Das Gesicht des Vierten Reiches/ Interview

CoLyrik-Mara Branda Interview mit Whistleblower Autor Nazi-Konrad Enthüller

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Das Gesicht des Vierten Reiches

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen traf ich mich heimlich zu einem Interview mit Nazi-Konrad Enthüller, Buchautor, studierter Historiker und seit vielen Jahren Rechtsexperte. Monatelang war er bereits zuvor mit einer falschen Identität unterwegs. Seit Jahren recherchiert er für ein Buch und hält alles akribisch über den „Möchtgern-Hitler“ fest. Man darf diesen Mann mit Unschuldsblick und sprachlichen Entgleisungen, über den Enthüller Material in jeglicher Form sammelt, neuerdings sogar offiziell Faschist nennen. Manche nennen ihn liebevoll Bernd, anstatt Björn mit Vornamen.

In dem Moment als in Thüringen die Wahlergebnisse verkündet wurden, verließ Enthüller seine Bleibe im Thüringer Wald, um wieder aufs Neue unterzutauchen. Er war kaum wiederzuerkennen, als ich ihn gestern in einem Café seiner Wahl an einem Ort traf, den ich nicht nennen kann. Wir setzten uns an einen Tisch mit Blick nach Draußen. Enthüller trug eine langhaarige, blonde Echthaarperücke und war im Gesicht zum Grübeln dezent geschminkt. Er übertünchte sein markantes Männergesicht wahrscheinlich mit einer großen Menge Make-Up. Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er Kontakte zu einem Maskenbildner pflegt, doch ich schwieg aus Sicherheitsgründen, sah ihn wie durch eine verstaubte Kristallkugel an. Meine Gleitsichtbrillengläser beschlugen durch den heißen Kaffee, den ich trank, als ich ihn beobachtete. Seine Kleidung bestand aus einer schwarzen Jeans und einem senfsaatgelben Rollkragenpullover. Dazu trug er schwarze trendige Lederstiefel. Mit der gefütterten pinkfarbenen Bomberjacke hatte er zwar ein bisschen übertrieben, aber als er diese im Café nicht mehr trug, irritieren mich eher seine neuen Brüste. Ich wusste nicht, wo ich hingucken sollte. Er trug einen BH mit D-Körbchen unter dem Pulli. Zunächst wollte ich überhaupt nicht wissen, wie er zu dem Busen kam, aber ich muss so intensiv auf diese beiden Fremdkörper gestarrt haben, so dass er zu mir sagte, dass er deswegen in einem Baumarkt gewesen sei. Anschließend habe er ein wenig im Wald gewerkelt. Im Vergleich zu ihm sah ich mit meinem dunkelgrünen Schlapperpulli ziemlich unscheinbar aus, als ich ihm zu Anfang unseres Gesprächs gegenüber saß. Zwischen seinen künstlichen Brüsten hing eine lange Goldkette an deren unteren Ende ein kleiner Wolf mit fletschenden Zähnen baumelte. Um die Situation zu retten, trat er mit einem Fuß unter dem Tisch sachte, fast zärtlich, gegen mein linkes Schienbein. Fortan durfte ich ihn Eva nennen. Wir beide kamen mit einer Art Geheimsprache intensiv ins Gespräch und zur Tarnung lachten wir gelegentlich unverschämt laut. Plötzlich wechselte er die Sitzposition, umarmte und küsste mich. Dies war mir keineswegs unangenehm. Während des nicht klassisch geführten Interviews sah er in regelmäßigen Abständen aus dem Fenster, aber auch auf die Eingangstür des Cafés. Er zog auch seine Hand nicht weg, als ich sie zwecks perfekter Tarnung streichelte. Zuvor hatte er mich bereits heimlich berührt, steckte mir einen USB-Stick zu.

Für das Treffen mit ihm musste ich wie ein Hase Haken schlagen, um rechtsradikale Wölfe abzuwimmeln. Ich bin gottseidank kein Schaf, sondern Journalistin Mara Branda. Ich weiß wie man im Rudel heult, aber auch Wege findet, um Wölfe mit völkischer Tollwut aus dem Wege zu gehen. Im Gegensatz zu Enthüller, muss ich noch nicht ständig meine Identität wechseln, um nicht von den bösen Wölfen aufgespürt zu werden, die jagen. Ich jage nicht, ich küsse und herze sie lieber. Man muss diesen Menschen mit viel Liebe und Freundlichkeit begegnen, denn sie sind mit purem Hass infiziert. Natürlich kostet mich diese Herzlichkeit Überwindung, denn wer knutscht schon gerne freiwillig mit einem Werwolf. Wenn ich spontan dabei an den faschistoiden studierten Pädagogen, diesen Narzissten denke, über den Enthüller ein Buch schreibt, muss ich mir ein knuddeliges, braves Lämmchen mit unschuldigen Äugelein vorstellen, sollte er mir ganz nah begegnen. Sollte ich ihn dann wirklich freundschaftlich nur rechts auf die Wange küssen, liebevoll umarmen, um ihm zu zeigen, dass er kein schlechter Mensch ist, weiß ich nicht, ob ich dann spontan speien muss. In jener bedenklichen Situation könnte ich immer noch eine akute Gastroenteritis vortäuschen. Ob meine Taktik aufgeht, werde ich am Ende sehen, wenn ich die Jagdstrategie der Faschisten in Deutschland überlebe.

In diesem Zusammenhang muss ich an Enthüllers Worte denken, als er mir leise im Café erzählte, was er nicht nur in Thüringen sah und hörte: „Wir werden sie jagen!“ Diese Drohgebärden von Menschen, deren Gesichter man sich besser gut einprägt, sagte Enthüller zu mir. „Man weiß nie, wo man diesen völkischen, rassistischen Fratzen wieder begegnet.“

„Warum?“, fragte ich ihn der Lautstärke angepasst. „Für später, wenn man danach gefragt wird, ob an dessen Schuhen Blut klebt.“, so Enthüllers ernstgemeinte Antwort. Danach fragte er mich, ob ich neulich dieses abgebrochene Interview im Zweiten in der Sendung „Berlin direkt“ gesehen habe, „als der Faschist dem Journalisten drohte“. Bevor ich ihm ausführlich antworten konnte, griff Enthüller seine Bomberjacke und verschwand in Richtung Toiletten zum Hinterausgang. Er hatte vorher kurz aus dem Fenster geschaut. Kaum war er aufgestanden und weg, ging schon die Eingangstür zum Café auf. Ich bekam sofort ein mulmiges Gefühl, als ich die zwei Gestalten sah, die sich in der Lokalität umsahen und dann Richtung Toiletten verschwanden. Einer von beiden kam wieder zurück, verließ das Café durch die Eingangstür. Ich bestellte mir auf den Schreck noch einen Tee, blieb länger im Café, als ursprünglich geplant und überlegte mir, ob ich mir nun auch eine neue Identität zulegen soll. Man weiß ja nie, ob Horrorszenarien eintreten.

Leute wie Höcke sind faschistoid und gefährden solange die Demokratie, bis sie nicht mehr existiert.“, las ich u.a. später, als ich im Hotelzimmer vor dem Laptop saß und die Daten vom USB-Stick abrief. Enthüller hat mir einige Seiten von seinem Manuskript zugespielt. Der Arbeitstitel lautet: Das Gesicht des Vierten Reiches

Enthüller beschreibt Ängste von Menschen, die in Deutschland leben, auch seine Ängste, Sorgen und Nöte, wie sich zum Beispiel Deutschland immer negativer verändert. Er wünscht sich mehr Menschen, die Zivilcourage zeigen, wenn Hass von Faschisten in der Öffentlichkeit geschürt wird.

Ich hätte nie gedacht, dass jemals wieder Menschen in Deutschland Angst haben müssen, wenn sie nicht ins Weltbild von Antisemiten passen. Wenn Nazi-Konrad Enthüller nicht unter die Räder kommen will, muss er weiterhin genügend Freunde haben, die ihm Loyalität gewähren und ihn nicht an die Faschisten ausliefen. Ich habe heute eine verschlüsselte WhatsApp-Nachricht von Enthüller erhalten. Er konnte seinen Verfolgern entkommen, ist schon wieder in einer anderen Stadt, trägt im Moment keine Frauenklamotten mehr. Die pinkfarbene Bomberjacke und die blonde Echthaarperücke sind nun Geschichte…

Wie er jetzt aussieht, weiß ich nicht. Gut ist, dass er noch lebt. Das normale Alltagsleben geht weiter. Ab morgen absolviere ich den Kurs: „Die lebensbejahenden Benimmregeln für Journalisten - Der richtige Umgang mit Prä-Faschisten in Deutschland“. Vor drei Monaten habe ich mich dafür angemeldet. Die Anfahrtsskizze führt zu einem ehemaligen Luftschutzbunker. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Ganz unten auf der Anmeldung steht als Tipp, dass man für den Fall der Fälle vorher schon alles geregelt haben soll. Ein Testament soll beim Notar vorliegen und man soll wissen, ob man eine Erd- oder eine Feuerbestattung bevorzugt. Der Kursleiter soll seriös sein, so wurde mir versichert.

Ich wünsche allen eine schöne Zeit.

Ihre Mara Branda

© CoLyrik, 2. November 2019

Kurzbiografie

Mara Branda (Jahrgang 1965) arbeitete bis 2005 als Journalistin für die Zeitschrift Schonfrist. Danach agierte sie beim Politikjournal Kaltgestellt als Chefredakteurin. Seit 2017 ist sie bei der Verlagsgruppe Rübe und Birne als Geschäftsführerin tätig.

Anmerkung der Autorin

Ich nutze wie immer bei solchen Beiträgen die Meinungsfreiheit der BRD, Artikel 5, GG:

Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

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