C' est la vie

CoLyrik Dank Internet wird das Leben zum Krimi...

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Kurzkrimi

C‘ est la vie

Luise wollte schon immer nach Paris. Einmal in ihrem Leben den Eifelturm besichtigen. Inzwischen war sie Mitte Vierzig und ihr französisch war très bien, aber ihr Budget nicht. Vor acht Wochen surfte sie im Internet und lernte dabei Marcel kennen. Er war mal wieder auf der Suche nach einer Frau, die ihn auf seinen Reisen begleiten soll. Relativ schnell tauschten beide die Handynummern aus. Marcel war ein Mann mit schwarzem Humor, gediegener Allgemeinbildung, viel Geld in der Schweiz und einem winzig kleinem Handicap. Klar konnte er fließend französisch, das war nicht das Problem. Marcel war blind. Formidable, also toll! Ein Blinder hatte mit ihr über den Computer Kontakt aufgenommen. Luise musste dies zunächst einmal verdauen und backte dafür eine Tarte au chocolat. Marcels heimliche Liebe galt der Sprachausgabe Dagmar. Eigentlich superb, so Luises erster Gedanke beim rühren des Kuchens. Was tut man nicht alles, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen? Es gibt Leute die überfallen eine Bank. Dafür war Luise definitiv nicht der Typ Frau - mit einer über dem Kopf gezogenen Feinstrumpfhose wildfremde Menschen einzuschüchtern. Sie traf sich mit Marcel naturelement ganz unverfänglich auf dem Kölner Hauptbahnhof gegen 15 Uhr auf Gleis 12. Sie hatte keine Ahnung wie er aussah. Luise hielt Ausschau nach einem Mann mit Blindenstock.

Marcel war unpünktlich. Typisch, dachte sie. Immer ihr musste so etwas passieren. Ihr letztes Date mit Tom, dem Leichenbestatter aus Bonn war ein Desaster. Plötzlich sprach sie ein Mann mit französischem Akzent an. Er trug eine große dunkle Sonnenbrille und tauchte wie aus dem Nichts neben ihr auf. Luise zuckte zusammen. Der Fremde hielt ihr ziemlich dreist das Handgelenk samt Uhr vor das Gesicht und hatte verdammte Ähnlichkeit mit Karl Lagerfeld. Er wäre blind und wüsste gerne wie spät es sei, weil er mit einer bildhübschen Frau verabredet wäre. Luise starrte auf das Ziffernblatt und antwortete zögerlich, da sie auf der Uhr den Vornamen Marcel entdeckte. Dann musste sie schmunzeln. Ausnahmsweise war er ohne Blindenstock unterwegs. Luise war nun für jegliche Kompromisse bereit. C‘ est la vie!

Beim diesem ersten Date verliebte sich Marcel auf Anhieb in ihre grandiose Stimme, als sie ihm zu vorgerückter Stunde unter einer Rheinbrücke ein Chanson von Édith Piaf vorsang. Sie hatte das gewisse Timbre in der Stimme, das ihn beinahe in Ekstase versetzte. Marcel wirkte wie weicher Brioche in ihrer Hand, so Luises Bauchgefühl. Sie war ein typisches Vollweib. Für ihren Busen benötigte man beinahe einen Waffenschein. „Mordsgewaltig und echt atemraubend!“, so ein Kommentar ihres alten Schulfreunds Hotte, der es schließlich wissen musste. Er wurde Kommissar.

Wie ihr Busen aussah, konnte er bloß vermuten, als er Luise beim letzten Treffen durch reinen Zufall berührte. Er stolperte im Park und verfing sich dabei mit seinem Nasenpiercing in der Häkelumrandung ihres Pullover-Ausschnitts. Fingerspitzengefühl war sofort gefragt. Ihr blinder Freund kam danach instinktiv auf die Idee sie zu einem Ausflug nach Cochem in die Eifel einzuladen. Was sollte sie mit ihm, dem Mann mit dem Blindenstock auf einem Weinfest? Die neue Gehhilfe war zwar dank eines coolen Graffitos ein echtes Unikat, aber das Geschiebe im Gedränge glich einem Spießrutenlauf. Überall feierten die Menschen in der Altstadt von Cochem. Ausgelassene Stimmung von Leuten, die in Weinlaune bestimmt blöd grinsten und doofe Witze rissen, wenn sie das ungleiche Paar in Augenschein nahmen. Luise haderte zunächst, als Marcel ihr eine Woche Urlaub in Cochem vorschlug. Im Geiste winkte allerdings der Eifelturm mit Bienvenue! Und so sagte Madame spontan zu.

Marcel war seit einem Autounfall vor fünf Jahren fast blind. Deshalb störte es ihn auch nicht, dass Luises Gesicht aussah, als wäre sie mit einem Mops verwandt. Ihre Frisur glich faktisch dem Anblick eines Rosettenmeerschweinchens und ihre Kleidung einem Kanarienvogel. Er war tierisch zufrieden, dass eine Frau so schnell auf sein Geplänkel hereinfiel. Der gigantische Busen wirkte seit einer Umarmung wie eine gefährliche Droge auf ihn. Bislang bemühte sich Luise stets die verständnisvolle, einfühlsame Freundin zu mimen. Im Grunde ihres Herzens hatte sie immenses Interesse an seinem Ersparten. Sie war hin- und hergerissen zwischen Weinbergen, Mosel, Weinlaune und dem Wort Eifel. Einmal nach Paris! Jenem Traum hechelte sie mit viel zu kurzen Beinen ewig hinterher. Dies musste sich irgendwie ändern. Zumal die Erdanziehungskraft in ihrem Alter zunahm und der Busen neuerdings schwer in Richtung Boden zog. So kam es, dass sie sich für eine Moseltour mit Marcel entschied.

Sie redete sich ein, dass sie nicht nur eine Koryphäe in einem bandscheibenfreundlichen Hotelbett wäre, sondern eine erstklassige Blindenhündin abgab, wenn sie ihm erklärte, wie traumhaft schön es laut Prospekt in Beilstein war. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie aber noch nicht, dass sich ihre sympathische Internetbekanntschaft in dieser Gegend hervorragend auskannte. Es war ein herrlicher Spätsommertag als beide in Cochem ankamen. Marcel hatte ihr vor Reisebeginn einen Autoschlüssel in die Hand gedrückt. Ihre blauen Augen funkelten, als sie feststellte, dass er ihr einen neuen Porsche Cayenne übergab. Und nur deshalb, weil sie ihm von der Familienkutsche am Telefon vorschwärmt hatte. Toller Mann, dachte sie. Jetzt witterte sie still und heimlich die Pariser Luft in ihrer viel zu kleinen Knubbelnase und genoss diesen kurzen Glücksmoment. Ehe Luise über ihre Zukunft weiter nachdenken konnte, fragte Marcel ganz lapidar, ob sie wie Corina Wagner schon einmal auf der berühmten Klostertreppe in Beilstein gelaufen sei. Sie verneinte, zog eine Augenbraue extrem hoch und schaute ihn total ungläubig an. Währenddessen verstaute ein Dienstleister die Koffer im Wagen.

Bevor Luise endlich den Rückwärtsgang einlegte, um loszufahren, sprach Marcel über jene Himmelsleiter von 108 Stufen, die berühmte Menschen wie Heinz Rühmann im Film zeigten. Während der Autofahrt erzählte er ausführlich über die Klostertreppe, die alljährlich viele Menschen anzieht, so wie eine verweste Leiche die Fliegen. Dabei grinste er diabolisch, lachte gruselig schön. Irgendwie aufmunternd, kam es Luise süffisant lächelnd in den Sinn. Kaum waren beide in Cochem angekommen und hatten ihr Gepäck auf dem luxuriösen Zimmer mit Moselblick verstaut, drängelte Marcel zu einer Bootsfahrt. Er wollte keinen Sex, dies irritierte sie ein bisschen. Vielleicht hatte er Angst vor ihren Brüsten.

Die Sonne schien herrlich. Wie zuvor erwartet, überall Gedränge in Cochem. Luise wäre ja lieber von einem Weinstand zum nächsten gezogen, aber sie hatte gedanklich das Plateau vom Eifelturm vor Augen und führte Marcel ganz souverän zur Schiffsanlegestelle. Er machte ihr den Vorschlag, dass er sich auf eine der Bänke setzt und sie die Tickets kauft. Deshalb drückte er ihr einen Zweihundert-Euroschein in die Hand. Derweil beobachtete Marcel unter seiner dunklen Sonnenbrille die angetrunkenen Menschen, die ihn musterten. Vielleicht hatte er doch mit dem auffälligen Blindenstock übertrieben. Luise meinte keck, dass man Augenkrebs bekomme, wenn man auf diesen starre. Würde ihm dieses getunte Teil zum Verhängnis werden? Oder etwa wahrscheinlicher Luises Wahnsinns-Brüste?

Nach einer gelungenen Bootsfahrt kamen beide gut gelaunt in Beilstein an. Luise kam es so vor, als kenne ihr blinder Freund jede Moselwindung, alle Weinreben und jeden einzelnen Schieferbrocken. Mit ihrer Hilfe wollte er die Burgruine Metternich besichtigen. Keineswegs wurde sie misstrauisch. Warum auch? Marcel überraschte sie spontan mit einem sehr innigen Kuss. Danach konnte sie nicht mehr klar denken, war binnen weniger Sekunden einfach perplex. Er hakte sich bei ihr ein und wollte nur noch eins. Luise hingegen wollte das erste Mal nicht nach Paris. Sie war dem Charme der Eifel erlegen. Völlig gedankenversunken lief sie mit ihm Stück für Stück dem Schicksal entgegen. Hätte sie gewusst, welches Innenleben der Blindenstock bot, wäre sie vielleicht nicht so lebenslustig mit ihm in der weinumrankten Winzerschenke eingekehrt, die sich direkt an der berühmten Klostertreppe befindet. Sie aßen dort in gemütlicher Atmosphäre und tranken Moselwein. Der Dämmerschoppen stieg ihr ganz schön in den Kopf und sie amüsierte sich köstlich. Marcel glänzte mit frei erfundenen Anekdoten. Luise ahnte nicht, dass sie ihn an seine verstorbene Französisch-Lehrerin erinnerte, die genau das gleiche Schwabbelkinn hatte, wenn sie laut lachte.

Madame Luise dachte erst in jenem Moment wieder an den Eifelturm, als ihr blinder Gefährte in seine Brieftasche griff, um ihr darauf hin einen Reisegutschein für Paris zu kredenzen. Zunächst war sie völlig sprachlos. Dann jubelte sie, schrie das Wort merci und wischte sich die Freudentränen aus dem Gesicht. Danach sang sie nur für ihn. Und vergaß justament die anderen Gäste im Raum: „Non! Rien de rien ... Non! Je ne regrette rien ...“! Marcel lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, bekam eine Gänsehaut und sah sein Ziel bereits vor Augen. Wildfremde Menschen applaudierten der neuen Piaf. Wieder einige Zeugen mehr, die sich später an diesen auffälligen Blindenstock erinnern würden, schwirrte es durch Marcels Kopf. Während sich Luise über die Bravo-Rufe freute.

Einige Tage später fand man Luises Leiche nahe Beilstein in einer der Weinberge. Ihre Zungenspitze fehlte - sie wurde abgetrennt. Luise wurde durch mehrere Stichverletzungen im Brustbereich bestialisch getötet. Die Obduktion ergab keinerlei Hinweise auf eine Vergewaltigung. Innerhalb von fünf Jahren war es nun der dritte Mordfall, der in das Schema eines Serientäters passte. Immer fehlte die Zungenspitze des Opfers. Bei Luises Mordfall hinterließ der Täter ein wichtiges Indiz. Man fand in der Nähe der Burgruine die Tatwaffe. Es war ein Gehstock mit einem auffälligen Graffito. Im Inneren befand sich ein Grillspieß an dem das Blut des Opfers haftete. Marcel surft inzwischen als lebenslustiger Witwer Paul im Internet und Hotte macht seit gestern Urlaub in Beilstein.

©Corina Wagner, 2013

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Geschrieben von

Corina Wagner

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