Ich hatte noch Windeln an, als ich meinen ersten Fisch fing. Jedenfalls haben mir meine Eltern das immer wieder erzählt. Meine eigene Erinnerung ans Fischen setzt erst Jahre später ein. Während meiner Kindheit fuhren mein Vater und ich an vielen Wochenenden in einem knapp sechs Meter langen Boot die südkalifornische Küste entlang, um nach Haien, Gelbschwänzen, Thun- und Schwertfischen Ausschau zu halten. Für meinen Vater bedeutete das Fischen Entspannung, eine kleine Flucht aus seinem stressigen Alltag, in dem er zwei Unternehmen leitete und eine vierköpfige Familie co-managte. Für mich wurde das Fischen identitätsstiftend.
In der Grundschule verbrachte ich meine Zeit damit, Fische zu zeichnen und davon zu träumen, wie ich exotische Fische an noch exotischeren Orten fangen würde. Ich festigte meinen Ruf als „der Fischer“, indem ich mich an Halloween viermal hintereinander als ein solcher verkleidete. In der dritten Klasse wurde ich für einen Tag zum Helden, als ich ein Referat über einen Makohai hielt und meine Mutter mich zusammen mit einer Kühlbox in die Klasse brachte, in der ein toter, knapp ein Meter langer Makohai lag. Die anderen Schulkinder rasteten vor Begeisterung fast aus. Damals entschloss ich mich, eines Tages ein professioneller Fischer zu werden. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete.
Nun, im Alter von 34, nachdem ich 15 Jahre als Berufsfischer gearbeitet habe, sind meine Kindheitseindrücke durch eine Realität ersetzt worden, die zwar nicht so geruhsam ist, wie ich mir das einst vorstellte, aber genauso lohnenswert. Es begann, als ich als Teenager während der Fisch-Saison nach Kanada fuhr, wo ich im östlichsten und flachsten Teil des Beringmeers mit Stellnetzen Lachse fing. Nachdem ich die fünfte Saison in Folge mit dem Lachsfang zugebracht und daneben einen College-Abschluss in Fotografie gemacht hatte, suchte ich auf den Docks des Seattle Fisherman’s Terminal nach einer besser bezahlten Arbeit. Die DotCom-Blase war geplatzt, und die Fischerei schien mir der beste Weg, die Kreditkarten-Schulden abzubauen, die ich in den Jahren an der Uni angehäuft hatte.
Nachdem ich einen Monat lang erfolglos die Docks abgelaufen war, erhielt ich einen Anruf von einem Fischer, der für einen Trip in den Golf von Alaska einen Deckhelfer suchte. Die Reise sollte zwei Monate dauern, nur der Kapitän und ich. Wir mussten ein kleines Fischerboot entlang der Vulkangestein-Küsten der Halbinsel von Alaska und entlang der Aleuten manövrieren, während wir mit Langleinen, an denen Tintenfische als Köder hingen, nach Kabeljau suchten. Zum ersten Mal schnupperte ich richtig „raue See“, wie der Skipper es nannte. Alles musste sorgfältig einkalkuliert werden: die Wettervorhersagen, die Wellen, jede Wende zwischen den Inseln und den Durchgängen zwischen ihnen. Innerhalb weniger Stunden konnten die Wellen steil auf fünf bis zehn Meter ansteigen, wenn die Gezeiten sich änderten. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich ein Gefühl dafür, wie verwundbar und ausgeliefert man sich auf dem Meer fühlen kann.
Da meine Arbeit als Deckarbeiter für gut befunden wurde, erhielt ich im folgenden Januar vom selben Kapitän einen Job in der Mannschaft seines 30 Meter langen Krabbenbootes. Man hatte mich gewarnt, dass Krabbenfischen im Winter einer der gefährlichsten Jobs sei, den man in den USA überhaupt annehmen könne: Die Stürme kommen oft fast aus dem Nichts und mit unvorhersehbarer Gewalt. Meist arbeitet man rund um die Uhr in etwa zehn Meter hoher See auf einem eisigen Deck. Schlafmangel, gepaart mit sich endlos wiederholender Arbeit mit Kränen, Seilwinden, Schnüren und 800 Pfund schweren Krabbenfallen erhöhen das Risiko; wer hier über Bord geht oder sich in einer der Schnüre verfängt, die mit großer Geschwindigkeit auf- und absausen, hat kaum eine Chance. Aber der Reiz, das Leben unter den härtesten Bedingungen zu erfahren und zu dokumentieren, machten mir die Entscheidung leicht. In den nun folgenden sieben Jahren trug ich mein Halloween-Kostüm an Bord eines Krabbenboots auf der Beringsee.
Während kommerzieller Fischfang wegen der Überfischung und der Zerstörung des Meeresgrunds in Verruf geraten ist, gehört das Krabbenfischen in der Beringsee zu den nachhaltigsten und am besten organisierten Fischereimethoden überhaupt. Die Krabbenbestände, die einst überfischt waren, sind heute wieder intakt. Wissenschaftliche Beobachter fahren in ungefähr jedem zweiten Boot mit und überwachen die Fangpraktiken und den Zustand der Bestände. Anders als Grundschleppnetze und andere Ausrüstung, die für die Schwächung des Meeresgrunds verantwortlich gemacht werden, lassen Krabbenboote nur Krabbenkörbe aus Stahl auf den Grund, in die die Krabben hineinkrabbeln und so gefangen werden. Ein paar Tage später sind die Gefäße voll und werden wieder nach oben gezogen. Auf dem Grund wird nicht gezogen und jeglicher Beifang wie Schlangen, Seesterne oder zu kleine Krabben wird wieder lebendig ins Meer zurück geschmissen.
Kamera in der Frischhaltefolie
Der Job, so hart er war, bot mir auch die Möglichkeit, das Fischen mit dem Fotografieren zu verbinden. Die meisten Aufnahmen entstanden bei der Arbeit oder wenn ich ein paar Augenblicke Auszeit heraushandeln konnte. Meine mit Klebeband in mehrere Lagen Frischhaltefolie eingewickelte Kamera wartete in meiner Kabine, bis der Augenblick richtig war und ein seltener Strahl Sonnenlicht die Betakelung beschien oder ein Meeresvogel uns an Bord Gesellschaft leistete.
Der Kapitän hatte nichts gegen das ausgiebige Fotografieren, und auch die Mannschaft störte sich nie daran. Ganz im Gegenteil wurde ich dazu ermuntert, unsere einzigartige kleine Welt zu dokumentieren. Selbst die Fischer, die in diese Industrie hineingeboren worden waren, wussten, dass das Leben und Arbeiten in der Beringsee etwas ganz Außergewöhnliches und Fantastisches ist. Es gibt unter den Krabbenfischern diesen einzigartigen Stolz, ein Gefühl der Unbesiegbarkeit, das sich nach Wochen schlafloser Fronarbeit auf dem schwankenden Deck eines Krabbenkutters einstellt. Wir sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, leiden aber alle an der gleichen Form milden Wahnsinns, teilen unseren Abenteuergeist, eine hohe Toleranz gegen selbst auferlegte Schmerzen und den Wunsch, die Arbeit und den Lohn eines ganzen Jahres in ein paar langen Monaten zu verdienen.
Auch wenn das romantische Klischee des Berufsfischers etwas anderes glauben machen will, so ist nichts Glamouröses dabei, 20 Stunden am Tag Krabben zu zählen und Säcke mit Ködern voll zu stopfen. Natürlich gibt es gelegentlich auch den ein oder anderen Adrenalinschub, aber die eigentliche Belohnung liegt in dem Gefühl, das einen ergreift, wenn man nach getaner Arbeit wieder lebend auf einem Schiff voller Krabben in den Hafen einfährt. Die Muskeln schmerzen, aber man hat Freunde fürs Leben gewonnen und einen beachtlichen Scheck in der Hand. In meinem Fall kamen als Belohnung noch die Fotos hinzu, von denen ich hoffe, dass sie die Faszination dieses außergewöhnlichen Jobs vermitteln können.
Corey Arnold ist Fotograf und Berufsfischer. Heute arbeitet er als Kapitän auf einem Stellnetzboot in Alaska. Seine Arbeiten wurden bereits in Esquire, The Paris Review, Juxtapoz und dem The Sunday Telegraph gezeigt. Sein erstes Buch, , dem die Fotos entnommen sind, ist bei Nazareli Press erschienen
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