Ansbach

Wagners Randnotiz Das Leben geht weiter...

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Ansbach

Gestern war ich am späten Nachmittag in Ansbach. Diese Fahrt war schon vor dem Terroranschlag geplant, der viele Menschen am späten Sonntagabend oder spätestens zum Wochenstart entsetzte. Ein 27-jähriger Syrier hatte einen Sprengsatz, der sich in seinem Rucksack befand, am Sonntagabend gegen 22.15 Uhr vor einer gut besuchten Weinstube gezündet. Er starb dabei. Die Explosion erfolgte in der Nähe der Ansbach Open, ein Festival, das von ca. 2500 Menschen besucht wurde. Wie durch ein Wunder gab es keine weiteren Toten, aber drei Schwerverletzte von insgesamt 15 verletzten Menschen. Tatsache ist, dass nur deshalb bei dem Selbstmordattentat so wenige Menschen verletzt wurden, da es Sicherheitskontrollen an den Eingängen zum Veranstaltungsort gab. Der junge Täter besaß keine Eintrittskarte und konnte deswegen nicht aufs Veranstaltungsgelände, änderte deshalb seine Strategie. Inzwischen weiß man, dass dieser junge Syrer kurz vor dem Anschlag relativ lange telefonierte. Es gibt wohlmöglich Hintermänner. Der Täter war auch in psychiatrischer Behandlung, so las ich heute in der hiesigen Regionalzeitung. Bereits Anfang 2015 soll ein psychologischer Gutachter „einen aufsehenerregenden Suizid des Syrers“ für möglich gehalten haben. Er sei ein „extremer Geist“ gewesen, so die Aussage des Fachmanns. Angeblich hatte der junge Mann nichts mehr zu verlieren, da seine Frau und sein sechs Monate alter Sohn tot seien. Ein traumatisierter junger Mann, der mit seinem jetzigen Leben völlig unzufrieden war, da er nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, wurde nun zum Attentäter, zum Handlanger der IS. Traurig. Wie viel Aggression hat sich wohl in ihm angestaut? Wie sehr muss er wohl gefrustet gewesen sein, dass er nicht auf Dauer in Deutschland bleiben konnte? Doch nicht jeder Mensch, der Schicksalsschläge erleidet, wird zum Selbstmordattentäter oder zum Amokläufer. Die Ansbacher Bevölkerung pflegt eine vorbildliche Willkommenskultur und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Da bin ich mir sicher. Rein statistisch gesehen, ist es unwahrscheinlich, dass ich in Zukunft durch solche Täter ums Leben komme oder schwer verletzt werde und doch hatte ich gestern ein mulmiges Gefühl als ich in Ansbach aus dem Wagen stieg. Ein solcher Vorfall macht betroffen. Zumal ich wusste, dass 6 Kommilitonen, die einer meiner Söhne kennt, vor Ort waren, als der Anschlag verübt wurde. Sie wurden nicht verletzt, aber manche erlitten einen Schock, so auch eine Kommilitonin, die meinem Sohn per SMS informierte. Wäre mein Sohn nicht schon wieder vorübergehend bei uns eingezogen, bis er mit seinem Master im Herbst beginnt, hätte es ihn vielleicht auch am Sonntagabend treffen können und er läge nun schwerverletzt im Krankenhaus. Man darf nicht zu viel darüber nachdenken, denn Terroristen wollen, dass wir Angst bekommen.

Mein Sohn musste noch Dokumente an der Hochschule in Ansbach abgeben. Abgabetermin war gestern. Deshalb fragte ich ihn sofort, ob ich ihn begleiten könne, wenn er dorthin fährt. Während seines Studiums in Ansbach war ich öfters vor Ort, da mir die fränkische Kleinstadt gut gefällt. 2012 besuchte ich während einer Tagestour das Markgrafen-Museum. Dort gibt es die Die Kaspar Hauser-Ausstellung. Sie ist eine Dauerausstellung. Ich berichtete damals bei derFreitag darüber:https://www.freitag.de/autoren/corina-wagner/wer-war-kaspar-hauser.

In den vergangenen vier Jahren nahm ich mehrmals z.B. an einer Führung durch die 27 Prunkräume im Schloss Ansbach teil. Im Innenhof des Schlosses fand nun das Festival Ansbach Open statt. Die Fürstenresidenz liegt mitten in der Stadt und war einst eine mittelalterliche Anlage. Ein Beweis dafür ist die große gotische Halle, die um 1400 entstand. Man vermutet in einer Kleinstadt zunächst nicht, dass diese sehr sehenswerte Prunkräume bietet. Die Residenz der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach blickt inzwischen auf eine rund 500jährige Baugeschichte zurück. Sobald man in den ersten Stock geht und die erste große Tür aufgeschlossen wird, taucht man in eine andere Welt, denn dort lebt wahrlich das Flair der ehemaligen Fürstenresidenz weiter. Ich nahm bei den Führungen stets eine Auszeit vom Alltag. Die Residenz wurde mit Beginn des 18. Jahrhunderts durch Gabriel die Gabrieli und Karl Friedrich von Zocha neu gestaltet. Die Innenausstattung des frühen Rokoko schuf Leopold Retti und ist bis heute weitgehend unverändert geblieben. Prunkräume bieten nun mal das, was sich normal Sterbliche nicht leisten können: Materialien vom Feinsten, so entdeckt man z.B. im Spiegelkabinett unzählige Porzellanfiguren, die überwiegend in Meißen hergestellt wurden. Im Spiegelkabinett, aber auch in einem weiteren Raum wurden einst ca. 2800 Fliesen aus der Ansbacher Fayencemanufaktur an die Wände angebracht. Im Schloss befindet sich die Zweigstelle der Bayerischen Staatsgemäldesammlung. Gemälde aus der Zeit des Rokoko hängen hier. Sehr sehenswert ist auch das Deckenfresko von Carlo Carlone im doppelgeschossigen Festsaal. Dort testete ich übrigens bei einem Schlossrundgang die Akustik. Ich fragte zuvor höflich nach und überraschte damit wildfremde Menschen, die absolut nicht damit rechneten ein klassisches Lied mit einer ausgebildeten Stimme zu hören. Unerwarteten, spontanen Beifall gab es auch. Schön war’s. In dieser fränkischen Kleinstadt, die überschaubar ist, kann man sich wohlfühlen. Sie hat Charme. Gestern parkte ich im Parkhaus des Brückencenters. Es ist ein kleines Einkaufszentrum in direkter Nähe der Hochschule Ansbach. Das erste Mal seit vier Jahren sah ich vor dem Eingang ins Einkaufszentrum Security stehen. Zufall? Oder nach dem Anschlag in Ansbach als Geste für das Sicherheitsgefühl der Kunden gedacht? Jetzt passiert sowieso kein zweiter Anschlag mehr. Ich habe die Leute beobachtet. Es waren fröhliche junge Menschen unterwegs, aber auch einige sehr nachdenklich wirkende Zeitgenossen. Es war eigentlich wie immer und dies ist gut so. Normalität kehrt wieder ein…

© Corina Wagner, 28. Juli 2016

http://www.ansbach.de/cda/showpage.php?SiteID=1&language=de&news=article&id=714&s=1

http://www.schloesser.bayern.de/deutsch/schloss/objekte/ansbach.htm

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Geschrieben von

Corina Wagner

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