Fenster zu, Tür auf

Zinsbesteuerung Ein neues Abkommen soll die Flüchtigen einfangen, während der Europäische Gerichtshof sie wieder freilässt

Immer wieder gab es Sonderwünsche, immer wieder wurden sie unterbrochen, die Verhandlungen über eine europäische Zinsbesteuerung. Seit Ende der achtziger Jahre wurde gepokert, getäuscht und verzögert. Kaum noch erwartet, verkündete die Europäische Union Anfang Juni den Durchbruch, die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Schweiz und anderen Staaten, das die Steuerflucht in Europa eindämmen soll. Ob dem zähen Ringen handfeste Taten folgen, ist allerdings keineswegs sicher. Ungemach droht nicht nur von den Hütern des Bankgeheimnisses, sondern auch vom Europäischen Gerichtshof.

Ab 2005 sollen Banken verpflichtet sein, Kontrollmitteilungen über die Zinseinkünfte ihrer Kunden an die jeweils zuständigen Finanzämter zu senden. Erstmals wird das auch für ausländische Kontoinhaber gelten - ein wichtiger Schritt also zum grenzüberschreitenden Informationsfluss. Abgesehen von den zehn neuen EU-Staaten sind allerdings auch Belgien, Österreich und Luxemburg von dieser Regelung ausgenommen. Gemeinsam mit der Schweiz haben sich diese drei Länder erfolgreich dagegen gewehrt, das Bankgeheimnis preiszugeben. Stattdessen sollen sie eine anonyme, schrittweise von 15 auf 35 Prozent steigende Quellenbesteuerung einführen.

Der Staatssekretär im deutschen Finanzministerium Caio Koch-Weser begrüßte diesen Kompromiss als "Einstieg in die europäische Zinsbesteuerung". "Ein Papiertiger" - viel mehr sei die Richtlinie nicht, sagt dagegen Dieter Ondraczek, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Er verweist darauf, dass sich die Länder, die keine Kontrollmitteilungen versenden, eine ganze Reihe von Hintertüren offen gehalten hätten. Außerdem seien die Verhandlungen mit den Steueroasen Andorra, Liechtenstein, Monaco und San Marino noch nicht abgeschlossen.

Auch der Geschäftsführer der schweizerischen Bankiersvereinigung, Urs Roth, meint, dass die neue Steuer leicht umgangen werden könne, weil sie nur Zinseinnahmen erfasse. Dividenden, Derivate und Zertifikate, Lebensversicherungen oder Kursgewinne aus Aktiengeschäften blieben dagegen steuerfrei. Zudem arbeiteten alle europäischen Banken an Produkten, die in Anleihen investieren, die vor März 2001 emittiert wurden. Auch deren Zinserträge seien von der Steuer nicht erfasst.

Aber nicht nur diese Umgehungen bieten sich an. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat vor kurzem mit der angemahnten Streichung der sogenannten Wegzugsteuer eine völlig neue Dimension der Steuervermeidung gleichsam legalisiert. Hintergrund: Der französische Bürger Lasteyrie du Saillant zog vor sechs Jahren nach Belgien um. Wegen des Umzugs in ein anderes Land, so teilte ihm sein Finanzamt mit, müsse er die Wertzuwächse seiner Beteiligung an einem Unternehmen versteuern. Und zwar so, wie dies bei Verkauf dieser Anteile der Fall wäre. Deshalb werde eine Wegzugsteuer erhoben. Das beschränke seine Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU, meinte nun der Betroffene und klagte vor dem Europäischen Gerichtshof, der ihm in wesentlichen Punkten Recht gab. Begründung: Die französische Regierung beurteile undifferenziert alle Fälle von Wohnsitzverlegung als Steuerflucht.

Dieses Urteil wird auch Konsequenzen für andere Staaten haben. Deutschland beispielsweise erhebt nach Paragraph 6 des Außensteuergesetzes ganz ähnlich wie Frankreich eine Wegzugbesteuerung. Die gesetzlichen Bestimmungen wurden 1970 nach dem Umzug des Kaufhauskönigs Helmut Horten in die Schweiz geschaffen, weil Horten damals sein Beteiligungsvermögen legal dem Fiskus entziehen konnte. Künftig werden vermögende Privatpersonen wieder leichtes Spiel haben. Die EU-Kommission hat die Bundesregierung bereits aufgefordert, die Wegzugsteuer abzuschaffen.

Strittig ist, ob das Urteil auch Auswirkungen auf Kapitalgesellschaften hat oder nur für natürliche Personen gilt. In Deutschland müssen bisher nach Paragraph 12 des Körperschaftsteuergesetzes die stillen Reserven eines Unternehmens beim Umzug aufgedeckt werden, weil diese Gesellschaft dann in Deutschland als aufgelöst gilt und sozusagen einer Letztbesteuerung unterliegt. Das ist nur logisch, denn die stillen Reserven wurden vorher als steuermindernd anerkannt. Trotzdem könnte das Urteil auch Unternehmen betreffen. Denn nach europäischem Recht sind die in der EU ansässigen Kapitalgesellschaften den natürlichen Personen ausdrücklich gleichgestellt, und die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, dass Unternehmen jeden Mitgliedsstaat für ihren Verwaltungssitz frei wählen dürfen. Wenn ihnen aber der ungehinderte Zuzug gestattet ist, muss ihnen auch der Wegzug gestattet sein - argumentieren nun findige Juristen im Sinne der Unternehmen.


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