Aber, aber...

CoLyrik-Gefährliches Darf man sich noch öffentlich Gedanken über die Türkei machen? Oder muss ich nun Angst haben, dass ich gesteinigt werde?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Aber, aber - Gedanken

Meine türkischen Freunde werden mich hoffentlich nicht steinigen.

Aber, aber heute muss es aus mir heraus. Ich muss darüber schreiben,

kann es nicht einfach so hinnehmen.

Die Blattpetersilie auf der Lahmacun wird mir vielleicht im Halse stecken bleiben,

aber ich lasse mich nun ohne Angst vor Verfolgung mit meinen Gedanken einfach treiben.

Ein türkisches Sprichwort lautet:„Bir ipte iki cambaz oynayamaz." Dies bedeutet sinngemäß, so habe ich gelesen:"Ein Ehrgeiziger wird auf die Dauer jeden Rivalen verdrängen."

Aber, aber, werden nun vermutlich manche denken und einige sogar brutal angewidert ihr Misstrauen, ihren Hass mir eventuell schenken. Darüber zu erzürnen, bringt nur böses Blut.

Nun gut. Wer nicht unberechenbar aggressiv wird, kann weiterlesen. Ich möchte nur ungern zu einem Opfer von hasserfüllten Menschen werden, die keine Kritik vertragen.

Die Mehrheit der Europäer ist über die Entwicklung in der Türkei entsetzt, so auch ich.

Du, du und du und du vielleicht auch? Keine Ahnung, wer meine Zeilen liest. Böse Menschen lesen alles und nichts.

Ein Militärputsch löst keine Probleme. Im Gegenteil. Volkszorn führt zu Hass, Gewalt und Lynchjustiz. Viele sind nun geblendet, vertrauen blind ihrem Regierungschef.

Der Weg zur Diktatur wird in vielen klugen Augen immer sichtbarer.

Aber, aber, das ist eine Verschwörungstheorie könnten nun manche denken und ihre Hetzer

auf mich lenken.

Zu viele Suspendierungen in der Türkei wirken nach dem Putschversuch beängstigend

auf friedliche Menschen wie mich, vielleicht auch auf dich.

Eine breitgefächerte Kritik ist wichtig, wenn sie angebracht ist.

Kritik muss eine Demokratie immer aushalten können. Die Demokratie existiert durch Kompromisse. Es ist nicht immer alles perfekt, auch wenn man sich dies wünscht.

Ich bin sehr dankbar, dass ich in einer Demokratie lebe, auch wenn das ein oder andere noch verbesserungswürdig ist. Ich habe im Laufe meines Lebens stets Kritik geübt. Ich nehme auch Kritik an, wenn sie berechtigt ist. Aus einer Kritik kann man auch gestärkt hervorgehen. Es ist ein Geben und Nehmen oder auch Nehmen und Geben.

In der Türkei möchte ich im Moment nicht leben, da man nicht sagen darf, was man denkt.

Kritik ist unerwünscht! Ich kann es immer noch nicht fassen. 24 Radio- und Fernsehsendern wurde die Sendelizenz entzogen. Seit dem Putschversuch hat die Regierung ca. 50.000 Soldaten, Polizisten, Richter und Lehrer festgenommen oder suspendiert. Die Säuberungsaktionen erinnern mich an dunkle Zeiten in Deutschland. Oh mein Gott!, was passiert dort in der Türkei? Wissenschaftler sollen bis auf Weiteres nicht ihre Heimat verlassen. Akademiker, die zurzeit im Ausland sind, werden nach dem gescheiterten Putsch in die Türkei zurückgerufen.

Allahu Akbar! Gott ist groß! Gott ist wahrlich groß und er liebt die Menschen, wie Dich und mich. Er vorverurteilt auch nicht. Er ordnet auch keine Todesstrafe an.

Aber, aber werden nun manche denken und mir (k)ein Lächeln schenken.

© CoLyrik, 20. Juli 2016

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden