekommen ein paar Essens und Getränkemarken, für Chinesische Essensboxen oder Currywurst und dürfen sich dann gegenseitig bejubeln wie schön sie die Arbeit machen, für die die Stadt Essen sonst Geld hätte ausgeben müssen. (Nominiert war zum Beispiel ein Junge, er Ehrenamtlich das Ruhrufer aufräumt und den Müll dort entsorgt.) Wer schon einmal auf der Philharmonieveranstaltung war die nicht von der Stadt Essen finanziert wurde, wird auch bei dem Essen gestutzt haben.

Ich möchte nicht sagen, dass diese Veranstaltung dazu dient die Ehrenamtlichen dabei behalten zu wollen, damit sie weiter die Arbeit machen, durch die die Stadt spart. Nicht einmal unbedingt, dass es eine Art „Es sich selbst auf die Fahne schreiben wollen“ - denn genau das passiert durch den Titel „Essens Beste!“, allerdings fällt es einem sehr schwer diese Vorwürfe nicht in den Raum zu stellen. Zumindest wenn man diese Halbherzigkeit die von Nominierten-Video, über Essen bis hin zum gesamten Veranstaltungsablauf nicht auf Inkompetenz oder Kostenreduzierung, zurück führen wil.

Die Frage ist also: stecken hinter dieser Veranstaltung politische Ziele oder haben die Veranstalter*innen einfach nicht mehr drauf?

Ein ähnliches fragwürdiges und auf gewisse weise Selbst beweihräucherndes Konzept zeigt sich bei der jährlich erscheinenden „Made in Essen“ Platte. Diese wird von der Sparkasse finanziert und möchte Bands aus Essen supporten.

Auch das Pfingst Open Air, vor allem aber Essen Original lassen sich in diese Art der Kulturpolitik eingliedern. Für Bands, vor allem die Essener, muss es eine Ehre sein, dort spielen zu dürfen. Im Backstage wird man angehalten von den Softdrinks nicht zu viel zu trinken. Damit „Die anderen auch noch was haben“ und Fahrtkosten, Aufwandsentschädigung oder gar Gage gibt es nicht.

Ich habe zu beginn hinterfragt, was Kultur ist und was Kulturarbeit leisten muss. Stadt Essen scheint sich diese Frage mit damit beantwortet zu haben, dass sie zwischen Hoch- und Popkultur unterscheidet. Während Hochkultur (Theater, Kunst, klassische Musik) finanziell gefördert werden, muss sich Popkultur, was sich hier stark mit der Kinder- und Jugendkultur überschneidet, entweder kommerziell lohnen (Wie bei Clubs, wie der Mupa und dem Delta) oder sich über Ehrenamt am leben halten (kleinere Konzerte, Pfingst Open Air, Essen Original ect.)

Wenn jemand für die Stadt Essen die Arbeit macht und ehrenamtlich als Veranstalter*in so was wie das Pfingst Open Air aber auch kleinere Veranstaltungen, stemmt. Ist das aus meiner Sicht wirklich herzlich, aber auch noch zuletzt dumm. Weil sich Angestellte der Stadt die sinngemäß sagen „Ich hab keine Lust auf eine Monatliche Veranstaltung. Wenn du das nicht umsonst machst gibt’s die halt nicht!“, genau darauf verlassen. Dass man Ehrenamtliche Helfer*innen braucht ist klar. Kein großes Festival könnte sich ohne stemmen. Auch Jugendliche müssen kein Geld dafür bekommen, dass sie sich in ihrem Jungendhaus engagieren, doch sie sollten Unterstützung dafür bekommen. Nicht nur gutes zureden oder eine Veranstaltung die wertfreie und grundsätzlich gute Arbeit plötzlich in Relation zueinander setzt und eben doch wertet, weil sie die einen Auszeichnet und die Anderen nicht. Die Jugendlichen sollten motiviert werden ihre Ideen umzusetzen. Auch wenn sie sich mal nicht rechnen, wenn sie mal größer ausfallen oder einfach nur Kosten erzeugen. Ihnen sollte beigebracht werden wo und wie sie Gelder beantragen können zusätzlich muss dieser Weg erleichtert und beschleunigt werden.

Ehrenamt sollte immer nur Unterstützdend und Entlastend stattfinden, nicht aber zum Standbein einer Stadt werden. Man kann als Veranstalter*in zwei moralische Konzepte fahren. Entweder man sagt: „Kultur darf meinen Träger nichts Kosten. Oder man sagt: „Kultur darf die Künstler*innen nichts kosten!“ Die Stadt Essen scheint sich für die erste Variante entschieden zu haben, nur so ist der Umgang mit jungen Künstler*innen, egal welcher Sparte, und Ehrenamtler*innen zu erklären.

Darum nehmen Veranstaltungen wie Essen Original qualitativ immer mehr ab und werden immer weniger von den jungen Leuten der Stadt angenommen, darum schrumpfen die Ehrenamtlichen Teams in den Jungendhäusern. Deswegen ist „Essens Beste“ absolut Kontraproduktiv und trägt überhaupt nicht zur Ermutigung der Ehrenamtlichen bei. Halbherzigkeit und Wettkampf sind keine Schwerpunkte die in der Pädagogik oder Psychologie positive Erfolge feiern.

Kultur ist nicht umsonst ein Politikfeld. In der Art wie Veranstaltungen geplant werden, wer eingebunden wird, auf wessen Schultern all das gestemmt wird, welche Schwerpunkte es bei der Kulturarbeit gibt, hier findet sich die Politik die sich dahinter verbirgt. Kultur ist nicht nur Entertainment, sondern Bildung im klassischem und gesellschaftlichen Sinne. Kulturarbeit ist mehr als nur die verschiedenen Sparten zu füllen. Kulturarbeit bedeutet jede Sparte für jede*n zugänglich zu machen.

Kulturarbeit bedeutet, miteinander zu arbeiten, anstatt andere für einen arbeiten zu lassen - auch wenn sie es Ehrenamtlich und gerne machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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